Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1850.und sprach zu seinen Leuten 'haltet hier bis ich zurück komme, ich will das schöne Wild jagen,' und ritt ihm nach in den Wald hinein, und nur seine Thiere folgten ihm. Die Leute hielten und warteten bis Abend, aber er kam nicht wieder: da ritten sie heim und erzählten der jungen Königin 'der junge König ist im Zauberwald einer weißen Hirschkuh nachgejagt, und ist nicht wieder gekommen.' Da war sie in großer Besorgnis um ihn. Er war aber dem schönen Wild immer nachgeritten, und konnte es niemals einholen; wenn er meinte es wäre schußrecht, so sah er es gleich wieder in weiter Ferne dahin springen, und endlich verschwand es ganz. Nun merkte er daß er tief in den Wald hineingerathen war, nahm sein Horn und blies, aber er bekam keine Antwort, denn seine Leute konntens nicht hören. Und da auch die Nacht einbrach, sah er daß er diesen Tag nicht heim kommen könnte, stieg ab, machte sich bei einem Baum ein Feuer an und wollte dabei übernachten. Als er bei dem Feuer saß, und seine Thiere sich auch neben ihn gelegt hatten, däuchte ihn als hörte er eine menschliche Stimme: er schaute umher, konnte aber nichts bemerken. Bald darauf hörte er wieder ein Ächzen wie von oben her, da blickte er in die Höhe und sah ein altes Weib auf dem Baum sitzen, das jammerte in einem fort 'hu, hu, hu, was mich friert!' Sprach er 'steig herab und wärme dich, wenn dich friert.' Sie aber sagte 'nein, deine Thiere beißen mich.' Antwortete er 'sie thun dir nichts, altes Mütterchen, komm nur herunter.' Sie war aber eine Hexe und sprach 'ich will dir eine Ruthe von dem Baum herabwerfen, wenn du sie damit auf den Rücken schlägst, thun sie mir nichts.' Da warf sie ihm ein und sprach zu seinen Leuten ‘haltet hier bis ich zurück komme, ich will das schöne Wild jagen,’ und ritt ihm nach in den Wald hinein, und nur seine Thiere folgten ihm. Die Leute hielten und warteten bis Abend, aber er kam nicht wieder: da ritten sie heim und erzählten der jungen Königin ‘der junge König ist im Zauberwald einer weißen Hirschkuh nachgejagt, und ist nicht wieder gekommen.’ Da war sie in großer Besorgnis um ihn. Er war aber dem schönen Wild immer nachgeritten, und konnte es niemals einholen; wenn er meinte es wäre schußrecht, so sah er es gleich wieder in weiter Ferne dahin springen, und endlich verschwand es ganz. Nun merkte er daß er tief in den Wald hineingerathen war, nahm sein Horn und blies, aber er bekam keine Antwort, denn seine Leute konntens nicht hören. Und da auch die Nacht einbrach, sah er daß er diesen Tag nicht heim kommen könnte, stieg ab, machte sich bei einem Baum ein Feuer an und wollte dabei übernachten. Als er bei dem Feuer saß, und seine Thiere sich auch neben ihn gelegt hatten, däuchte ihn als hörte er eine menschliche Stimme: er schaute umher, konnte aber nichts bemerken. Bald darauf hörte er wieder ein Ächzen wie von oben her, da blickte er in die Höhe und sah ein altes Weib auf dem Baum sitzen, das jammerte in einem fort ‘hu, hu, hu, was mich friert!’ Sprach er ‘steig herab und wärme dich, wenn dich friert.’ Sie aber sagte ‘nein, deine Thiere beißen mich.’ Antwortete er ‘sie thun dir nichts, altes Mütterchen, komm nur herunter.’ Sie war aber eine Hexe und sprach ‘ich will dir eine Ruthe von dem Baum herabwerfen, wenn du sie damit auf den Rücken schlägst, thun sie mir nichts.’ Da warf sie ihm ein <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0464" n="382"/> und sprach zu seinen Leuten ‘haltet hier bis ich zurück komme, ich will das schöne Wild jagen,’ und ritt ihm nach in den Wald hinein, und nur seine Thiere folgten ihm. Die Leute hielten und warteten bis Abend, aber er kam nicht wieder: da ritten sie heim und erzählten der jungen Königin ‘der junge König ist im Zauberwald einer weißen Hirschkuh nachgejagt, und ist nicht wieder gekommen.’ Da war sie in großer Besorgnis um ihn. Er war aber dem schönen Wild immer nachgeritten, und konnte es niemals einholen; wenn er meinte es wäre schußrecht, so sah er es gleich wieder in weiter Ferne dahin springen, und endlich verschwand es ganz. Nun merkte er daß er tief in den Wald hineingerathen war, nahm sein Horn und blies, aber er bekam keine Antwort, denn seine Leute konntens nicht hören. Und da auch die Nacht einbrach, sah er daß er diesen Tag nicht heim kommen könnte, stieg ab, machte sich bei einem Baum ein Feuer an und wollte dabei übernachten. Als er bei dem Feuer saß, und seine Thiere sich auch neben ihn gelegt hatten, däuchte ihn als hörte er eine menschliche Stimme: er schaute umher, konnte aber nichts bemerken. Bald darauf hörte er wieder ein Ächzen wie von oben her, da blickte er in die Höhe und sah ein altes Weib auf dem Baum sitzen, das jammerte in einem fort ‘hu, hu, hu, was mich friert!’ Sprach er ‘steig herab und wärme dich, wenn dich friert.’ Sie aber sagte ‘nein, deine Thiere beißen mich.’ Antwortete er ‘sie thun dir nichts, altes Mütterchen, komm nur herunter.’ Sie war aber eine Hexe und sprach ‘ich will dir eine Ruthe von dem Baum herabwerfen, wenn du sie damit auf den Rücken schlägst, thun sie mir nichts.’ Da warf sie ihm ein </p> </div> </body> </text> </TEI> [382/0464]
und sprach zu seinen Leuten ‘haltet hier bis ich zurück komme, ich will das schöne Wild jagen,’ und ritt ihm nach in den Wald hinein, und nur seine Thiere folgten ihm. Die Leute hielten und warteten bis Abend, aber er kam nicht wieder: da ritten sie heim und erzählten der jungen Königin ‘der junge König ist im Zauberwald einer weißen Hirschkuh nachgejagt, und ist nicht wieder gekommen.’ Da war sie in großer Besorgnis um ihn. Er war aber dem schönen Wild immer nachgeritten, und konnte es niemals einholen; wenn er meinte es wäre schußrecht, so sah er es gleich wieder in weiter Ferne dahin springen, und endlich verschwand es ganz. Nun merkte er daß er tief in den Wald hineingerathen war, nahm sein Horn und blies, aber er bekam keine Antwort, denn seine Leute konntens nicht hören. Und da auch die Nacht einbrach, sah er daß er diesen Tag nicht heim kommen könnte, stieg ab, machte sich bei einem Baum ein Feuer an und wollte dabei übernachten. Als er bei dem Feuer saß, und seine Thiere sich auch neben ihn gelegt hatten, däuchte ihn als hörte er eine menschliche Stimme: er schaute umher, konnte aber nichts bemerken. Bald darauf hörte er wieder ein Ächzen wie von oben her, da blickte er in die Höhe und sah ein altes Weib auf dem Baum sitzen, das jammerte in einem fort ‘hu, hu, hu, was mich friert!’ Sprach er ‘steig herab und wärme dich, wenn dich friert.’ Sie aber sagte ‘nein, deine Thiere beißen mich.’ Antwortete er ‘sie thun dir nichts, altes Mütterchen, komm nur herunter.’ Sie war aber eine Hexe und sprach ‘ich will dir eine Ruthe von dem Baum herabwerfen, wenn du sie damit auf den Rücken schlägst, thun sie mir nichts.’ Da warf sie ihm ein
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2015-05-11T18:40:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-06-03T14:12:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |