gegeben hast du mir's, weil ich dir aufgespielt habe," aber der Richter machte das Ding kurz und verurtheilte meinen Knecht zum Tod am Galgen. Schon stand er auf der Leitersprosse, den Strick am Hals, da sprach er: Herr Richter, gewährt mir eine letzte Bitte! "wofern du nicht dein Leben bittest, soll sie gewährt seyn." "Nein, um mein Leben ist's nicht, laßt mich noch eins auf meiner Geige geigen zu guter Letzt. Da schrie der Jud': "bewahre Gott! erlaubt's ihm nicht! erlaubt's ihm nicht!" allein das Gericht sagte: einmal ist es ihm zuge- standen und dabei soll's bewenden, auch durften sie's ihm nicht weigern, weil er die Gabe hatte, daß ihm keiner die Bitte abschlug. Da schrie der Jud': "bindet mich fest, um Gotteswillen!" mein Knecht aber faßte seine Fiedel und that einen Strich, da wankte alles und bewegte sich, Rich- ter, Schreiber und Schergen und den Jud' konnte keiner binden, und er that den zweiten Strich, da ließ ihn der Henker los und tanzte selber, und wie er nun ordentlich in's Geigen kam, tanzte alles zusammen, Gericht und der Jude vornen und alle Leute auf dem Markt die da wollten zu- schauen. Und anfangs ging's lustig, weil aber das Geigen und Tanzen kein Ende nahm, so schrien sie jämmerlich und baten ihn, abzulassen, aber er that's nicht eher, bis ihm der Richter das Leben nicht nur schenkte, sondern auch versprach die hundert Gulden zu lassen. Und erst noch rief
gegeben haſt du mir’s, weil ich dir aufgeſpielt habe,“ aber der Richter machte das Ding kurz und verurtheilte meinen Knecht zum Tod am Galgen. Schon ſtand er auf der Leiterſproſſe, den Strick am Hals, da ſprach er: Herr Richter, gewaͤhrt mir eine letzte Bitte! „wofern du nicht dein Leben bitteſt, ſoll ſie gewaͤhrt ſeyn.“ „Nein, um mein Leben iſt’s nicht, laßt mich noch eins auf meiner Geige geigen zu guter Letzt. Da ſchrie der Jud’: „bewahre Gott! erlaubt’s ihm nicht! erlaubt’s ihm nicht!“ allein das Gericht ſagte: einmal iſt es ihm zuge- ſtanden und dabei ſoll’s bewenden, auch durften ſie’s ihm nicht weigern, weil er die Gabe hatte, daß ihm keiner die Bitte abſchlug. Da ſchrie der Jud’: „bindet mich feſt, um Gotteswillen!“ mein Knecht aber faßte ſeine Fiedel und that einen Strich, da wankte alles und bewegte ſich, Rich- ter, Schreiber und Schergen und den Jud’ konnte keiner binden, und er that den zweiten Strich, da ließ ihn der Henker los und tanzte ſelber, und wie er nun ordentlich in’s Geigen kam, tanzte alles zuſammen, Gericht und der Jude vornen und alle Leute auf dem Markt die da wollten zu- ſchauen. Und anfangs ging’s luſtig, weil aber das Geigen und Tanzen kein Ende nahm, ſo ſchrien ſie jaͤmmerlich und baten ihn, abzulaſſen, aber er that’s nicht eher, bis ihm der Richter das Leben nicht nur ſchenkte, ſondern auch verſprach die hundert Gulden zu laſſen. Und erſt noch rief
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0158"n="137"/>
gegeben haſt du mir’s, weil ich dir aufgeſpielt<lb/>
habe,“ aber der Richter machte das Ding kurz und<lb/>
