den Augen waren, stieg der Arme vom Baum herunter, und war neugierig, was wohl im Berge heimliches verborgen wäre. Also ging er davor und sprach: "Berg Semsi! Berg Sem- si! thu' dich auf!" und der Berg that sich auch vor ihm auf. Da trat er hinein und der ganze Berg war eine Höhle voll Silber und Gold und hinten lagen große Haufen Perlen und leuchtende Edelsteine wie Korn aufgeschüttet. Der Arme wußte gar nicht, was er anfangen sollte, und ob er sich etwas von den Schätzen nehmen dürfte; endlich füllte er sich die Taschen mit Gold, die Perlen und Edelsteine aber ließ er liegen. Als er wieder herauskam, sprach er gleichfalls: "Berg Semsi! Berg Semsi! thu' dich zu!" da schloß sich der Berg, und er fuhr nun mit seinem Karren nach Haus. Nun brauchte er nicht mehr zu sorgen, und konnte mit seinem Golde, für Frau und Kind, Brot und auch Wein dazu kaufen, lebte fröhlich und redlich, gab den Armen und that Jedermann Gutes; als aber das Gold all' war, ging er zu seinem Bruder, lieh einen Schef- fel, und holte sich von neuem; doch rührte er von den großen Schätzen nichts an. Wie er sich zum dritten Mal etwas holen wollte, borgte er bei seinem Bruder wieder den Scheffel. Der Reiche war aber schon lange neidisch über sein Vermögen und den schönen Haushalt, den er sich eingerich- tet hatte, und konnte nicht begreifen, woher der
Kindermärchen II. S
den Augen waren, ſtieg der Arme vom Baum herunter, und war neugierig, was wohl im Berge heimliches verborgen waͤre. Alſo ging er davor und ſprach: „Berg Semſi! Berg Sem- ſi! thu’ dich auf!“ und der Berg that ſich auch vor ihm auf. Da trat er hinein und der ganze Berg war eine Hoͤhle voll Silber und Gold und hinten lagen große Haufen Perlen und leuchtende Edelſteine wie Korn aufgeſchuͤttet. Der Arme wußte gar nicht, was er anfangen ſollte, und ob er ſich etwas von den Schaͤtzen nehmen duͤrfte; endlich fuͤllte er ſich die Taſchen mit Gold, die Perlen und Edelſteine aber ließ er liegen. Als er wieder herauskam, ſprach er gleichfalls: „Berg Semſi! Berg Semſi! thu’ dich zu!“ da ſchloß ſich der Berg, und er fuhr nun mit ſeinem Karren nach Haus. Nun brauchte er nicht mehr zu ſorgen, und konnte mit ſeinem Golde, fuͤr Frau und Kind, Brot und auch Wein dazu kaufen, lebte froͤhlich und redlich, gab den Armen und that Jedermann Gutes; als aber das Gold all’ war, ging er zu ſeinem Bruder, lieh einen Schef- fel, und holte ſich von neuem; doch ruͤhrte er von den großen Schaͤtzen nichts an. Wie er ſich zum dritten Mal etwas holen wollte, borgte er bei ſeinem Bruder wieder den Scheffel. Der Reiche war aber ſchon lange neidiſch uͤber ſein Vermoͤgen und den ſchoͤnen Haushalt, den er ſich eingerich- tet hatte, und konnte nicht begreifen, woher der
Kindermärchen II. S
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0294"n="273"/>
den Augen waren, ſtieg der Arme vom Baum<lb/>
herunter, und war neugierig, was wohl im<lb/>
Berge heimliches verborgen waͤre. Alſo ging er<lb/>
davor und ſprach: „Berg <hirendition="#g">Semſi</hi>! Berg <hirendition="#g">Sem-<lb/>ſi</hi>! thu’ dich auf!“ und der Berg that ſich auch<lb/>
vor ihm auf. Da trat er hinein und der ganze<lb/>
Berg war eine Hoͤhle voll Silber und Gold und<lb/>
hinten lagen große Haufen Perlen und leuchtende<lb/>
Edelſteine wie Korn aufgeſchuͤttet. Der Arme<lb/>
wußte gar nicht, was er anfangen ſollte, und ob<lb/>
er ſich etwas von den Schaͤtzen nehmen duͤrfte;<lb/>
endlich fuͤllte er ſich die Taſchen mit Gold, die<lb/>
Perlen und Edelſteine aber ließ er liegen. Als er<lb/>
wieder herauskam, ſprach er gleichfalls: „Berg<lb/><hirendition="#g">Semſi</hi>! Berg <hirendition="#g">Semſi</hi>! thu’ dich zu!“ da<lb/>ſchloß ſich der Berg, und er fuhr nun mit ſeinem<lb/>
Karren nach Haus. Nun brauchte er nicht mehr<lb/>
zu ſorgen, und konnte mit ſeinem Golde, fuͤr Frau<lb/>
und Kind, Brot und auch Wein dazu kaufen,<lb/>
lebte froͤhlich und redlich, gab den Armen und<lb/>
that Jedermann Gutes; als aber das Gold all’<lb/>
war, ging er zu ſeinem Bruder, lieh einen Schef-<lb/>
fel, und holte ſich von neuem; doch ruͤhrte er von<lb/>
den großen Schaͤtzen nichts an. Wie er ſich zum<lb/>
dritten Mal etwas holen wollte, borgte er bei<lb/>ſeinem Bruder wieder den Scheffel. Der Reiche<lb/>
war aber ſchon lange neidiſch uͤber ſein Vermoͤgen<lb/>
und den ſchoͤnen Haushalt, den er ſich eingerich-<lb/>
tet hatte, und konnte nicht begreifen, woher der<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Kindermärchen <hirendition="#aq">II.</hi> S</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[273/0294]
den Augen waren, ſtieg der Arme vom Baum
herunter, und war neugierig, was wohl im
Berge heimliches verborgen waͤre. Alſo ging er
davor und ſprach: „Berg Semſi! Berg Sem-
ſi! thu’ dich auf!“ und der Berg that ſich auch
vor ihm auf. Da trat er hinein und der ganze
Berg war eine Hoͤhle voll Silber und Gold und
hinten lagen große Haufen Perlen und leuchtende
Edelſteine wie Korn aufgeſchuͤttet. Der Arme
wußte gar nicht, was er anfangen ſollte, und ob
er ſich etwas von den Schaͤtzen nehmen duͤrfte;
endlich fuͤllte er ſich die Taſchen mit Gold, die
Perlen und Edelſteine aber ließ er liegen. Als er
wieder herauskam, ſprach er gleichfalls: „Berg
Semſi! Berg Semſi! thu’ dich zu!“ da
ſchloß ſich der Berg, und er fuhr nun mit ſeinem
Karren nach Haus. Nun brauchte er nicht mehr
zu ſorgen, und konnte mit ſeinem Golde, fuͤr Frau
und Kind, Brot und auch Wein dazu kaufen,
lebte froͤhlich und redlich, gab den Armen und
that Jedermann Gutes; als aber das Gold all’
war, ging er zu ſeinem Bruder, lieh einen Schef-
fel, und holte ſich von neuem; doch ruͤhrte er von
den großen Schaͤtzen nichts an. Wie er ſich zum
dritten Mal etwas holen wollte, borgte er bei
ſeinem Bruder wieder den Scheffel. Der Reiche
war aber ſchon lange neidiſch uͤber ſein Vermoͤgen
und den ſchoͤnen Haushalt, den er ſich eingerich-
tet hatte, und konnte nicht begreifen, woher der
Kindermärchen II. S
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/294>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.