Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite

wenn ich auch wollte. Jch habe drei Söhne, die sind bös und wild, wenn sie von ihrem Raubzug heim kommen und finden euch, so würden sie uns beide umbringen." Da sprach der Einsiedler: "laßt mich nur bleiben, sie werden euch und mir nichts thun" und die Frau war mitleidig und ließ sich bewegen. Da legte sich der Mann unter die Treppe und das Stück Holz unter seinen Kopf. Wie die Alte das sah, fragte sie nach der Ursache, da erzählte er ihr, daß er es zur Buße mit sich herum trage und Nachts zu seinem Kissen brauche. Er habe den Herrn beleidigt, denn als er einen armen Sünder auf dem Gang nach dem Gericht gesehen, habe er gesagt, diesem widerfahre sein Recht. Da fing die Frau an zu weinen und rief: "ach, wenn der Herr ein einziges Wort also bestraft, wie wird es meinen Söhnen ergehen, wenn sie vor ihm im Gericht erscheinen."

Um Mitternacht kamen die Räuber heim, lärmten und tobten. Sie zündeten ein Feuer an und als das die Höhle erleuchtete und sie einen Mann unter der Treppe liegen sahen, geriethen sie in Zorn und schrien ihre Mutter an: "wer ist der Mann, haben wirs nicht verboten irgend jemand aufzunehmen?" Da sprach die Mutter: "laßt ihn, es ist ein armer Sünder der seine Schuld büßt." Die Räuber fragten was er gethan, und riefen: "Alter, erzähl uns deine Sünden!" Der Alte erhob sich und sagte ihnen, wie er mit einem einzigen Wort schon so gesündigt habe, daß Gott ihm zürne, und er für diese Schuld jetzt büße. Den Räubern ward von seiner Erzählung das Herz so gewaltig gerührt, daß sie über ihr bisheriges Leben erschraken, in sich gingen und mit herzlicher Reue ihre

wenn ich auch wollte. Jch habe drei Soͤhne, die sind boͤs und wild, wenn sie von ihrem Raubzug heim kommen und finden euch, so wuͤrden sie uns beide umbringen.“ Da sprach der Einsiedler: „laßt mich nur bleiben, sie werden euch und mir nichts thun“ und die Frau war mitleidig und ließ sich bewegen. Da legte sich der Mann unter die Treppe und das Stuͤck Holz unter seinen Kopf. Wie die Alte das sah, fragte sie nach der Ursache, da erzaͤhlte er ihr, daß er es zur Buße mit sich herum trage und Nachts zu seinem Kissen brauche. Er habe den Herrn beleidigt, denn als er einen armen Suͤnder auf dem Gang nach dem Gericht gesehen, habe er gesagt, diesem widerfahre sein Recht. Da fing die Frau an zu weinen und rief: „ach, wenn der Herr ein einziges Wort also bestraft, wie wird es meinen Soͤhnen ergehen, wenn sie vor ihm im Gericht erscheinen.“

Um Mitternacht kamen die Raͤuber heim, laͤrmten und tobten. Sie zuͤndeten ein Feuer an und als das die Hoͤhle erleuchtete und sie einen Mann unter der Treppe liegen sahen, geriethen sie in Zorn und schrien ihre Mutter an: „wer ist der Mann, haben wirs nicht verboten irgend jemand aufzunehmen?“ Da sprach die Mutter: „laßt ihn, es ist ein armer Suͤnder der seine Schuld buͤßt.“ Die Raͤuber fragten was er gethan, und riefen: „Alter, erzaͤhl uns deine Suͤnden!“ Der Alte erhob sich und sagte ihnen, wie er mit einem einzigen Wort schon so gesuͤndigt habe, daß Gott ihm zuͤrne, und er fuͤr diese Schuld jetzt buͤße. Den Raͤubern ward von seiner Erzaͤhlung das Herz so gewaltig geruͤhrt, daß sie uͤber ihr bisheriges Leben erschraken, in sich gingen und mit herzlicher Reue ihre

