Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

blos den Geis hatte er vergessen, da richtete sich
der Teufel an, wollte auch schaffen, und machte
die Geise, mit feinen, langen Schwänzen. Wenn
sie nun zur Weide gingen, blieben sie gewöhnlich
mit ihren Schwänzen in den Dornhecken hängen,
da mußte der Teufel hineingehen und sie mit vie-
ler Mühe losknüpfen; verdroß ihn zuletzt, war
her und biß jeder Geis den Schwanz ab, wie
noch heut' des Tags an den Stümpfen zu sehen ist.

Nun ließ er sie zwar allein weiden, aber es
geschah, daß Gott der Herr zusah, wie sie bald
einen fruchtbaren Baum benagten, bald die edlen
Reben schädigten, bald andere zarte Pflanzen
verderbten. Deß jammerte ihn, so daß er aus
Güte und Gnaden seine Wölfe dran hetzte, die
denn die Geise, so da gingen, bald zerrissen.
Wie der Teufel das vernahm, trat er bald vor
den Herrn und sprach: "dein Geschöpf hat mir
das meine zerrissen." Der Herr antwortete:
"was hattest du es zu Schaden erschaffen?" der
Teufel sagte: "ich mußte das; gleichwie selbst
mein Sinn auf Schaden geht, konnte, was ich
erschaffen, keine andre Natur haben, und mußt
mir's theuer zahlen." -- "Ich zahl' dir's, so-
bald das Eichenlaub abfällt, dann komm, dein
Geld ist schon gezählt." Als das Eichenlaub ab-
gefallen war kam der Teufel und forderte seine
Schuld. Der Herr aber sprach: "In der Kirche
zu Constantinopel steht eine hohe Eiche, die hat

Kindermährchen. II. T

blos den Geis hatte er vergeſſen, da richtete ſich
der Teufel an, wollte auch ſchaffen, und machte
die Geiſe, mit feinen, langen Schwaͤnzen. Wenn
ſie nun zur Weide gingen, blieben ſie gewoͤhnlich
mit ihren Schwaͤnzen in den Dornhecken haͤngen,
da mußte der Teufel hineingehen und ſie mit vie-
ler Muͤhe losknuͤpfen; verdroß ihn zuletzt, war
her und biß jeder Geis den Schwanz ab, wie
noch heut’ des Tags an den Stuͤmpfen zu ſehen iſt.

Nun ließ er ſie zwar allein weiden, aber es
geſchah, daß Gott der Herr zuſah, wie ſie bald
einen fruchtbaren Baum benagten, bald die edlen
Reben ſchaͤdigten, bald andere zarte Pflanzen
verderbten. Deß jammerte ihn, ſo daß er aus
Guͤte und Gnaden ſeine Woͤlfe dran hetzte, die
denn die Geiſe, ſo da gingen, bald zerriſſen.
Wie der Teufel das vernahm, trat er bald vor
den Herrn und ſprach: „dein Geſchoͤpf hat mir
das meine zerriſſen.“ Der Herr antwortete:
„was hatteſt du es zu Schaden erſchaffen?“ der
Teufel ſagte: „ich mußte das; gleichwie ſelbſt
mein Sinn auf Schaden geht, konnte, was ich
erſchaffen, keine andre Natur haben, und mußt
mir’s theuer zahlen.“ — „Ich zahl’ dir’s, ſo-
bald das Eichenlaub abfaͤllt, dann komm, dein
Geld iſt ſchon gezaͤhlt.“ Als das Eichenlaub ab-
gefallen war kam der Teufel und forderte ſeine
Schuld. Der Herr aber ſprach: „In der Kirche
zu Conſtantinopel ſteht eine hohe Eiche, die hat

