Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite

den Boden mit Pech, und wie er das Maß wieder bekam, so war ein Goldstück darin hängen geblieben. Alsbald ging er zu seinem Bruder und fragte ihn: "was hast du mit dem Scheffel gemessen?" "Korn und Gerste," sagte der andere. Da zeigte er ihm das Goldstück und drohte ihm, wenn er nicht die Wahrheit sagte, so wollt' er ihn beim Gericht verklagen. Er erzählte ihm nun alles, wie es zugegangen war; der Reiche aber ließ gleich einen Wagen anspannen, fuhr hinaus, und dachte ganz andere Schätze mitzubringen. Wie er vor den Berg kam, rief er: "Berg Semsi! Berg Semsi! thu dich auf!" der Berg that sich auf und er ging hinein. Da lagen die Reichthümer alle vor ihm, und er wußte lange nicht, wozu er am ersten greifen sollte, endlich lud er Edelsteine auf, so viel er tragen konnte und wollte sie hinausbringen. Er kehrte also um, weil aber Herz und Sinn ganz voll von den Schätzen waren, hatte er darüber den Namen des Bergs vergessen, und rief: "Berg Simeli! Berg Simeli! thu dich auf!" Aber das war der rechte Name nicht und der Berg regte sich nicht und blieb verschlossen. Da ward ihm angst, aber je länger er nachsann, desto mehr verwirrten sich seine Gedanken und halfen ihm alle Schätze nichts mehr. Am Abend that sich der Berg auf und die zwölf Räuber kamen herein, und als sie ihn sahen, waren sie froh und riefen: "Vogel, haben wir dich endlich, meinst du wir hätten's nicht gemerkt, daß du zwei Mal hereingekommen bist, aber wir konnten dich nicht fangen, zum drittenmal sollst du nicht wieder heraus." Da rief er: "ich war's nicht; mein Bruder war's!"

den Boden mit Pech, und wie er das Maß wieder bekam, so war ein Goldstuͤck darin haͤngen geblieben. Alsbald ging er zu seinem Bruder und fragte ihn: „was hast du mit dem Scheffel gemessen?“ „Korn und Gerste,“ sagte der andere. Da zeigte er ihm das Goldstuͤck und drohte ihm, wenn er nicht die Wahrheit sagte, so wollt’ er ihn beim Gericht verklagen. Er erzaͤhlte ihm nun alles, wie es zugegangen war; der Reiche aber ließ gleich einen Wagen anspannen, fuhr hinaus, und dachte ganz andere Schaͤtze mitzubringen. Wie er vor den Berg kam, rief er: „Berg Semsi! Berg Semsi! thu dich auf!“ der Berg that sich auf und er ging hinein. Da lagen die Reichthuͤmer alle vor ihm, und er wußte lange nicht, wozu er am ersten greifen sollte, endlich lud er Edelsteine auf, so viel er tragen konnte und wollte sie hinausbringen. Er kehrte also um, weil aber Herz und Sinn ganz voll von den Schaͤtzen waren, hatte er daruͤber den Namen des Bergs vergessen, und rief: „Berg Simeli! Berg Simeli! thu dich auf!“ Aber das war der rechte Name nicht und der Berg regte sich nicht und blieb verschlossen. Da ward ihm angst, aber je laͤnger er nachsann, desto mehr verwirrten sich seine Gedanken und halfen ihm alle Schaͤtze nichts mehr. Am Abend that sich der Berg auf und die zwoͤlf Raͤuber kamen herein, und als sie ihn sahen, waren sie froh und riefen: „Vogel, haben wir dich endlich, meinst du wir haͤtten’s nicht gemerkt, daß du zwei Mal hereingekommen bist, aber wir konnten dich nicht fangen, zum drittenmal sollst du nicht wieder heraus.“ Da rief er: „ich war’s nicht; mein Bruder war’s!“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0336" n="258"/>
