Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

und dachte 'meinem Bruder muß ein großes Unglück zugestoßen sein, doch kann ich ihn vielleicht noch retten, denn die Hälfte des Messers ist noch blank.' Er zog mit seinen Thieren gen Westen, und als er in das Stadtthor kam, trat ihm die Wache entgegen und fragte ob sie ihn bei seiner Gemahlin melden sollte: die junge Königin wäre schon seit ein paar Tagen in großer Angst über sein Ausbleiben und fürchtete er wäre im Zauberwald umgekommen. Die Wache nemlich glaubte nicht anders als er wäre der junge König selbst, so ähnlich sah er ihm, und hatte auch die wilden Thiere hinter sich laufen. Da merkte er daß von seinem Bruder die Rede war und dachte 'es ist das beste, ich gebe mich für ihn aus, so kann ich ihn wohl leichter erretten.' Also ließ er sich von der Wache ins Schloß begleiten, und ward mit großen Freuden empfangen. Die junge Königin meinte nicht anders als es wäre ihr Gemahl und fragte ihn warum er so lange ausgeblieben wäre. Er antwortete 'ich hatte mich in einem Walde verirrt und konnte mich nicht eher wieder heraus finden.' Abends ward er in das königliche Bette gebracht, aber er legte ein zweischneidiges Schwert zwischen sich und die junge Königin: sie wußte nicht, was das heißen sollte, getraute aber nicht zu fragen.

Da blieb er ein paar Tage und erforschte derweil alles, wie es mit dem Zauberwald beschaffen war, endlich sprach er 'ich muß noch einmal dort jagen.' Der König und die junge Königin wollten es ihm ausreden, aber er bestand darauf und zog mit großer Begleitung hinaus. Als er in den Wald gekommen war, ergieng es ihm wie seinem Bruder, er sah eine weiße Hirschkuh und sprach zu seinen Leuten 'bleibt hier und wartet, bis ich wiederkomme, ich will das schöne Wild jagen,' ritt in den Wald hinein, und seine Thiere liefen ihm nach. Aber er konnte die Hirschkuh nicht einholen, und gerieth so tief in den Wald, daß er darin übernachten mußte. Und als er ein Feuer angemacht hatte, hörte er

und dachte ‘meinem Bruder muß ein großes Unglück zugestoßen sein, doch kann ich ihn vielleicht noch retten, denn die Hälfte des Messers ist noch blank.’ Er zog mit seinen Thieren gen Westen, und als er in das Stadtthor kam, trat ihm die Wache entgegen und fragte ob sie ihn bei seiner Gemahlin melden sollte: die junge Königin wäre schon seit ein paar Tagen in großer Angst über sein Ausbleiben und fürchtete er wäre im Zauberwald umgekommen. Die Wache nemlich glaubte nicht anders als er wäre der junge König selbst, so ähnlich sah er ihm, und hatte auch die wilden Thiere hinter sich laufen. Da merkte er daß von seinem Bruder die Rede war und dachte ‘es ist das beste, ich gebe mich für ihn aus, so kann ich ihn wohl leichter erretten.’ Also ließ er sich von der Wache ins Schloß begleiten, und ward mit großen Freuden empfangen. Die junge Königin meinte nicht anders als es wäre ihr Gemahl und fragte ihn warum er so lange ausgeblieben wäre. Er antwortete ‘ich hatte mich in einem Walde verirrt und konnte mich nicht eher wieder heraus finden.’ Abends ward er in das königliche Bette gebracht, aber er legte ein zweischneidiges Schwert zwischen sich und die junge Königin: sie wußte nicht, was das heißen sollte, getraute aber nicht zu fragen.

Da blieb er ein paar Tage und erforschte derweil alles, wie es mit dem Zauberwald beschaffen war, endlich sprach er ‘ich muß noch einmal dort jagen.’ Der König und die junge Königin wollten es ihm ausreden, aber er bestand darauf und zog mit großer Begleitung hinaus. Als er in den Wald gekommen war, ergieng es ihm wie seinem Bruder, er sah eine weiße Hirschkuh und sprach zu seinen Leuten ‘bleibt hier und wartet, bis ich wiederkomme, ich will das schöne Wild jagen,’ ritt in den Wald hinein, und seine Thiere liefen ihm nach. Aber er konnte die Hirschkuh nicht einholen, und gerieth so tief in den Wald, daß er darin übernachten mußte. Und als er ein Feuer angemacht hatte, hörte er