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0378" n="300"/>
wenn ich auch wollte. Jch habe drei So&#x0364;hne, die sind bo&#x0364;s und wild, wenn sie von ihrem Raubzug heim kommen und finden euch, so wu&#x0364;rden sie uns beide umbringen.&#x201C; Da sprach der Einsiedler: &#x201E;laßt mich nur bleiben, sie werden euch und mir nichts thun&#x201C; und die Frau war mitleidig und ließ sich bewegen. Da legte sich der Mann unter die Treppe und das Stu&#x0364;ck Holz unter seinen Kopf. Wie die Alte das sah, fragte sie nach der Ursache, da erza&#x0364;hlte er ihr, daß er es zur Buße mit sich herum trage und Nachts zu seinem Kissen brauche. Er habe den Herrn beleidigt, denn als er einen armen Su&#x0364;nder auf dem Gang nach dem Gericht gesehen, habe er gesagt, diesem widerfahre sein Recht. Da fing die Frau an zu weinen und rief: &#x201E;ach, wenn der Herr ein einziges Wort also bestraft, wie wird es meinen So&#x0364;hnen ergehen, wenn sie vor ihm im Gericht erscheinen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Um Mitternacht kamen die Ra&#x0364;uber heim, la&#x0364;rmten und tobten. Sie zu&#x0364;ndeten ein Feuer an und als das die Ho&#x0364;hle erleuchtete und sie einen Mann unter der Treppe liegen sahen, geriethen sie in Zorn und schrien ihre Mutter an: &#x201E;wer ist der Mann, haben wirs nicht verboten irgend jemand aufzunehmen?&#x201C; Da sprach die Mutter: &#x201E;laßt ihn, es ist ein armer Su&#x0364;nder der seine Schuld bu&#x0364;ßt.&#x201C; Die Ra&#x0364;uber fragten was er gethan, und riefen: &#x201E;Alter, erza&#x0364;hl uns deine Su&#x0364;nden!&#x201C; Der Alte erhob sich und sagte ihnen, wie er mit einem einzigen Wort schon so gesu&#x0364;ndigt habe, daß Gott ihm zu&#x0364;rne, und er fu&#x0364;r diese Schuld jetzt bu&#x0364;ße. Den Ra&#x0364;ubern ward von seiner Erza&#x0364;hlung das Herz so gewaltig geru&#x0364;hrt, daß sie u&#x0364;ber ihr bisheriges Leben erschraken, in sich gingen und mit herzlicher Reue ihre
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[300/0378] wenn ich auch wollte. Jch habe drei Soͤhne, die sind boͤs und wild, wenn sie von ihrem Raubzug heim kommen und finden euch, so wuͤrden sie uns beide umbringen.“ Da sprach der Einsiedler: „laßt mich nur bleiben, sie werden euch und mir nichts thun“ und die Frau war mitleidig und ließ sich bewegen. Da legte sich der Mann unter die Treppe und das Stuͤck Holz unter seinen Kopf. Wie die Alte das sah, fragte sie nach der Ursache, da erzaͤhlte er ihr, daß er es zur Buße mit sich herum trage und Nachts zu seinem Kissen brauche. Er habe den Herrn beleidigt, denn als er einen armen Suͤnder auf dem Gang nach dem Gericht gesehen, habe er gesagt, diesem widerfahre sein Recht. Da fing die Frau an zu weinen und rief: „ach, wenn der Herr ein einziges Wort also bestraft, wie wird es meinen Soͤhnen ergehen, wenn sie vor ihm im Gericht erscheinen.“ Um Mitternacht kamen die Raͤuber heim, laͤrmten und tobten. Sie zuͤndeten ein Feuer an und als das die Hoͤhle erleuchtete und sie einen Mann unter der Treppe liegen sahen, geriethen sie in Zorn und schrien ihre Mutter an: „wer ist der Mann, haben wirs nicht verboten irgend jemand aufzunehmen?“ Da sprach die Mutter: „laßt ihn, es ist ein armer Suͤnder der seine Schuld buͤßt.“ Die Raͤuber fragten was er gethan, und riefen: „Alter, erzaͤhl uns deine Suͤnden!“ Der Alte erhob sich und sagte ihnen, wie er mit einem einzigen Wort schon so gesuͤndigt habe, daß Gott ihm zuͤrne, und er fuͤr diese Schuld jetzt buͤße. Den Raͤubern ward von seiner Erzaͤhlung das Herz so gewaltig geruͤhrt, daß sie uͤber ihr bisheriges Leben erschraken, in sich gingen und mit herzlicher Reue ihre

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Bayerische Staatsbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-06-15T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12546-6) in Bd. 2, S. 305–308 ein Wörterverzeichnis mit Begriffserläuterungen.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1819/378
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1819/378>, abgerufen am 23.11.2024.