den Boden mit Pech, und wie er das Maß wieder bekam, so war ein Goldstu&#x0364;ck darin ha&#x0364;ngen geblieben. Alsbald ging er zu seinem Bruder und fragte ihn: &#x201E;was hast du mit dem Scheffel gemessen?&#x201C; &#x201E;Korn und Gerste,&#x201C; sagte der andere. Da zeigte er ihm das Goldstu&#x0364;ck und drohte ihm, wenn er nicht die Wahrheit sagte, so wollt&#x2019; er ihn beim Gericht verklagen. Er erza&#x0364;hlte ihm nun alles, wie es zugegangen war; der Reiche aber ließ gleich einen Wagen anspannen, fuhr hinaus, und dachte ganz andere Scha&#x0364;tze mitzubringen. Wie er vor den Berg kam, rief er: &#x201E;Berg <hi rendition="#g">Semsi</hi>! Berg <hi rendition="#g">Semsi</hi>! thu dich auf!&#x201C; der Berg that sich auf und er ging hinein. Da lagen die Reichthu&#x0364;mer alle vor ihm, und er wußte lange nicht, wozu er am ersten greifen sollte, endlich lud er Edelsteine auf, so viel er tragen konnte und wollte sie hinausbringen. Er kehrte also um, weil aber Herz und Sinn ganz voll von den Scha&#x0364;tzen waren, hatte er daru&#x0364;ber den Namen des Bergs vergessen, und rief: &#x201E;Berg <hi rendition="#g">Simeli</hi>! Berg <hi rendition="#g">Simeli</hi>! thu dich auf!&#x201C; Aber das war der rechte Name nicht und der Berg regte sich nicht und blieb verschlossen. Da ward ihm angst, aber je la&#x0364;nger er nachsann, desto mehr verwirrten sich seine Gedanken und halfen ihm alle Scha&#x0364;tze nichts mehr. Am Abend that sich der Berg auf und die zwo&#x0364;lf Ra&#x0364;uber kamen herein, und als sie ihn sahen, waren sie froh und riefen: &#x201E;Vogel, haben wir dich endlich, meinst du wir ha&#x0364;tten&#x2019;s nicht gemerkt, daß du zwei Mal hereingekommen bist, aber wir konnten dich nicht fangen, zum drittenmal sollst du nicht wieder heraus.&#x201C; Da rief er: &#x201E;ich war&#x2019;s nicht; mein Bruder war&#x2019;s!&#x201C;
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[258/0336] den Boden mit Pech, und wie er das Maß wieder bekam, so war ein Goldstuͤck darin haͤngen geblieben. Alsbald ging er zu seinem Bruder und fragte ihn: „was hast du mit dem Scheffel gemessen?“ „Korn und Gerste,“ sagte der andere. Da zeigte er ihm das Goldstuͤck und drohte ihm, wenn er nicht die Wahrheit sagte, so wollt’ er ihn beim Gericht verklagen. Er erzaͤhlte ihm nun alles, wie es zugegangen war; der Reiche aber ließ gleich einen Wagen anspannen, fuhr hinaus, und dachte ganz andere Schaͤtze mitzubringen. Wie er vor den Berg kam, rief er: „Berg Semsi! Berg Semsi! thu dich auf!“ der Berg that sich auf und er ging hinein. Da lagen die Reichthuͤmer alle vor ihm, und er wußte lange nicht, wozu er am ersten greifen sollte, endlich lud er Edelsteine auf, so viel er tragen konnte und wollte sie hinausbringen. Er kehrte also um, weil aber Herz und Sinn ganz voll von den Schaͤtzen waren, hatte er daruͤber den Namen des Bergs vergessen, und rief: „Berg Simeli! Berg Simeli! thu dich auf!“ Aber das war der rechte Name nicht und der Berg regte sich nicht und blieb verschlossen. Da ward ihm angst, aber je laͤnger er nachsann, desto mehr verwirrten sich seine Gedanken und halfen ihm alle Schaͤtze nichts mehr. Am Abend that sich der Berg auf und die zwoͤlf Raͤuber kamen herein, und als sie ihn sahen, waren sie froh und riefen: „Vogel, haben wir dich endlich, meinst du wir haͤtten’s nicht gemerkt, daß du zwei Mal hereingekommen bist, aber wir konnten dich nicht fangen, zum drittenmal sollst du nicht wieder heraus.“ Da rief er: „ich war’s nicht; mein Bruder war’s!“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Bayerische Staatsbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-06-15T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12546-6) in Bd. 2, S. 305–308 ein Wörterverzeichnis mit Begriffserläuterungen.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1819/336
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1819/336>, abgerufen am 21.11.2024.