Kindermährchen. II. T
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0310" n="289"/>
blos den Geis hatte er verge&#x017F;&#x017F;en, da richtete &#x017F;ich<lb/>
der Teufel an, wollte auch &#x017F;chaffen, und machte<lb/>
die Gei&#x017F;e, mit feinen, langen Schwa&#x0364;nzen. Wenn<lb/>
&#x017F;ie nun zur Weide gingen, blieben &#x017F;ie gewo&#x0364;hnlich<lb/>
mit ihren Schwa&#x0364;nzen in den Dornhecken ha&#x0364;ngen,<lb/>
da mußte der Teufel hineingehen und &#x017F;ie mit vie-<lb/>
ler Mu&#x0364;he losknu&#x0364;pfen; verdroß ihn zuletzt, war<lb/>
her und biß jeder Geis den Schwanz ab, wie<lb/>
noch heut&#x2019; des Tags an den Stu&#x0364;mpfen zu &#x017F;ehen i&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>Nun ließ er &#x017F;ie zwar allein weiden, aber es<lb/>
ge&#x017F;chah, daß Gott der Herr zu&#x017F;ah, wie &#x017F;ie bald<lb/>
einen fruchtbaren Baum benagten, bald die edlen<lb/>
Reben &#x017F;cha&#x0364;digten, bald andere zarte Pflanzen<lb/>
verderbten. Deß jammerte ihn, &#x017F;o daß er aus<lb/>
Gu&#x0364;te und Gnaden &#x017F;eine Wo&#x0364;lfe dran hetzte, die<lb/>
denn die Gei&#x017F;e, &#x017F;o da gingen, bald zerri&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Wie der Teufel das vernahm, trat er bald vor<lb/>
den Herrn und &#x017F;prach: &#x201E;dein Ge&#x017F;cho&#x0364;pf hat mir<lb/>
das meine zerri&#x017F;&#x017F;en.&#x201C; Der Herr antwortete:<lb/>
&#x201E;was hatte&#x017F;t du es zu Schaden er&#x017F;chaffen?&#x201C; der<lb/>
Teufel &#x017F;agte: &#x201E;ich mußte das; gleichwie &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
mein Sinn auf Schaden geht, konnte, was ich<lb/>
er&#x017F;chaffen, keine andre Natur haben, und mußt<lb/>
mir&#x2019;s theuer zahlen.&#x201C; &#x2014; &#x201E;Ich zahl&#x2019; dir&#x2019;s, &#x017F;o-<lb/>
bald das Eichenlaub abfa&#x0364;llt, dann komm, dein<lb/>
Geld i&#x017F;t &#x017F;chon geza&#x0364;hlt.&#x201C; Als das Eichenlaub ab-<lb/>
gefallen war kam der Teufel und forderte &#x017F;eine<lb/>
Schuld. Der Herr aber &#x017F;prach: &#x201E;In der Kirche<lb/>
zu Con&#x017F;tantinopel &#x017F;teht eine hohe Eiche, die hat<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Kindermährchen. <hi rendition="#aq">II.</hi> T</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[289/0310] blos den Geis hatte er vergeſſen, da richtete ſich der Teufel an, wollte auch ſchaffen, und machte die Geiſe, mit feinen, langen Schwaͤnzen. Wenn ſie nun zur Weide gingen, blieben ſie gewoͤhnlich mit ihren Schwaͤnzen in den Dornhecken haͤngen, da mußte der Teufel hineingehen und ſie mit vie- ler Muͤhe losknuͤpfen; verdroß ihn zuletzt, war her und biß jeder Geis den Schwanz ab, wie noch heut’ des Tags an den Stuͤmpfen zu ſehen iſt. Nun ließ er ſie zwar allein weiden, aber es geſchah, daß Gott der Herr zuſah, wie ſie bald einen fruchtbaren Baum benagten, bald die edlen Reben ſchaͤdigten, bald andere zarte Pflanzen verderbten. Deß jammerte ihn, ſo daß er aus Guͤte und Gnaden ſeine Woͤlfe dran hetzte, die denn die Geiſe, ſo da gingen, bald zerriſſen. Wie der Teufel das vernahm, trat er bald vor den Herrn und ſprach: „dein Geſchoͤpf hat mir das meine zerriſſen.“ Der Herr antwortete: „was hatteſt du es zu Schaden erſchaffen?“ der Teufel ſagte: „ich mußte das; gleichwie ſelbſt mein Sinn auf Schaden geht, konnte, was ich erſchaffen, keine andre Natur haben, und mußt mir’s theuer zahlen.“ — „Ich zahl’ dir’s, ſo- bald das Eichenlaub abfaͤllt, dann komm, dein Geld iſt ſchon gezaͤhlt.“ Als das Eichenlaub ab- gefallen war kam der Teufel und forderte ſeine Schuld. Der Herr aber ſprach: „In der Kirche zu Conſtantinopel ſteht eine hohe Eiche, die hat Kindermährchen. II. T

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/310
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/310>, abgerufen am 18.12.2024.