von dem Löwen zerrissen worden. Sie erzählte aber, wie gut es ihr ging und blieb bei ihnen, so lang die Hochzeit dauerte, dann fuhr sie wieder zurück in den Wald. Wie die zweite Tochter hei- rathete, und sie wieder zur Hochzeit eingeladen war, sprach sie zum Löwen: "diesmal will ich nicht allein seyn, du mußt mitgehen." Der Löwe aber wollte nicht und sagte, das wäre zu gefähr- lich für ihn, denn wenn ein Strahl eines bren- nenden Lichts ihn anrühre, so würd' er in eine Taube verwandelt und müßte sieben Jahre lang mit den Tauben fliegen. Sie ließ ihm aber keine Ruh', und sagte, sie wollt' ihn schon hüten und bewahren vor allem Licht. Also zogen sie zusam- men und nahmen auch ihr kleines Kind mit. Sie aber ließ dort einen Saal mauern, so stark und dick, daß kein Strahl durchdrang, darin sollt' er sitzen, wenn die Hochzeitslichter angesteckt wür- den. Die Thür aber war von frischem Holz ge- macht, das sprang und bekam einen kleinen Ritz, den kein Mensch bemerkte. Nun ward die Hoch- zeit mit Pracht gefeiert, wie aber der Zug aus der Kirche zurückkam mit den vielen Fackeln und Lichtern an dem Saal des Prinzen vorbei, da fiel ein dünner dünner Strahl auf ihn und wie dieser ihn berührt hatte, in dem Augenblick war er auch verwandelt, und als die Prinzessin hinein kam und ihn suchte, saß blos eine weiße Taube da, die sprach zu ihr: sieben Jahr muß ich nun in die
von dem Loͤwen zerriſſen worden. Sie erzaͤhlte aber, wie gut es ihr ging und blieb bei ihnen, ſo lang die Hochzeit dauerte, dann fuhr ſie wieder zuruͤck in den Wald. Wie die zweite Tochter hei- rathete, und ſie wieder zur Hochzeit eingeladen war, ſprach ſie zum Loͤwen: „diesmal will ich nicht allein ſeyn, du mußt mitgehen.“ Der Loͤwe aber wollte nicht und ſagte, das waͤre zu gefaͤhr- lich fuͤr ihn, denn wenn ein Strahl eines bren- nenden Lichts ihn anruͤhre, ſo wuͤrd’ er in eine Taube verwandelt und muͤßte ſieben Jahre lang mit den Tauben fliegen. Sie ließ ihm aber keine Ruh’, und ſagte, ſie wollt’ ihn ſchon huͤten und bewahren vor allem Licht. Alſo zogen ſie zuſam- men und nahmen auch ihr kleines Kind mit. Sie aber ließ dort einen Saal mauern, ſo ſtark und dick, daß kein Strahl durchdrang, darin ſollt’ er ſitzen, wenn die Hochzeitslichter angeſteckt wuͤr- den. Die Thuͤr aber war von friſchem Holz ge- macht, das ſprang und bekam einen kleinen Ritz, den kein Menſch bemerkte. Nun ward die Hoch- zeit mit Pracht gefeiert, wie aber der Zug aus der Kirche zuruͤckkam mit den vielen Fackeln und Lichtern an dem Saal des Prinzen vorbei, da fiel ein duͤnner duͤnner Strahl auf ihn und wie dieſer ihn beruͤhrt hatte, in dem Augenblick war er auch verwandelt, und als die Prinzeſſin hinein kam und ihn ſuchte, ſaß blos eine weiße Taube da, die ſprach zu ihr: ſieben Jahr muß ich nun in die
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von dem Loͤwen zerriſſen worden. Sie erzaͤhlte
aber, wie gut es ihr ging und blieb bei ihnen, ſo
lang die Hochzeit dauerte, dann fuhr ſie wieder
zuruͤck in den Wald. Wie die zweite Tochter hei-
rathete, und ſie wieder zur Hochzeit eingeladen
war, ſprach ſie zum Loͤwen: „diesmal will ich
nicht allein ſeyn, du mußt mitgehen.“ Der Loͤwe
aber wollte nicht und ſagte, das waͤre zu gefaͤhr-
lich fuͤr ihn, denn wenn ein Strahl eines bren-
nenden Lichts ihn anruͤhre, ſo wuͤrd’ er in eine
Taube verwandelt und muͤßte ſieben Jahre lang
mit den Tauben fliegen. Sie ließ ihm aber keine
Ruh’, und ſagte, ſie wollt’ ihn ſchon huͤten und
bewahren vor allem Licht. Alſo zogen ſie zuſam-
men und nahmen auch ihr kleines Kind mit. Sie
aber ließ dort einen Saal mauern, ſo ſtark und
dick, daß kein Strahl durchdrang, darin ſollt’ er
ſitzen, wenn die Hochzeitslichter angeſteckt wuͤr-
den. Die Thuͤr aber war von friſchem Holz ge-
macht, das ſprang und bekam einen kleinen Ritz,
den kein Menſch bemerkte. Nun ward die Hoch-
zeit mit Pracht gefeiert, wie aber der Zug aus
der Kirche zuruͤckkam mit den vielen Fackeln und
Lichtern an dem Saal des Prinzen vorbei, da fiel
ein duͤnner duͤnner Strahl auf ihn und wie dieſer
ihn beruͤhrt hatte, in dem Augenblick war er auch
verwandelt, und als die Prinzeſſin hinein kam
und ihn ſuchte, ſaß blos eine weiße Taube da,
die ſprach zu ihr: ſieben Jahr muß ich nun in die
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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/31>, abgerufen am 18.12.2024.
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