Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1850.

Bild:
<< vorherige Seite

machen gewußt hat. Die Märchen stellen ihn meist dar, wie er mit dem Herrn oder dem Apostel Petrus, die auf Erden wandeln, zusammen kommt. Der Herr will bei ihm herbergen, und der Bruder Lustig ist bereit das letzte mit ihm zu theilen, veruntreut aber gleich im Spiel den Groschen, der ihm gegeben war einen Trunk zu holen. Dem Apostel, der ihn in der Gestalt eines Armen um ein Almosen anspricht, reicht er seinen letzten Heller, und als dieser, weil er glaubt einen Frommen gefunden zu haben, mit ihm zieht, betrügt er ihn alsbald um das Herz des gebratenen Lämmchens und äußert seinen Verdruß, daß jemand, dem so große Macht zu Gebot stehe, nicht mehr Geld zu gewinnen suche. Als Bärenhäuter dient er dem Teufel, wird aber aus der Hölle wieder fort geschickt. Den Tod hat er lange zum Narren, ale er endlich genöthigt ist ihm zu folgen, wollen weder Himmel noch Hölle ihn einlassen, bis er durch eine List sich Eingang in jenen verschafft.

Gemeinsam allen Märchen sind die Überreste eines in die älteste Zeit hinauf reichenden Glaubens, der sich in bildlicher Auffassung übersinnlicher Dinge ausspricht. Dies Mythische gleicht kleinen Stückchen eines zersprungenen Edelsteines, die auf dem von Gras und Blumen bewachsenen Boden zerstreut liegen und nur von dem schärfer blickenden Auge entdeckt werden. Die Bedeutung davon ist längst verloren, aber sie wird noch empfunden und gibt dem Märchen seinen Gehalt, während es zugleich die natürliche Lust an dem Wunderbaren befriedigt; niemals sind sie bloßes Farbenspiel inhaltloser Phantasie. Das Mythische dehnt sich aus je weiter wir zurück gehen, ja es scheint den einzigen Jnhalt der ältesten Dichtung ausgemacht zu haben. Wir sehen wie diese, getragen von der Erhabenheit ihres Gegenstandes und unbesorgt um Einklang mit der Wirklichkeit, wenn sie die geheimnisreichen und furchtbaren Naturkräfte schildert, auch das Unglaubliche, das Gräuelhafte und Entsetzliche nicht abweist.

machen gewußt hat. Die Märchen stellen ihn meist dar, wie er mit dem Herrn oder dem Apostel Petrus, die auf Erden wandeln, zusammen kommt. Der Herr will bei ihm herbergen, und der Bruder Lustig ist bereit das letzte mit ihm zu theilen, veruntreut aber gleich im Spiel den Groschen, der ihm gegeben war einen Trunk zu holen. Dem Apostel, der ihn in der Gestalt eines Armen um ein Almosen anspricht, reicht er seinen letzten Heller, und als dieser, weil er glaubt einen Frommen gefunden zu haben, mit ihm zieht, betrügt er ihn alsbald um das Herz des gebratenen Lämmchens und äußert seinen Verdruß, daß jemand, dem so große Macht zu Gebot stehe, nicht mehr Geld zu gewinnen suche. Als Bärenhäuter dient er dem Teufel, wird aber aus der Hölle wieder fort geschickt. Den Tod hat er lange zum Narren, ale er endlich genöthigt ist ihm zu folgen, wollen weder Himmel noch Hölle ihn einlassen, bis er durch eine List sich Eingang in jenen verschafft.

Gemeinsam allen Märchen sind die Überreste eines in die älteste Zeit hinauf reichenden Glaubens, der sich in bildlicher Auffassung übersinnlicher Dinge ausspricht. Dies Mythische gleicht kleinen Stückchen eines zersprungenen Edelsteines, die auf dem von Gras und Blumen bewachsenen Boden zerstreut liegen und nur von dem schärfer blickenden Auge entdeckt werden. Die Bedeutung davon ist längst verloren, aber sie wird noch empfunden und gibt dem Märchen seinen Gehalt, während es zugleich die natürliche Lust an dem Wunderbaren befriedigt; niemals sind sie bloßes Farbenspiel inhaltloser Phantasie. Das Mythische dehnt sich aus je weiter wir zurück gehen, ja es scheint den einzigen Jnhalt der ältesten Dichtung ausgemacht zu haben. Wir sehen wie diese, getragen von der Erhabenheit ihres Gegenstandes und unbesorgt um Einklang mit der Wirklichkeit, wenn sie die geheimnisreichen und furchtbaren Naturkräfte schildert, auch das Unglaubliche, das Gräuelhafte und Entsetzliche nicht abweist.

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div type="preface">
        <p><pb facs="#f0073" n="LXVII"/>
machen gewußt hat. Die Märchen stellen ihn meist dar, wie er mit dem Herrn oder dem Apostel Petrus, die auf Erden wandeln, zusammen kommt. Der Herr will bei ihm herbergen, und der Bruder Lustig ist bereit das letzte mit ihm zu theilen, veruntreut aber gleich im Spiel den Groschen, der ihm gegeben war einen Trunk zu holen. Dem Apostel, der ihn in der Gestalt eines Armen um ein Almosen anspricht, reicht er seinen letzten Heller, und als dieser, weil er glaubt einen Frommen gefunden zu haben, mit ihm zieht, betrügt er ihn alsbald um das Herz des gebratenen Lämmchens und äußert seinen Verdruß, daß jemand, dem so große Macht zu Gebot stehe, nicht mehr Geld zu gewinnen suche. Als Bärenhäuter dient er dem Teufel, wird aber aus der Hölle wieder fort geschickt. Den Tod hat er lange zum Narren, ale er endlich genöthigt ist ihm zu folgen, wollen weder Himmel noch Hölle ihn einlassen, bis er durch eine List sich Eingang in jenen verschafft.</p><lb/>
        <p>Gemeinsam allen Märchen sind die Überreste eines in die älteste Zeit hinauf reichenden Glaubens, der sich in bildlicher Auffassung übersinnlicher Dinge ausspricht. Dies Mythische gleicht kleinen Stückchen eines zersprungenen Edelsteines, die auf dem von Gras und Blumen bewachsenen Boden zerstreut liegen und nur von dem schärfer blickenden Auge entdeckt werden. Die Bedeutung davon ist längst verloren, aber sie wird noch empfunden und gibt dem Märchen seinen Gehalt, während es zugleich die natürliche Lust an dem Wunderbaren befriedigt; niemals sind sie bloßes Farbenspiel inhaltloser Phantasie. Das Mythische dehnt sich aus je weiter wir zurück gehen, ja es scheint den einzigen Jnhalt der ältesten Dichtung ausgemacht zu haben. Wir sehen wie diese, getragen von der Erhabenheit ihres Gegenstandes und unbesorgt um Einklang mit der Wirklichkeit, wenn sie die geheimnisreichen und furchtbaren Naturkräfte schildert, auch das Unglaubliche, das Gräuelhafte und Entsetzliche nicht abweist.
</p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[LXVII/0073] machen gewußt hat. Die Märchen stellen ihn meist dar, wie er mit dem Herrn oder dem Apostel Petrus, die auf Erden wandeln, zusammen kommt. Der Herr will bei ihm herbergen, und der Bruder Lustig ist bereit das letzte mit ihm zu theilen, veruntreut aber gleich im Spiel den Groschen, der ihm gegeben war einen Trunk zu holen. Dem Apostel, der ihn in der Gestalt eines Armen um ein Almosen anspricht, reicht er seinen letzten Heller, und als dieser, weil er glaubt einen Frommen gefunden zu haben, mit ihm zieht, betrügt er ihn alsbald um das Herz des gebratenen Lämmchens und äußert seinen Verdruß, daß jemand, dem so große Macht zu Gebot stehe, nicht mehr Geld zu gewinnen suche. Als Bärenhäuter dient er dem Teufel, wird aber aus der Hölle wieder fort geschickt. Den Tod hat er lange zum Narren, ale er endlich genöthigt ist ihm zu folgen, wollen weder Himmel noch Hölle ihn einlassen, bis er durch eine List sich Eingang in jenen verschafft. Gemeinsam allen Märchen sind die Überreste eines in die älteste Zeit hinauf reichenden Glaubens, der sich in bildlicher Auffassung übersinnlicher Dinge ausspricht. Dies Mythische gleicht kleinen Stückchen eines zersprungenen Edelsteines, die auf dem von Gras und Blumen bewachsenen Boden zerstreut liegen und nur von dem schärfer blickenden Auge entdeckt werden. Die Bedeutung davon ist längst verloren, aber sie wird noch empfunden und gibt dem Märchen seinen Gehalt, während es zugleich die natürliche Lust an dem Wunderbaren befriedigt; niemals sind sie bloßes Farbenspiel inhaltloser Phantasie. Das Mythische dehnt sich aus je weiter wir zurück gehen, ja es scheint den einzigen Jnhalt der ältesten Dichtung ausgemacht zu haben. Wir sehen wie diese, getragen von der Erhabenheit ihres Gegenstandes und unbesorgt um Einklang mit der Wirklichkeit, wenn sie die geheimnisreichen und furchtbaren Naturkräfte schildert, auch das Unglaubliche, das Gräuelhafte und Entsetzliche nicht abweist.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-03T14:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1850
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1850/73
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1850, S. LXVII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1850/73>, abgerufen am 07.05.2024.