nun ein gut Stück fortgelaufen war, kamen sie vor eine Höhle, da trug sie der Löwe hinein und sie fürchtete sich nicht und wollte auch nicht herab- springen, weil der Löwe so freundlich war. Also ging's durch die Höhle, die immer dunkler war und endlich ganz stockfinster, und als das ein Weil- chen gedauert hatte, kamen sie wieder an das Tagslicht in einen wunderschönen Garten. Da war alles so frisch und glänzte in der Sonne, und mittendrin stand ein prächtiger Pallast. Wie sie an's Thor kamen, hielt der Löwe und die Prin- zessin stieg von seinem Rücken herunter. Da fing der Löwe an zu sprechen und sagte: "in dem schönen Haus sollst du wohnen und mir dienen, und wenn du alles erfüllst was ich fordere, so wirst du deinen Bruder wiedersehen."
Da diente die Prinzessin dem Löwen und ge- horchte ihm in allen Stücken. Einmal ging sie in dem Garten spatziren, darin war es so schön und doch war sie traurig, weil sie so allein und von aller Welt verlassen war. Wie sie so auf und ab ging, ward sie einen Teich gewahr und auf der Mitte des Teichs war eine kleine Insel mit einem Zelt. Da sah sie, daß unter dem Zelt ein grasgrüner Laubfrosch saß und hatte ein Ro- senblatt auf dem Kopf statt einer Haube. Der Frosch guckte sie an und sprach: "warum bist du so traurig?" "Ach, sagte sie, warum sollte ich nicht traurig seyn?" und klagte ihm da recht ihre
Roth.
nun ein gut Stuͤck fortgelaufen war, kamen ſie vor eine Hoͤhle, da trug ſie der Loͤwe hinein und ſie fuͤrchtete ſich nicht und wollte auch nicht herab- ſpringen, weil der Loͤwe ſo freundlich war. Alſo ging’s durch die Hoͤhle, die immer dunkler war und endlich ganz ſtockfinſter, und als das ein Weil- chen gedauert hatte, kamen ſie wieder an das Tagslicht in einen wunderſchoͤnen Garten. Da war alles ſo friſch und glaͤnzte in der Sonne, und mittendrin ſtand ein praͤchtiger Pallaſt. Wie ſie an’s Thor kamen, hielt der Loͤwe und die Prin- zeſſin ſtieg von ſeinem Ruͤcken herunter. Da fing der Loͤwe an zu ſprechen und ſagte: „in dem ſchoͤnen Haus ſollſt du wohnen und mir dienen, und wenn du alles erfuͤllſt was ich fordere, ſo wirſt du deinen Bruder wiederſehen.“
Da diente die Prinzeſſin dem Loͤwen und ge- horchte ihm in allen Stuͤcken. Einmal ging ſie in dem Garten ſpatziren, darin war es ſo ſchoͤn und doch war ſie traurig, weil ſie ſo allein und von aller Welt verlaſſen war. Wie ſie ſo auf und ab ging, ward ſie einen Teich gewahr und auf der Mitte des Teichs war eine kleine Inſel mit einem Zelt. Da ſah ſie, daß unter dem Zelt ein grasgruͤner Laubfroſch ſaß und hatte ein Ro- ſenblatt auf dem Kopf ſtatt einer Haube. Der Froſch guckte ſie an und ſprach: „warum biſt du ſo traurig?“ „Ach, ſagte ſie, warum ſollte ich nicht traurig ſeyn?“ und klagte ihm da recht ihre
Roth.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0245"n="224"/>
nun ein gut Stuͤck fortgelaufen war, kamen ſie<lb/>
vor eine Hoͤhle, da trug ſie der Loͤwe hinein und<lb/>ſie fuͤrchtete ſich nicht und wollte auch nicht herab-<lb/>ſpringen, weil der Loͤwe ſo freundlich war. Alſo<lb/>
