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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815.

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den Augen waren, stieg der Arme vom Baum
herunter, und war neugierig, was wohl im
Berge heimliches verborgen wäre. Also ging er
davor und sprach: "Berg Semsi! Berg Sem-
si
! thu' dich auf!" und der Berg that sich auch
vor ihm auf. Da trat er hinein und der ganze
Berg war eine Höhle voll Silber und Gold und
hinten lagen große Haufen Perlen und leuchtende
Edelsteine wie Korn aufgeschüttet. Der Arme
wußte gar nicht, was er anfangen sollte, und ob
er sich etwas von den Schätzen nehmen dürfte;
endlich füllte er sich die Taschen mit Gold, die
Perlen und Edelsteine aber ließ er liegen. Als er
wieder herauskam, sprach er gleichfalls: "Berg
Semsi! Berg Semsi! thu' dich zu!" da
schloß sich der Berg, und er fuhr nun mit seinem
Karren nach Haus. Nun brauchte er nicht mehr
zu sorgen, und konnte mit seinem Golde, für Frau
und Kind, Brot und auch Wein dazu kaufen,
lebte fröhlich und redlich, gab den Armen und
that Jedermann Gutes; als aber das Gold all'
war, ging er zu seinem Bruder, lieh einen Schef-
fel, und holte sich von neuem; doch rührte er von
den großen Schätzen nichts an. Wie er sich zum
dritten Mal etwas holen wollte, borgte er bei
seinem Bruder wieder den Scheffel. Der Reiche
war aber schon lange neidisch über sein Vermögen
und den schönen Haushalt, den er sich eingerich-
tet hatte, und konnte nicht begreifen, woher der

Kindermärchen II. S

den Augen waren, ſtieg der Arme vom Baum
herunter, und war neugierig, was wohl im
Berge heimliches verborgen waͤre. Alſo ging er
davor und ſprach: „Berg Semſi! Berg Sem-
ſi
! thu’ dich auf!“ und der Berg that ſich auch
vor ihm auf. Da trat er hinein und der ganze
Berg war eine Hoͤhle voll Silber und Gold und
hinten lagen große Haufen Perlen und leuchtende
Edelſteine wie Korn aufgeſchuͤttet. Der Arme
wußte gar nicht, was er anfangen ſollte, und ob
er ſich etwas von den Schaͤtzen nehmen duͤrfte;
endlich fuͤllte er ſich die Taſchen mit Gold, die
Perlen und Edelſteine aber ließ er liegen. Als er
wieder herauskam, ſprach er gleichfalls: „Berg
Semſi! Berg Semſi! thu’ dich zu!“ da
ſchloß ſich der Berg, und er fuhr nun mit ſeinem
Karren nach Haus. Nun brauchte er nicht mehr
zu ſorgen, und konnte mit ſeinem Golde, fuͤr Frau
und Kind, Brot und auch Wein dazu kaufen,
lebte froͤhlich und redlich, gab den Armen und
that Jedermann Gutes; als aber das Gold all’
war, ging er zu ſeinem Bruder, lieh einen Schef-
fel, und holte ſich von neuem; doch ruͤhrte er von
den großen Schaͤtzen nichts an. Wie er ſich zum
dritten Mal etwas holen wollte, borgte er bei
ſeinem Bruder wieder den Scheffel. Der Reiche
war aber ſchon lange neidiſch uͤber ſein Vermoͤgen
und den ſchoͤnen Haushalt, den er ſich eingerich-
tet hatte, und konnte nicht begreifen, woher der

Kindermärchen II. S
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[273/0294] den Augen waren, ſtieg der Arme vom Baum herunter, und war neugierig, was wohl im Berge heimliches verborgen waͤre. Alſo ging er davor und ſprach: „Berg Semſi! Berg Sem- ſi! thu’ dich auf!“ und der Berg that ſich auch vor ihm auf. Da trat er hinein und der ganze Berg war eine Hoͤhle voll Silber und Gold und hinten lagen große Haufen Perlen und leuchtende Edelſteine wie Korn aufgeſchuͤttet. Der Arme wußte gar nicht, was er anfangen ſollte, und ob er ſich etwas von den Schaͤtzen nehmen duͤrfte; endlich fuͤllte er ſich die Taſchen mit Gold, die Perlen und Edelſteine aber ließ er liegen. Als er wieder herauskam, ſprach er gleichfalls: „Berg Semſi! Berg Semſi! thu’ dich zu!“ da ſchloß ſich der Berg, und er fuhr nun mit ſeinem Karren nach Haus. Nun brauchte er nicht mehr zu ſorgen, und konnte mit ſeinem Golde, fuͤr Frau und Kind, Brot und auch Wein dazu kaufen, lebte froͤhlich und redlich, gab den Armen und that Jedermann Gutes; als aber das Gold all’ war, ging er zu ſeinem Bruder, lieh einen Schef- fel, und holte ſich von neuem; doch ruͤhrte er von den großen Schaͤtzen nichts an. Wie er ſich zum dritten Mal etwas holen wollte, borgte er bei ſeinem Bruder wieder den Scheffel. Der Reiche war aber ſchon lange neidiſch uͤber ſein Vermoͤgen und den ſchoͤnen Haushalt, den er ſich eingerich- tet hatte, und konnte nicht begreifen, woher der Kindermärchen II. S

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/294>, abgerufen am 14.08.2024.