Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite

Am andern Tag sprach die Mutter zu Dreiäuglein: "geh du mit hinaus und hab Acht, ob Zweiäuglein draußen ißt und ob ihm jemand Essen und Trinken bringt, denn essen und trinken muß es doch." Da trat Dreiäuglein zum Zweiäuglein und sprach: "ich will mitgehen und sehen, ob auch die Ziege recht gehütet und ins Futter getrieben wird." Aber Zweiäuglein merkte, was Dreiäuglein im Sinne hatte und trieb die Ziege hinaus ins hohe Gras und sprach: "wir wollen uns dahin setzen, Dreiäuglein, ich will dir was vorsingen." Dreiäuglein setzte sich und war müd von dem Weg und der Sonnenhitze und Zweiäuglein hub wieder das vorige Liedlein an und sang:

"Dreiäuglein, wachst du?"

aber statt daß es nun singen mußte:

"Dreiäuglein, schläfst du?"

sang es aus Unbedachtsamkeit:

"Zweiäuglein, schläfst du?"

und sang immer:

"Dreiäuglein, wachst du?
Zweiäuglein, schläfst du?"

Da fielen dem Dreiäuglein seine zwei Augen zu und schliefen, aber das dritte, das von dem Sprüchlein nicht angeredet wurde, schlief nicht ein, doch Dreiäuglein that es zu, aber aus List, gleich als schlief es auch damit, doch blinzelte es und konnte alles gar wohl sehen. Und als Zweiäuglein meinte, Dreiäuglein schlafe fest, sagte es sein Sprüchlein:


Am andern Tag sprach die Mutter zu Dreiaͤuglein: „geh du mit hinaus und hab Acht, ob Zweiaͤuglein draußen ißt und ob ihm jemand Essen und Trinken bringt, denn essen und trinken muß es doch.“ Da trat Dreiaͤuglein zum Zweiaͤuglein und sprach: „ich will mitgehen und sehen, ob auch die Ziege recht gehuͤtet und ins Futter getrieben wird.“ Aber Zweiaͤuglein merkte, was Dreiaͤuglein im Sinne hatte und trieb die Ziege hinaus ins hohe Gras und sprach: „wir wollen uns dahin setzen, Dreiaͤuglein, ich will dir was vorsingen.“ Dreiaͤuglein setzte sich und war muͤd von dem Weg und der Sonnenhitze und Zweiaͤuglein hub wieder das vorige Liedlein an und sang:

„Dreiaͤuglein, wachst du?“

aber statt daß es nun singen mußte:

„Dreiaͤuglein, schlaͤfst du?“

sang es aus Unbedachtsamkeit:

Zweiaͤuglein, schlaͤfst du?“

und sang immer:

„Dreiaͤuglein, wachst du?
Zweiaͤuglein, schlaͤfst du?“

Da fielen dem Dreiaͤuglein seine zwei Augen zu und schliefen, aber das dritte, das von dem Spruͤchlein nicht angeredet wurde, schlief nicht ein, doch Dreiaͤuglein that es zu, aber aus List, gleich als schlief es auch damit, doch blinzelte es und konnte alles gar wohl sehen. Und als Zweiaͤuglein meinte, Dreiaͤuglein schlafe fest, sagte es sein Spruͤchlein:


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0294" n="216"/>
        <p> Am andern Tag sprach die Mutter zu Dreia&#x0364;uglein: &#x201E;geh du mit hinaus und hab Acht, ob Zweia&#x0364;uglein draußen ißt und ob ihm jemand Essen und Trinken bringt, denn essen und trinken muß es doch.&#x201C; Da trat Dreia&#x0364;uglein zum Zweia&#x0364;uglein und sprach: &#x201E;ich will mitgehen und sehen, ob auch die Ziege recht gehu&#x0364;tet und ins Futter getrieben wird.&#x201C; Aber Zweia&#x0364;uglein merkte, was Dreia&#x0364;uglein im Sinne hatte und trieb die Ziege hinaus ins hohe Gras und sprach: &#x201E;wir wollen uns dahin setzen, Dreia&#x0364;uglein, ich will dir was vorsingen.&#x201C; Dreia&#x0364;uglein setzte sich und war mu&#x0364;d von dem Weg und der Sonnenhitze und Zweia&#x0364;uglein hub wieder das vorige Liedlein an und sang:</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>&#x201E;Dreia&#x0364;uglein, wachst du?&#x201C;</l><lb/>
        </lg>
        <p>aber statt daß es nun singen mußte:</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>&#x201E;Dreia&#x0364;uglein, schla&#x0364;fst du?&#x201C;</l><lb/>
        </lg>
        <p>sang es aus Unbedachtsamkeit:</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>&#x201E;<hi rendition="#g">Zweia&#x0364;uglein</hi>, schla&#x0364;fst du?&#x201C;</l><lb/>
        </lg>
        <p>und sang immer:</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>&#x201E;Dreia&#x0364;uglein, wachst du?</l><lb/>
          <l><hi rendition="#g">Zweia&#x0364;uglein</hi>, schla&#x0364;fst du?&#x201C;</l><lb/>
        </lg>
        <p>Da fielen dem Dreia&#x0364;uglein seine zwei Augen zu und schliefen, aber das dritte, das von dem Spru&#x0364;chlein nicht angeredet wurde, schlief nicht ein, doch Dreia&#x0364;uglein that es zu, aber aus List, gleich als schlief es auch damit, doch blinzelte es und konnte alles gar wohl sehen. Und als Zweia&#x0364;uglein meinte, Dreia&#x0364;uglein schlafe fest, sagte es sein Spru&#x0364;chlein:</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[216/0294] Am andern Tag sprach die Mutter zu Dreiaͤuglein: „geh du mit hinaus und hab Acht, ob Zweiaͤuglein draußen ißt und ob ihm jemand Essen und Trinken bringt, denn essen und trinken muß es doch.“ Da trat Dreiaͤuglein zum Zweiaͤuglein und sprach: „ich will mitgehen und sehen, ob auch die Ziege recht gehuͤtet und ins Futter getrieben wird.“ Aber Zweiaͤuglein merkte, was Dreiaͤuglein im Sinne hatte und trieb die Ziege hinaus ins hohe Gras und sprach: „wir wollen uns dahin setzen, Dreiaͤuglein, ich will dir was vorsingen.“ Dreiaͤuglein setzte sich und war muͤd von dem Weg und der Sonnenhitze und Zweiaͤuglein hub wieder das vorige Liedlein an und sang: „Dreiaͤuglein, wachst du?“ aber statt daß es nun singen mußte: „Dreiaͤuglein, schlaͤfst du?“ sang es aus Unbedachtsamkeit: „Zweiaͤuglein, schlaͤfst du?“ und sang immer: „Dreiaͤuglein, wachst du? Zweiaͤuglein, schlaͤfst du?“ Da fielen dem Dreiaͤuglein seine zwei Augen zu und schliefen, aber das dritte, das von dem Spruͤchlein nicht angeredet wurde, schlief nicht ein, doch Dreiaͤuglein that es zu, aber aus List, gleich als schlief es auch damit, doch blinzelte es und konnte alles gar wohl sehen. Und als Zweiaͤuglein meinte, Dreiaͤuglein schlafe fest, sagte es sein Spruͤchlein:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Bayerische Staatsbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-06-15T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12546-6) in Bd. 2, S. 305–308 ein Wörterverzeichnis mit Begriffserläuterungen.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1819/294
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1819/294>, abgerufen am 25.11.2024.