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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819.

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zog es an, und ging hinauf in das Schloß und alle Leute sahen sie an und die Braut selber; und das Kleid gefiel ihr so gut, daß sie dachte, es könnte ihr Hochzeitkleid geben und fragte, ob es nicht feil wäre? "Nicht für Geld und Gut, antwortete sie, aber für Fleisch und Blut." Die Braut fragte, was sie damit meine? Da sagte sie: "laßt mich eine Nacht in der Kammer schlafen, wo der Bräutigam schläft." Die Braut wollte nicht und wollte doch gern das Kleid haben, endlich willigte sie ein, aber der Kammerdiener mußte dem Königssohn einen Schlaftrunk geben. Als es nun Nacht war, und der Prinz schon schlief, ward sie in die Kammer geführt, da setzte sie sich ans Bett und sagte: "ich bin dir nachgefolgt sieben Jahre, bin bei Sonne, Mond und den Winden gewesen und hab' nach dir gefragt, und hab' dir geholfen gegen den Lindwurm, willst du mich denn ganz vergessen?" Der Königssohn aber schlief so hart, daß es ihm nur vorkam, als rausche der Wind draußen in den Tannenbäumen. Wie nun der Morgen anbrach, da ward sie wieder hinausgeführt, und mußte das goldene Kleid hingeben; und als auch das nichts geholfen hatte, ward sie traurig, ging hinaus auf eine Wiese, setzte sich da hin und weinte. Und wie sie so saß, da fiel ihr das Ei noch ein, das ihr der Mond gegeben hatte und sie schlug es auf: ei! da kam eine Glucke heraus mit zwölf Küchlein ganz von Gold, die liefen herum und piepten und krochen der Alten wieder unter die Flügel, so daß nichts schöneres auf der Welt zu sehen war. Da stand sie auf, trieb sie auf der Wiese vor sich her, so lange bis die Braut aus dem Fenster sah, und da gefiel ihr das kleine

zog es an, und ging hinauf in das Schloß und alle Leute sahen sie an und die Braut selber; und das Kleid gefiel ihr so gut, daß sie dachte, es koͤnnte ihr Hochzeitkleid geben und fragte, ob es nicht feil waͤre? „Nicht fuͤr Geld und Gut, antwortete sie, aber fuͤr Fleisch und Blut.“ Die Braut fragte, was sie damit meine? Da sagte sie: „laßt mich eine Nacht in der Kammer schlafen, wo der Braͤutigam schlaͤft.“ Die Braut wollte nicht und wollte doch gern das Kleid haben, endlich willigte sie ein, aber der Kammerdiener mußte dem Koͤnigssohn einen Schlaftrunk geben. Als es nun Nacht war, und der Prinz schon schlief, ward sie in die Kammer gefuͤhrt, da setzte sie sich ans Bett und sagte: „ich bin dir nachgefolgt sieben Jahre, bin bei Sonne, Mond und den Winden gewesen und hab’ nach dir gefragt, und hab’ dir geholfen gegen den Lindwurm, willst du mich denn ganz vergessen?“ Der Koͤnigssohn aber schlief so hart, daß es ihm nur vorkam, als rausche der Wind draußen in den Tannenbaͤumen. Wie nun der Morgen anbrach, da ward sie wieder hinausgefuͤhrt, und mußte das goldene Kleid hingeben; und als auch das nichts geholfen hatte, ward sie traurig, ging hinaus auf eine Wiese, setzte sich da hin und weinte. Und wie sie so saß, da fiel ihr das Ei noch ein, das ihr der Mond gegeben hatte und sie schlug es auf: ei! da kam eine Glucke heraus mit zwoͤlf Kuͤchlein ganz von Gold, die liefen herum und piepten und krochen der Alten wieder unter die Fluͤgel, so daß nichts schoͤneres auf der Welt zu sehen war. Da stand sie auf, trieb sie auf der Wiese vor sich her, so lange bis die Braut aus dem Fenster sah, und da gefiel ihr das kleine

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[12/0090] zog es an, und ging hinauf in das Schloß und alle Leute sahen sie an und die Braut selber; und das Kleid gefiel ihr so gut, daß sie dachte, es koͤnnte ihr Hochzeitkleid geben und fragte, ob es nicht feil waͤre? „Nicht fuͤr Geld und Gut, antwortete sie, aber fuͤr Fleisch und Blut.“ Die Braut fragte, was sie damit meine? Da sagte sie: „laßt mich eine Nacht in der Kammer schlafen, wo der Braͤutigam schlaͤft.“ Die Braut wollte nicht und wollte doch gern das Kleid haben, endlich willigte sie ein, aber der Kammerdiener mußte dem Koͤnigssohn einen Schlaftrunk geben. Als es nun Nacht war, und der Prinz schon schlief, ward sie in die Kammer gefuͤhrt, da setzte sie sich ans Bett und sagte: „ich bin dir nachgefolgt sieben Jahre, bin bei Sonne, Mond und den Winden gewesen und hab’ nach dir gefragt, und hab’ dir geholfen gegen den Lindwurm, willst du mich denn ganz vergessen?“ Der Koͤnigssohn aber schlief so hart, daß es ihm nur vorkam, als rausche der Wind draußen in den Tannenbaͤumen. Wie nun der Morgen anbrach, da ward sie wieder hinausgefuͤhrt, und mußte das goldene Kleid hingeben; und als auch das nichts geholfen hatte, ward sie traurig, ging hinaus auf eine Wiese, setzte sich da hin und weinte. Und wie sie so saß, da fiel ihr das Ei noch ein, das ihr der Mond gegeben hatte und sie schlug es auf: ei! da kam eine Glucke heraus mit zwoͤlf Kuͤchlein ganz von Gold, die liefen herum und piepten und krochen der Alten wieder unter die Fluͤgel, so daß nichts schoͤneres auf der Welt zu sehen war. Da stand sie auf, trieb sie auf der Wiese vor sich her, so lange bis die Braut aus dem Fenster sah, und da gefiel ihr das kleine

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Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12546-6) in Bd. 2, S. 305–308 ein Wörterverzeichnis mit Begriffserläuterungen.




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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1819/90>, abgerufen am 02.05.2024.