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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1850.

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Thieren rauben lassen. Und als der König das Blut an der Schürze sah, glaubte er es und gerieth in einen solchen Zorn, daß er einen tiefen Thurm bauen ließ, in den weder Sonne noch Mond schien, und ließ seine Gemahlin hinein setzen und vermauern; da sollte sie sieben Jahre sitzen, ohne Essen und Trinken, und sollte verschmachten. Aber Gott schickte zwei Engel vom Himmel in Gestalt von weißen Tauben, die mußten täglich zweimal zu ihr fliegen und ihr das Essen bringen, bis die sieben Jahre herum waren.

Der Koch aber dachte bei sich 'hat das Kind wünschliche Gedanken und ich bin hier, so könnte es mich leicht ins Unglück bringen.' Da machte er sich vom Schloß weg, und gieng zu dem Knaben, der war schon so groß, daß er sprechen konnte, und sagte zu ihm 'wünsche dir ein schönes Schloß mit einem Garten und was dazu gehört.' Und kaum waren die Worte aus dem Munde des Knaben, so stand alles da, was er gewünscht hatte. Über eine Zeit sprach der Koch zu ihm 'es ist nicht gut, daß du so allein bist, wünsche dir eine schöne Jungfrau zur Gesellschaft.' Da wünschte sie der Königssohn herbei, und sie stand gleich vor ihm, und war so schön, wie sie kein Maler malen konnte. Nun spielten die beide zusammen, und hatten sich von Herzen lieb, und der alte Koch gieng auf die Jagd, wie ein vornehmer Mann. Es kam ihm aber der Gedanke, der Königssohn könnte einmal wünschen bei seinem Vater zu sein und ihn damit in große Noth bringen. Da gieng er hinaus, nahm das Mädchen beiseit und sprach 'diese Nacht, wenn der Knabe schläft, so geh an sein Bett und stoß ihm das Messer ins Herz, und bring mir Zunge und Leber von ihm; und wenn du das nicht

Thieren rauben lassen. Und als der König das Blut an der Schürze sah, glaubte er es und gerieth in einen solchen Zorn, daß er einen tiefen Thurm bauen ließ, in den weder Sonne noch Mond schien, und ließ seine Gemahlin hinein setzen und vermauern; da sollte sie sieben Jahre sitzen, ohne Essen und Trinken, und sollte verschmachten. Aber Gott schickte zwei Engel vom Himmel in Gestalt von weißen Tauben, die mußten täglich zweimal zu ihr fliegen und ihr das Essen bringen, bis die sieben Jahre herum waren.

Der Koch aber dachte bei sich ‘hat das Kind wünschliche Gedanken und ich bin hier, so könnte es mich leicht ins Unglück bringen.’ Da machte er sich vom Schloß weg, und gieng zu dem Knaben, der war schon so groß, daß er sprechen konnte, und sagte zu ihm ‘wünsche dir ein schönes Schloß mit einem Garten und was dazu gehört.’ Und kaum waren die Worte aus dem Munde des Knaben, so stand alles da, was er gewünscht hatte. Über eine Zeit sprach der Koch zu ihm ‘es ist nicht gut, daß du so allein bist, wünsche dir eine schöne Jungfrau zur Gesellschaft.’ Da wünschte sie der Königssohn herbei, und sie stand gleich vor ihm, und war so schön, wie sie kein Maler malen konnte. Nun spielten die beide zusammen, und hatten sich von Herzen lieb, und der alte Koch gieng auf die Jagd, wie ein vornehmer Mann. Es kam ihm aber der Gedanke, der Königssohn könnte einmal wünschen bei seinem Vater zu sein und ihn damit in große Noth bringen. Da gieng er hinaus, nahm das Mädchen beiseit und sprach ‘diese Nacht, wenn der Knabe schläft, so geh an sein Bett und stoß ihm das Messer ins Herz, und bring mir Zunge und Leber von ihm; und wenn du das nicht

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[450/0532] Thieren rauben lassen. Und als der König das Blut an der Schürze sah, glaubte er es und gerieth in einen solchen Zorn, daß er einen tiefen Thurm bauen ließ, in den weder Sonne noch Mond schien, und ließ seine Gemahlin hinein setzen und vermauern; da sollte sie sieben Jahre sitzen, ohne Essen und Trinken, und sollte verschmachten. Aber Gott schickte zwei Engel vom Himmel in Gestalt von weißen Tauben, die mußten täglich zweimal zu ihr fliegen und ihr das Essen bringen, bis die sieben Jahre herum waren. Der Koch aber dachte bei sich ‘hat das Kind wünschliche Gedanken und ich bin hier, so könnte es mich leicht ins Unglück bringen.’ Da machte er sich vom Schloß weg, und gieng zu dem Knaben, der war schon so groß, daß er sprechen konnte, und sagte zu ihm ‘wünsche dir ein schönes Schloß mit einem Garten und was dazu gehört.’ Und kaum waren die Worte aus dem Munde des Knaben, so stand alles da, was er gewünscht hatte. Über eine Zeit sprach der Koch zu ihm ‘es ist nicht gut, daß du so allein bist, wünsche dir eine schöne Jungfrau zur Gesellschaft.’ Da wünschte sie der Königssohn herbei, und sie stand gleich vor ihm, und war so schön, wie sie kein Maler malen konnte. Nun spielten die beide zusammen, und hatten sich von Herzen lieb, und der alte Koch gieng auf die Jagd, wie ein vornehmer Mann. Es kam ihm aber der Gedanke, der Königssohn könnte einmal wünschen bei seinem Vater zu sein und ihn damit in große Noth bringen. Da gieng er hinaus, nahm das Mädchen beiseit und sprach ‘diese Nacht, wenn der Knabe schläft, so geh an sein Bett und stoß ihm das Messer ins Herz, und bring mir Zunge und Leber von ihm; und wenn du das nicht

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1850, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1850/532>, abgerufen am 22.11.2024.