Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1857.er die Glocke, gieng heim, legte sich, ohne ein Wort zu sagen, ins Bett und schlief fort. Die Küsterfrau wartete lange Zeit auf ihren Mann, aber er wollte nicht wieder kommen. Da ward ihr endlich angst, sie weckte den Jungen, und fragte 'weißt du nicht, wo mein Mann geblieben ist? er ist vor dir auf den Thurm gestiegen.' 'Nein,' antwortete der Junge, 'aber da hat einer dem Schallloch gegenüber auf der Treppe gestanden, und weil er keine Antwort geben und auch nicht weggehen wollte, so habe ich ihn für einen Spitzbuben gehalten und hinunter gestoßen. Geht nur hin, so werdet Jhr sehen ob ers gewesen ist, es sollte mir leid thun.' Die Frau sprang fort, und fand ihren Mann, der in einer Ecke lag und jammerte, und ein Bein gebrochen hatte. Sie trug ihn herab und eilte dann mit lautem Geschrei zu dem Vater des Jungen. 'Euer Junge,' rief sie, 'hat ein großes Unglück angerichtet, meinen Mann hat er die Treppe hinab geworfen daß er ein Bein gebrochen hat: schafft den Taugenichts aus unserm Hause.' Der Vater erschrack, kam herbeigelaufen und schalt den Jungen aus. 'Was sind das für gottlose Streiche, die muß dir der Böse eingegeben haben.' 'Vater,' antwortete er, 'hört nur an, ich bin ganz unschuldig: er stand da in der Nacht, wie einer der böses im Sinne hat. Jch wußte nicht wers war, und habe ihn dreimal ermahnt zu reden oder wegzugehen.' 'Ach,' sprach der Vater, 'mit dir erleb ich nur Unglück, geh mir aus den Augen, ich will dich nicht mehr ansehen.' 'Ja, Vater, recht gerne, wartet nur bis Tag ist, da will ich ausgehen und das Gruseln lernen, so versteh ich doch eine Kunst, die mich ernähren kann.' 'Lerne was du willst,' sprach der Vater, 'mir ist alles einerlei. Da hast du funfzig Thaler, damit geh in die weite Welt und sage keinem Menschen wo du her bist und wer dein Vater ist, denn ich muß mich deiner schämen.' 'Ja, Vater, wie ihrs haben wollt, wenn ihr nicht mehr verlangt, das kann ich leicht in Acht behalten.' er die Glocke, gieng heim, legte sich, ohne ein Wort zu sagen, ins Bett und schlief fort. Die Küsterfrau wartete lange Zeit auf ihren Mann, aber er wollte nicht wieder kommen. Da ward ihr endlich angst, sie weckte den Jungen, und fragte ‘weißt du nicht, wo mein Mann geblieben ist? er ist vor dir auf den Thurm gestiegen.’ ‘Nein,’ antwortete der Junge, ‘aber da hat einer dem Schallloch gegenüber auf der Treppe gestanden, und weil er keine Antwort geben und auch nicht weggehen wollte, so habe ich ihn für einen Spitzbuben gehalten und hinunter gestoßen. Geht nur hin, so werdet Jhr sehen ob ers gewesen ist, es sollte mir leid thun.’ Die Frau sprang fort, und fand ihren Mann, der in einer Ecke lag und jammerte, und ein Bein gebrochen hatte. Sie trug ihn herab und eilte dann mit lautem Geschrei zu dem Vater des Jungen. ‘Euer Junge,’ rief sie, ‘hat ein großes Unglück angerichtet, meinen Mann hat er die Treppe hinab geworfen daß er ein Bein gebrochen hat: schafft den Taugenichts aus unserm Hause.’ Der Vater erschrack, kam herbeigelaufen und schalt den Jungen aus. ‘Was sind das für gottlose Streiche, die muß dir der Böse eingegeben haben.’ ‘Vater,’ antwortete er, ‘hört nur an, ich bin ganz unschuldig: er stand da in der Nacht, wie einer der böses im Sinne hat. Jch wußte nicht wers war, und habe ihn dreimal ermahnt zu reden oder wegzugehen.’ ‘Ach,’ sprach der Vater, ‘mit dir erleb ich nur Unglück, geh mir aus den Augen, ich will dich nicht mehr ansehen.’ ‘Ja, Vater, recht gerne, wartet nur bis Tag ist, da will ich ausgehen und das Gruseln lernen, so versteh ich doch eine Kunst, die mich ernähren kann.’ ‘Lerne was du willst,’ sprach der Vater, ‘mir ist alles einerlei. Da hast du funfzig Thaler, damit geh in die weite Welt und sage keinem Menschen wo du her bist und wer dein Vater ist, denn ich muß mich deiner schämen.’ ‘Ja, Vater, wie ihrs haben wollt, wenn ihr nicht mehr verlangt, das kann ich leicht in Acht behalten.’ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0050" n="17"/> er die Glocke, gieng heim, legte sich, ohne ein Wort zu sagen, ins Bett und schlief fort. Die Küsterfrau wartete lange Zeit auf ihren Mann, aber er wollte nicht wieder kommen. Da ward ihr endlich angst, sie weckte den Jungen, und fragte ‘weißt du nicht, wo mein Mann geblieben ist? er ist vor dir auf den Thurm gestiegen.’ ‘Nein,’ antwortete der Junge, ‘aber da hat einer dem Schallloch gegenüber auf der Treppe gestanden, und weil er keine Antwort geben und auch nicht weggehen wollte, so habe ich ihn für einen Spitzbuben gehalten und hinunter gestoßen. Geht nur hin, so werdet Jhr sehen ob ers gewesen ist, es sollte mir leid thun.’ Die Frau sprang fort, und fand ihren Mann, der in einer Ecke lag und jammerte, und ein Bein gebrochen hatte.</p><lb/> <p>Sie trug ihn herab und eilte dann mit lautem Geschrei zu dem Vater des Jungen. ‘Euer Junge,’ rief sie, ‘hat ein großes Unglück angerichtet, meinen Mann hat er die Treppe hinab geworfen daß er ein Bein gebrochen hat: schafft den Taugenichts aus unserm Hause.’ Der Vater erschrack, kam herbeigelaufen und schalt den Jungen aus. ‘Was sind das für gottlose Streiche, die muß dir der Böse eingegeben haben.’ ‘Vater,’ antwortete er, ‘hört nur an, ich bin ganz unschuldig: er stand da in der Nacht, wie einer der böses im Sinne hat. Jch wußte nicht wers war, und habe ihn dreimal ermahnt zu reden oder wegzugehen.’ ‘Ach,’ sprach der Vater, ‘mit dir erleb ich nur Unglück, geh mir aus den Augen, ich will dich nicht mehr ansehen.’ ‘Ja, Vater, recht gerne, wartet nur bis Tag ist, da will ich ausgehen und das Gruseln lernen, so versteh ich doch eine Kunst, die mich ernähren kann.’ ‘Lerne was du willst,’ sprach der Vater, ‘mir ist alles einerlei. Da hast du funfzig Thaler, damit geh in die weite Welt und sage keinem Menschen wo du her bist und wer dein Vater ist, denn ich muß mich deiner schämen.’ ‘Ja, Vater, wie ihrs haben wollt, wenn ihr nicht mehr verlangt, das kann ich leicht in Acht behalten.’ </p> </div> </body> </text> </TEI> [17/0050]
er die Glocke, gieng heim, legte sich, ohne ein Wort zu sagen, ins Bett und schlief fort. Die Küsterfrau wartete lange Zeit auf ihren Mann, aber er wollte nicht wieder kommen. Da ward ihr endlich angst, sie weckte den Jungen, und fragte ‘weißt du nicht, wo mein Mann geblieben ist? er ist vor dir auf den Thurm gestiegen.’ ‘Nein,’ antwortete der Junge, ‘aber da hat einer dem Schallloch gegenüber auf der Treppe gestanden, und weil er keine Antwort geben und auch nicht weggehen wollte, so habe ich ihn für einen Spitzbuben gehalten und hinunter gestoßen. Geht nur hin, so werdet Jhr sehen ob ers gewesen ist, es sollte mir leid thun.’ Die Frau sprang fort, und fand ihren Mann, der in einer Ecke lag und jammerte, und ein Bein gebrochen hatte.
Sie trug ihn herab und eilte dann mit lautem Geschrei zu dem Vater des Jungen. ‘Euer Junge,’ rief sie, ‘hat ein großes Unglück angerichtet, meinen Mann hat er die Treppe hinab geworfen daß er ein Bein gebrochen hat: schafft den Taugenichts aus unserm Hause.’ Der Vater erschrack, kam herbeigelaufen und schalt den Jungen aus. ‘Was sind das für gottlose Streiche, die muß dir der Böse eingegeben haben.’ ‘Vater,’ antwortete er, ‘hört nur an, ich bin ganz unschuldig: er stand da in der Nacht, wie einer der böses im Sinne hat. Jch wußte nicht wers war, und habe ihn dreimal ermahnt zu reden oder wegzugehen.’ ‘Ach,’ sprach der Vater, ‘mit dir erleb ich nur Unglück, geh mir aus den Augen, ich will dich nicht mehr ansehen.’ ‘Ja, Vater, recht gerne, wartet nur bis Tag ist, da will ich ausgehen und das Gruseln lernen, so versteh ich doch eine Kunst, die mich ernähren kann.’ ‘Lerne was du willst,’ sprach der Vater, ‘mir ist alles einerlei. Da hast du funfzig Thaler, damit geh in die weite Welt und sage keinem Menschen wo du her bist und wer dein Vater ist, denn ich muß mich deiner schämen.’ ‘Ja, Vater, wie ihrs haben wollt, wenn ihr nicht mehr verlangt, das kann ich leicht in Acht behalten.’
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