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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815.

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nebenher. Wie er aber vor's Thor kam, sagten
die Leute zu ihm, er wär' der rechte nicht, er
sollte wieder fortgehen. Bald darauf machte sich
der zweite Prinz auf, wie der zur goldenen Straße
kam und das Pferd den einen Fuß darauf gesetzt
hatte, dachte er: "ei! es wäre jammerschade, das
könnte etwas abtreten," lenkte ab und ritt links
nebenher. Wie er aber vor's Thor kam, sagten
die Leute, er wär' der rechte nicht, er sollte wie-
der fortgehen. Als nun das Jahr ganz herum
war, wollte der dritte aus dem Wald fort zu
seiner Liebsten reiten und bei ihr sein Leid verges-
sen. Also machte er sich auf und dachte immer
an sie und wär' gern schon bei ihr gewesen und
sah die goldene Straße gar nicht. Da ritt sein
Pferd mitten darüber hin und als er vor's Thor
kam, ward es aufgethan und die Prinzessin em-
pfing ihn mit Freuden, und sagte, er wär' ihr Er-
löser und der Herr des Königreichs und ward die
Hochzeit gehalten mit großer Glückseligkeit. Und
als sie vorbei war, erzählte sie ihm, daß ihn sein
Vater habe zu sich entboten und ihm verziehen.
Da ritt er hin und sagte ihm alles, wie seine
Brüder ihn betrogen, und er doch dazu geschwie-
gen hätte. Der alte König wollte sie strafen, aber
sie hatten sich auf's Meer gesetzt und waren fort-
geschifft und kamen ihr lebtag nicht wieder.

nebenher. Wie er aber vor’s Thor kam, ſagten
die Leute zu ihm, er waͤr’ der rechte nicht, er
ſollte wieder fortgehen. Bald darauf machte ſich
der zweite Prinz auf, wie der zur goldenen Straße
kam und das Pferd den einen Fuß darauf geſetzt
hatte, dachte er: „ei! es waͤre jammerſchade, das
koͤnnte etwas abtreten,“ lenkte ab und ritt links
nebenher. Wie er aber vor’s Thor kam, ſagten
die Leute, er waͤr’ der rechte nicht, er ſollte wie-
der fortgehen. Als nun das Jahr ganz herum
war, wollte der dritte aus dem Wald fort zu
ſeiner Liebſten reiten und bei ihr ſein Leid vergeſ-
ſen. Alſo machte er ſich auf und dachte immer
an ſie und waͤr’ gern ſchon bei ihr geweſen und
ſah die goldene Straße gar nicht. Da ritt ſein
Pferd mitten daruͤber hin und als er vor’s Thor
kam, ward es aufgethan und die Prinzeſſin em-
pfing ihn mit Freuden, und ſagte, er waͤr’ ihr Er-
loͤſer und der Herr des Koͤnigreichs und ward die
Hochzeit gehalten mit großer Gluͤckſeligkeit. Und
als ſie vorbei war, erzaͤhlte ſie ihm, daß ihn ſein
Vater habe zu ſich entboten und ihm verziehen.
Da ritt er hin und ſagte ihm alles, wie ſeine
Bruͤder ihn betrogen, und er doch dazu geſchwie-
gen haͤtte. Der alte Koͤnig wollte ſie ſtrafen, aber
ſie hatten ſich auf’s Meer geſetzt und waren fort-
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[87/0108] nebenher. Wie er aber vor’s Thor kam, ſagten die Leute zu ihm, er waͤr’ der rechte nicht, er ſollte wieder fortgehen. Bald darauf machte ſich der zweite Prinz auf, wie der zur goldenen Straße kam und das Pferd den einen Fuß darauf geſetzt hatte, dachte er: „ei! es waͤre jammerſchade, das koͤnnte etwas abtreten,“ lenkte ab und ritt links nebenher. Wie er aber vor’s Thor kam, ſagten die Leute, er waͤr’ der rechte nicht, er ſollte wie- der fortgehen. Als nun das Jahr ganz herum war, wollte der dritte aus dem Wald fort zu ſeiner Liebſten reiten und bei ihr ſein Leid vergeſ- ſen. Alſo machte er ſich auf und dachte immer an ſie und waͤr’ gern ſchon bei ihr geweſen und ſah die goldene Straße gar nicht. Da ritt ſein Pferd mitten daruͤber hin und als er vor’s Thor kam, ward es aufgethan und die Prinzeſſin em- pfing ihn mit Freuden, und ſagte, er waͤr’ ihr Er- loͤſer und der Herr des Koͤnigreichs und ward die Hochzeit gehalten mit großer Gluͤckſeligkeit. Und als ſie vorbei war, erzaͤhlte ſie ihm, daß ihn ſein Vater habe zu ſich entboten und ihm verziehen. Da ritt er hin und ſagte ihm alles, wie ſeine Bruͤder ihn betrogen, und er doch dazu geſchwie- gen haͤtte. Der alte Koͤnig wollte ſie ſtrafen, aber ſie hatten ſich auf’s Meer geſetzt und waren fort- geſchifft und kamen ihr lebtag nicht wieder.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/108>, abgerufen am 18.12.2024.