Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819.eben ausgegangen mit ein wenig Band zu handeln." Sie sprachen aber: "kommt einmal mit, wir wollen euch zu ihm hinführen" und brachten sie ins Schloß hinauf, und wie sie in den Saal kam, stand da ihr Mann in königlichen Kleidern. Sie erkannte ihn aber nicht, bis er ihr um den Hals fiel, sie küßte und sprach: "ich habe so viel für dich gelitten, da hast du auch für mich leiden sollen." Nun ward erst recht die Hochzeit gefeiert, und der's erzählt hat, wollte, er wär' auch dabei gewesen. 135.
Die weiße und schwarze Braut. Eine Frau ging mit ihrer Tochter und Stieftochter über Feld, Futter zu schneiden. Da kam der liebe Gott als ein armer Mann zu ihnen gegangen und fragte: "wo führt der Weg ins Dorf?" "Ei, sprach die Mutter, sucht ihn selber," und die Tochter setzte noch hinzu: "habt ihr Sorge, daß ihr ihn nicht findet, so bringt euch einen Wegweiser mit." Die Stieftochter aber sprach: "armer Mann, ich will dich führen, komm mit mir." Da erzürnte der liebe Gott über die Mutter und Tochter, wendete ihnen den Rücken zu und verwünschte sie, daß sie sollten schwarz werden wie die Nacht, und häßlich wie die Sünde. Der armen Stieftochter aber ward Gott gnädig und ging mit ihr, und als sie nah am Dorf waren, sprach er einen Segen über sie und sagte: "wähl dir drei Sachen aus, die will ich dir gewähren." Da sprach das Mädchen: "ich möchte gern schön werden, wie die Sonne," alsbald eben ausgegangen mit ein wenig Band zu handeln.“ Sie sprachen aber: „kommt einmal mit, wir wollen euch zu ihm hinfuͤhren“ und brachten sie ins Schloß hinauf, und wie sie in den Saal kam, stand da ihr Mann in koͤniglichen Kleidern. Sie erkannte ihn aber nicht, bis er ihr um den Hals fiel, sie kuͤßte und sprach: „ich habe so viel fuͤr dich gelitten, da hast du auch fuͤr mich leiden sollen.“ Nun ward erst recht die Hochzeit gefeiert, und der’s erzaͤhlt hat, wollte, er waͤr’ auch dabei gewesen. 135.
Die weiße und schwarze Braut. Eine Frau ging mit ihrer Tochter und Stieftochter uͤber Feld, Futter zu schneiden. Da kam der liebe Gott als ein armer Mann zu ihnen gegangen und fragte: „wo fuͤhrt der Weg ins Dorf?“ „Ei, sprach die Mutter, sucht ihn selber,“ und die Tochter setzte noch hinzu: „habt ihr Sorge, daß ihr ihn nicht findet, so bringt euch einen Wegweiser mit.“ Die Stieftochter aber sprach: „armer Mann, ich will dich fuͤhren, komm mit mir.“ Da erzuͤrnte der liebe Gott uͤber die Mutter und Tochter, wendete ihnen den Ruͤcken zu und verwuͤnschte sie, daß sie sollten schwarz werden wie die Nacht, und haͤßlich wie die Suͤnde. Der armen Stieftochter aber ward Gott gnaͤdig und ging mit ihr, und als sie nah am Dorf waren, sprach er einen Segen uͤber sie und sagte: „waͤhl dir drei Sachen aus, die will ich dir gewaͤhren.“ Da sprach das Maͤdchen: „ich moͤchte gern schoͤn werden, wie die Sonne,“ alsbald <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0317" n="239"/> eben ausgegangen mit ein wenig Band zu handeln.“ Sie sprachen aber: „kommt einmal mit, wir wollen euch zu ihm hinfuͤhren“ und brachten sie ins Schloß hinauf, und wie sie in den Saal kam, stand da ihr Mann in koͤniglichen Kleidern. Sie erkannte ihn aber nicht, bis er ihr um den Hals fiel, sie kuͤßte und sprach: „ich habe so viel fuͤr dich gelitten, da hast du auch fuͤr mich leiden sollen.“ Nun ward erst recht die Hochzeit gefeiert, und der’s erzaͤhlt hat, wollte, er waͤr’ auch dabei gewesen.</p> </div><lb/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">135.<lb/> Die weiße und schwarze Braut.</hi> </head><lb/> <p>Eine Frau ging mit ihrer Tochter und Stieftochter uͤber Feld, Futter zu schneiden. Da kam der liebe Gott als ein armer Mann zu ihnen gegangen und fragte: „wo fuͤhrt der Weg ins Dorf?“ „Ei, sprach die Mutter, sucht ihn selber,“ und die Tochter setzte noch hinzu: „habt ihr Sorge, daß ihr ihn nicht findet, so bringt euch einen Wegweiser mit.“ Die Stieftochter aber sprach: „armer Mann, ich will dich fuͤhren, komm mit mir.“ Da erzuͤrnte der liebe Gott uͤber die Mutter und Tochter, wendete ihnen den Ruͤcken zu und verwuͤnschte sie, daß sie sollten schwarz werden wie die Nacht, und haͤßlich wie die Suͤnde. Der armen Stieftochter aber ward Gott gnaͤdig und ging mit ihr, und als sie nah am Dorf waren, sprach er einen Segen uͤber sie und sagte: „waͤhl dir drei Sachen aus, die will ich dir gewaͤhren.“ Da sprach das Maͤdchen: „ich moͤchte gern schoͤn werden, wie die Sonne,“ alsbald </p> </div> </body> </text> </TEI> [239/0317]
eben ausgegangen mit ein wenig Band zu handeln.“ Sie sprachen aber: „kommt einmal mit, wir wollen euch zu ihm hinfuͤhren“ und brachten sie ins Schloß hinauf, und wie sie in den Saal kam, stand da ihr Mann in koͤniglichen Kleidern. Sie erkannte ihn aber nicht, bis er ihr um den Hals fiel, sie kuͤßte und sprach: „ich habe so viel fuͤr dich gelitten, da hast du auch fuͤr mich leiden sollen.“ Nun ward erst recht die Hochzeit gefeiert, und der’s erzaͤhlt hat, wollte, er waͤr’ auch dabei gewesen.
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Die weiße und schwarze Braut.
Eine Frau ging mit ihrer Tochter und Stieftochter uͤber Feld, Futter zu schneiden. Da kam der liebe Gott als ein armer Mann zu ihnen gegangen und fragte: „wo fuͤhrt der Weg ins Dorf?“ „Ei, sprach die Mutter, sucht ihn selber,“ und die Tochter setzte noch hinzu: „habt ihr Sorge, daß ihr ihn nicht findet, so bringt euch einen Wegweiser mit.“ Die Stieftochter aber sprach: „armer Mann, ich will dich fuͤhren, komm mit mir.“ Da erzuͤrnte der liebe Gott uͤber die Mutter und Tochter, wendete ihnen den Ruͤcken zu und verwuͤnschte sie, daß sie sollten schwarz werden wie die Nacht, und haͤßlich wie die Suͤnde. Der armen Stieftochter aber ward Gott gnaͤdig und ging mit ihr, und als sie nah am Dorf waren, sprach er einen Segen uͤber sie und sagte: „waͤhl dir drei Sachen aus, die will ich dir gewaͤhren.“ Da sprach das Maͤdchen: „ich moͤchte gern schoͤn werden, wie die Sonne,“ alsbald
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Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12546-6) in Bd. 2, S. 305–308 ein Wörterverzeichnis mit Begriffserläuterungen.
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