verurtheilte meinen Knecht zum Tod am Galgen.<lb/>
Schon ſtand er auf der Leiterſproſſe, den Strick am<lb/>
Hals, da ſprach er: Herr Richter, gewaͤhrt mir eine<lb/>
letzte Bitte! „wofern du nicht dein Leben bitteſt, ſoll<lb/>ſie gewaͤhrt ſeyn.“„Nein, um mein Leben iſt’s<lb/>
nicht, laßt mich noch eins auf meiner Geige geigen<lb/>
zu guter Letzt. Da ſchrie der Jud’: „bewahre<lb/>
Gott! erlaubt’s ihm nicht! erlaubt’s ihm nicht!“<lb/>
allein das Gericht ſagte: einmal iſt es ihm zuge-<lb/>ſtanden und dabei ſoll’s bewenden, auch durften<lb/>ſie’s ihm nicht weigern, weil er die Gabe hatte,<lb/>
daß ihm keiner die Bitte abſchlug. Da ſchrie der<lb/>
Jud’: „bindet mich feſt, um Gotteswillen!“<lb/>
mein Knecht aber faßte ſeine Fiedel und that einen<lb/>
Strich, da wankte alles und bewegte ſich, Rich-<lb/>
ter, Schreiber und Schergen und den Jud’ konnte<lb/>
keiner binden, und er that den zweiten Strich,<lb/>
da ließ ihn der Henker los und tanzte ſelber, und<lb/>
wie er nun ordentlich in’s Geigen kam, tanzte<lb/>
alles zuſammen, Gericht und der Jude vornen<lb/>
und alle Leute auf dem Markt die da wollten zu-<lb/>ſchauen. Und anfangs ging’s luſtig, weil aber<lb/>
das Geigen und Tanzen kein Ende nahm, ſo<lb/>ſchrien ſie jaͤmmerlich und baten ihn, abzulaſſen,<lb/>
aber er that’s nicht eher, bis ihm der Richter das<lb/>
Leben nicht nur ſchenkte, ſondern auch verſprach<lb/>
die hundert Gulden zu laſſen. Und erſt noch rief<lb/></p></div></body></text></TEI>
[137/0158]
gegeben haſt du mir’s, weil ich dir aufgeſpielt
habe,“ aber der Richter machte das Ding kurz und
verurtheilte meinen Knecht zum Tod am Galgen.
Schon ſtand er auf der Leiterſproſſe, den Strick am
Hals, da ſprach er: Herr Richter, gewaͤhrt mir eine
letzte Bitte! „wofern du nicht dein Leben bitteſt, ſoll
ſie gewaͤhrt ſeyn.“ „Nein, um mein Leben iſt’s
nicht, laßt mich noch eins auf meiner Geige geigen
zu guter Letzt. Da ſchrie der Jud’: „bewahre
Gott! erlaubt’s ihm nicht! erlaubt’s ihm nicht!“
allein das Gericht ſagte: einmal iſt es ihm zuge-
ſtanden und dabei ſoll’s bewenden, auch durften
ſie’s ihm nicht weigern, weil er die Gabe hatte,
daß ihm keiner die Bitte abſchlug. Da ſchrie der
Jud’: „bindet mich feſt, um Gotteswillen!“
mein Knecht aber faßte ſeine Fiedel und that einen
Strich, da wankte alles und bewegte ſich, Rich-
ter, Schreiber und Schergen und den Jud’ konnte
keiner binden, und er that den zweiten Strich,
da ließ ihn der Henker los und tanzte ſelber, und
wie er nun ordentlich in’s Geigen kam, tanzte
alles zuſammen, Gericht und der Jude vornen
und alle Leute auf dem Markt die da wollten zu-
ſchauen. Und anfangs ging’s luſtig, weil aber
das Geigen und Tanzen kein Ende nahm, ſo
ſchrien ſie jaͤmmerlich und baten ihn, abzulaſſen,
aber er that’s nicht eher, bis ihm der Richter das
Leben nicht nur ſchenkte, ſondern auch verſprach
die hundert Gulden zu laſſen. Und erſt noch rief
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/158>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.