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0364" n="331"/>
und dachte &#x2018;meinem Bruder muß ein großes Unglück zugestoßen sein, doch kann ich ihn vielleicht noch retten, denn die Hälfte des Messers ist noch blank.&#x2019; Er zog mit seinen Thieren gen Westen, und als er in das Stadtthor kam, trat ihm die Wache entgegen und fragte ob sie ihn bei seiner Gemahlin melden sollte: die junge Königin wäre schon seit ein paar Tagen in großer Angst über sein Ausbleiben und fürchtete er wäre im Zauberwald umgekommen. Die Wache nemlich glaubte nicht anders als er wäre der junge König selbst, so ähnlich sah er ihm, und hatte auch die wilden Thiere hinter sich laufen. Da merkte er daß von seinem Bruder die Rede war und dachte &#x2018;es ist das beste, ich gebe mich für ihn aus, so kann ich ihn wohl leichter erretten.&#x2019; Also ließ er sich von der Wache ins Schloß begleiten, und ward mit großen Freuden empfangen. Die junge Königin meinte nicht anders als es wäre ihr Gemahl und fragte ihn warum er so lange ausgeblieben wäre. Er antwortete &#x2018;ich hatte mich in einem Walde verirrt und konnte mich nicht eher wieder heraus finden.&#x2019; Abends ward er in das königliche Bette gebracht, aber er legte ein zweischneidiges Schwert zwischen sich und die junge Königin: sie wußte nicht, was das heißen sollte, getraute aber nicht zu fragen.</p><lb/>
        <p>Da blieb er ein paar Tage und erforschte derweil alles, wie es mit dem Zauberwald beschaffen war, endlich sprach er &#x2018;ich muß noch einmal dort jagen.&#x2019; Der König und die junge Königin wollten es ihm ausreden, aber er bestand darauf und zog mit großer Begleitung hinaus. Als er in den Wald gekommen war, ergieng es ihm wie seinem Bruder, er sah eine weiße Hirschkuh und sprach zu seinen Leuten &#x2018;bleibt hier und wartet, bis ich wiederkomme, ich will das schöne Wild jagen,&#x2019; ritt in den Wald hinein, und seine Thiere liefen ihm nach. Aber er konnte die Hirschkuh nicht einholen, und gerieth so tief in den Wald, daß er darin übernachten mußte. Und als er ein Feuer angemacht hatte, hörte er
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[331/0364] und dachte ‘meinem Bruder muß ein großes Unglück zugestoßen sein, doch kann ich ihn vielleicht noch retten, denn die Hälfte des Messers ist noch blank.’ Er zog mit seinen Thieren gen Westen, und als er in das Stadtthor kam, trat ihm die Wache entgegen und fragte ob sie ihn bei seiner Gemahlin melden sollte: die junge Königin wäre schon seit ein paar Tagen in großer Angst über sein Ausbleiben und fürchtete er wäre im Zauberwald umgekommen. Die Wache nemlich glaubte nicht anders als er wäre der junge König selbst, so ähnlich sah er ihm, und hatte auch die wilden Thiere hinter sich laufen. Da merkte er daß von seinem Bruder die Rede war und dachte ‘es ist das beste, ich gebe mich für ihn aus, so kann ich ihn wohl leichter erretten.’ Also ließ er sich von der Wache ins Schloß begleiten, und ward mit großen Freuden empfangen. Die junge Königin meinte nicht anders als es wäre ihr Gemahl und fragte ihn warum er so lange ausgeblieben wäre. Er antwortete ‘ich hatte mich in einem Walde verirrt und konnte mich nicht eher wieder heraus finden.’ Abends ward er in das königliche Bette gebracht, aber er legte ein zweischneidiges Schwert zwischen sich und die junge Königin: sie wußte nicht, was das heißen sollte, getraute aber nicht zu fragen. Da blieb er ein paar Tage und erforschte derweil alles, wie es mit dem Zauberwald beschaffen war, endlich sprach er ‘ich muß noch einmal dort jagen.’ Der König und die junge Königin wollten es ihm ausreden, aber er bestand darauf und zog mit großer Begleitung hinaus. Als er in den Wald gekommen war, ergieng es ihm wie seinem Bruder, er sah eine weiße Hirschkuh und sprach zu seinen Leuten ‘bleibt hier und wartet, bis ich wiederkomme, ich will das schöne Wild jagen,’ ritt in den Wald hinein, und seine Thiere liefen ihm nach. Aber er konnte die Hirschkuh nicht einholen, und gerieth so tief in den Wald, daß er darin übernachten mußte. Und als er ein Feuer angemacht hatte, hörte er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Google Books (University of Oxford, Taylor Institution Library): Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-03T14:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1857/364
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1857, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1857/364>, abgerufen am 22.11.2024.