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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815.

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müssen uns da rechts einschlagen, wenn wir an
die Gränze kommen wollen." -- "Ei! Gott be-
wahre, da gehts ja gerade wieder in die Stadt
zurück, links müssen wir weiter." -- "Was
willst du dich mausig machen," riefen die zwei,
drangen auf ihn ein, schlugen ihn, bis er nieder-
fiel, und nahmen ihm sein Geld aus den Taschen;
das war aber noch nicht genug, sie stachen ihm
auch die Augen aus, schleppten ihn zum Galgen
und banden ihn daran fest. Da ließen sie ihn,
und gingen mit dem gestohlenen Geld in die
Stadt zurück.

Der arme Blinde wußte aber nicht, an wel-
chem schlechten Ort er war, fühlte um sich und
merkte, daß er unter einem Balken Holz saß.
Da meinte er, es wäre ein Kreutz, sprach: "es
ist doch gut von ihnen, daß sie mich wenigstens
unter ein Kreutz gebunden haben, Gott ist bei
mir," und fing an recht zu Gott zu beten. Wie
es ungefähr Nacht werden mochte, hörte er etwas
flattern; das waren aber drei Krähen, die ließen
sich auf dem Balken nieder. Darnach hörte er,
wie eine sprach: "Schwester, was bringt ihr
Gutes? ja, wenn die Menschen wüßten, was
wir wissen! die Königstochter ist krank und der
alte König hat sie demjenigen versprochen, der sie
heilt, das kann aber keiner, denn sie wird nur
gesund, wenn die Kröte in dem Teich dort zu
Asche verbrannt wird und sie die Asche trinkt."

muͤſſen uns da rechts einſchlagen, wenn wir an
die Graͤnze kommen wollen.“ — „Ei! Gott be-
wahre, da gehts ja gerade wieder in die Stadt
zuruͤck, links muͤſſen wir weiter.“ — „Was
willſt du dich mauſig machen,“ riefen die zwei,
drangen auf ihn ein, ſchlugen ihn, bis er nieder-
fiel, und nahmen ihm ſein Geld aus den Taſchen;
das war aber noch nicht genug, ſie ſtachen ihm
auch die Augen aus, ſchleppten ihn zum Galgen
und banden ihn daran feſt. Da ließen ſie ihn,
und gingen mit dem geſtohlenen Geld in die
Stadt zuruͤck.

Der arme Blinde wußte aber nicht, an wel-
chem ſchlechten Ort er war, fuͤhlte um ſich und
merkte, daß er unter einem Balken Holz ſaß.
Da meinte er, es waͤre ein Kreutz, ſprach: „es
iſt doch gut von ihnen, daß ſie mich wenigſtens
unter ein Kreutz gebunden haben, Gott iſt bei
mir,“ und fing an recht zu Gott zu beten. Wie
es ungefaͤhr Nacht werden mochte, hoͤrte er etwas
flattern; das waren aber drei Kraͤhen, die ließen
ſich auf dem Balken nieder. Darnach hoͤrte er,
wie eine ſprach: „Schweſter, was bringt ihr
Gutes? ja, wenn die Menſchen wuͤßten, was
wir wiſſen! die Koͤnigstochter iſt krank und der
alte Koͤnig hat ſie demjenigen verſprochen, der ſie
heilt, das kann aber keiner, denn ſie wird nur
geſund, wenn die Kroͤte in dem Teich dort zu
Aſche verbrannt wird und ſie die Aſche trinkt.“

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[121/0142] muͤſſen uns da rechts einſchlagen, wenn wir an die Graͤnze kommen wollen.“ — „Ei! Gott be- wahre, da gehts ja gerade wieder in die Stadt zuruͤck, links muͤſſen wir weiter.“ — „Was willſt du dich mauſig machen,“ riefen die zwei, drangen auf ihn ein, ſchlugen ihn, bis er nieder- fiel, und nahmen ihm ſein Geld aus den Taſchen; das war aber noch nicht genug, ſie ſtachen ihm auch die Augen aus, ſchleppten ihn zum Galgen und banden ihn daran feſt. Da ließen ſie ihn, und gingen mit dem geſtohlenen Geld in die Stadt zuruͤck. Der arme Blinde wußte aber nicht, an wel- chem ſchlechten Ort er war, fuͤhlte um ſich und merkte, daß er unter einem Balken Holz ſaß. Da meinte er, es waͤre ein Kreutz, ſprach: „es iſt doch gut von ihnen, daß ſie mich wenigſtens unter ein Kreutz gebunden haben, Gott iſt bei mir,“ und fing an recht zu Gott zu beten. Wie es ungefaͤhr Nacht werden mochte, hoͤrte er etwas flattern; das waren aber drei Kraͤhen, die ließen ſich auf dem Balken nieder. Darnach hoͤrte er, wie eine ſprach: „Schweſter, was bringt ihr Gutes? ja, wenn die Menſchen wuͤßten, was wir wiſſen! die Koͤnigstochter iſt krank und der alte Koͤnig hat ſie demjenigen verſprochen, der ſie heilt, das kann aber keiner, denn ſie wird nur geſund, wenn die Kroͤte in dem Teich dort zu Aſche verbrannt wird und ſie die Aſche trinkt.“

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/142>, abgerufen am 09.05.2024.