ging’s durch die Hoͤhle, die immer dunkler war<lb/>
und endlich ganz ſtockfinſter, und als das ein Weil-<lb/>
chen gedauert hatte, kamen ſie wieder an das<lb/>
Tagslicht in einen wunderſchoͤnen Garten. Da<lb/>
war alles ſo friſch und glaͤnzte in der Sonne, und<lb/>
mittendrin ſtand ein praͤchtiger Pallaſt. Wie<lb/>ſie an’s Thor kamen, hielt der Loͤwe und die Prin-<lb/>
zeſſin ſtieg von ſeinem Ruͤcken herunter. Da fing<lb/>
der Loͤwe an zu ſprechen und ſagte: „in dem<lb/>ſchoͤnen Haus ſollſt du wohnen und mir dienen,<lb/>
und wenn du alles erfuͤllſt was ich fordere, ſo<lb/>
wirſt du deinen Bruder wiederſehen.“</p><lb/><p>Da diente die Prinzeſſin dem Loͤwen und ge-<lb/>
horchte ihm in allen Stuͤcken. Einmal ging ſie<lb/>
in dem Garten ſpatziren, darin war es ſo ſchoͤn<lb/>
und doch war ſie traurig, weil ſie ſo allein und<lb/>
von aller Welt verlaſſen war. Wie ſie ſo auf<lb/>
und ab ging, ward ſie einen Teich gewahr und<lb/>
auf der Mitte des Teichs war eine kleine Inſel<lb/>
mit einem Zelt. Da ſah ſie, daß unter dem Zelt<lb/>
ein grasgruͤner Laubfroſch ſaß und hatte ein Ro-<lb/>ſenblatt auf dem Kopf ſtatt einer Haube. Der<lb/>
Froſch guckte ſie an und ſprach: „warum biſt du<lb/>ſo traurig?“„Ach, ſagte ſie, warum ſollte ich<lb/>
nicht traurig ſeyn?“ und klagte ihm da recht ihre<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Roth.</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[224/0245]
nun ein gut Stuͤck fortgelaufen war, kamen ſie
vor eine Hoͤhle, da trug ſie der Loͤwe hinein und
ſie fuͤrchtete ſich nicht und wollte auch nicht herab-
ſpringen, weil der Loͤwe ſo freundlich war. Alſo
ging’s durch die Hoͤhle, die immer dunkler war
und endlich ganz ſtockfinſter, und als das ein Weil-
chen gedauert hatte, kamen ſie wieder an das
Tagslicht in einen wunderſchoͤnen Garten. Da
war alles ſo friſch und glaͤnzte in der Sonne, und
mittendrin ſtand ein praͤchtiger Pallaſt. Wie
ſie an’s Thor kamen, hielt der Loͤwe und die Prin-
zeſſin ſtieg von ſeinem Ruͤcken herunter. Da fing
der Loͤwe an zu ſprechen und ſagte: „in dem
ſchoͤnen Haus ſollſt du wohnen und mir dienen,
und wenn du alles erfuͤllſt was ich fordere, ſo
wirſt du deinen Bruder wiederſehen.“
Da diente die Prinzeſſin dem Loͤwen und ge-
horchte ihm in allen Stuͤcken. Einmal ging ſie
in dem Garten ſpatziren, darin war es ſo ſchoͤn
und doch war ſie traurig, weil ſie ſo allein und
von aller Welt verlaſſen war. Wie ſie ſo auf
und ab ging, ward ſie einen Teich gewahr und
auf der Mitte des Teichs war eine kleine Inſel
mit einem Zelt. Da ſah ſie, daß unter dem Zelt
ein grasgruͤner Laubfroſch ſaß und hatte ein Ro-
ſenblatt auf dem Kopf ſtatt einer Haube. Der
Froſch guckte ſie an und ſprach: „warum biſt du
ſo traurig?“ „Ach, ſagte ſie, warum ſollte ich
nicht traurig ſeyn?“ und klagte ihm da recht ihre
Roth.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/245>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.