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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1850.

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rief die Großmutter, 'ich bin zu schwach und kann nicht aufstehen.' Der Wolf drückte auf die Klinke, die Thüre sprang auf und er gieng, ohne ein Wort zu sprechen, gerade zum Bett der Großmutter und verschluckte sie. Dann that er ihre Kleider an, setzte ihre Haube auf, legte sich in ihr Bett und zog die Vorhänge vor.

Rothkäppchen aber war nach den Blumen herum gelaufen, und als es so viel zusammen hatte, daß es keine mehr tragen konnte, fiel ihm die Großmutter wieder ein und es machte sich auf den Weg zu ihr. Es wunderte sich daß die Thüre aufstand, und wie es in die Stube trat, so kam es ihm so seltsam darin vor, daß es dachte 'ei, du mein Gott, wie ängstlich wird mirs heute zu Muth, und bin sonst so gerne bei der Großmutter!' Es rief 'guten Morgen,' bekam aber keine Antwort. Darauf gieng es zum Bett und zog die Vorhänge zurück: da lag die Großmutter, und hatte die Haube tief ins Gesicht gesetzt und sah so wunderlich aus. 'Ei, Großmutter, was hast du für große Ohren!' 'Daß ich dich besser hören kann.' 'Ei, Großmutter, was hast du für große Augen!' 'Daß ich dich besser sehen kann.' 'Ei, Großmutter, was hast du für große Hände!' 'Daß ich dich besser packen kann.' 'Aber, Großmutter, was hast du für ein entsetzlich großes Maul!' 'Daß ich dich besser fressen kann.' Kaum hatte der Wolf das gesagt, so that er einen Satz aus dem Bette und verschlang das arme Rothkäppchen.

Wie der Wolf sein Gelüsten gestillt hatte, legte er sich wieder ins Bett, schlief ein und fieng an überlaut zu schnarchen. Der Jäger gieng eben an dem Haus vorbei und dachte 'wie die alte Frau schnarcht, du mußt doch sehen ob ihr etwas fehlt.' Da trat er

rief die Großmutter, ‘ich bin zu schwach und kann nicht aufstehen.’ Der Wolf drückte auf die Klinke, die Thüre sprang auf und er gieng, ohne ein Wort zu sprechen, gerade zum Bett der Großmutter und verschluckte sie. Dann that er ihre Kleider an, setzte ihre Haube auf, legte sich in ihr Bett und zog die Vorhänge vor.

Rothkäppchen aber war nach den Blumen herum gelaufen, und als es so viel zusammen hatte, daß es keine mehr tragen konnte, fiel ihm die Großmutter wieder ein und es machte sich auf den Weg zu ihr. Es wunderte sich daß die Thüre aufstand, und wie es in die Stube trat, so kam es ihm so seltsam darin vor, daß es dachte ‘ei, du mein Gott, wie ängstlich wird mirs heute zu Muth, und bin sonst so gerne bei der Großmutter!’ Es rief ‘guten Morgen,’ bekam aber keine Antwort. Darauf gieng es zum Bett und zog die Vorhänge zurück: da lag die Großmutter, und hatte die Haube tief ins Gesicht gesetzt und sah so wunderlich aus. ‘Ei, Großmutter, was hast du für große Ohren!’ ‘Daß ich dich besser hören kann.’ ‘Ei, Großmutter, was hast du für große Augen!’ ‘Daß ich dich besser sehen kann.’ ‘Ei, Großmutter, was hast du für große Hände!’ ‘Daß ich dich besser packen kann.’ ‘Aber, Großmutter, was hast du für ein entsetzlich großes Maul!’ ‘Daß ich dich besser fressen kann.’ Kaum hatte der Wolf das gesagt, so that er einen Satz aus dem Bette und verschlang das arme Rothkäppchen.

Wie der Wolf sein Gelüsten gestillt hatte, legte er sich wieder ins Bett, schlief ein und fieng an überlaut zu schnarchen. Der Jäger gieng eben an dem Haus vorbei und dachte ‘wie die alte Frau schnarcht, du mußt doch sehen ob ihr etwas fehlt.’ Da trat er

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[164/0246] rief die Großmutter, ‘ich bin zu schwach und kann nicht aufstehen.’ Der Wolf drückte auf die Klinke, die Thüre sprang auf und er gieng, ohne ein Wort zu sprechen, gerade zum Bett der Großmutter und verschluckte sie. Dann that er ihre Kleider an, setzte ihre Haube auf, legte sich in ihr Bett und zog die Vorhänge vor. Rothkäppchen aber war nach den Blumen herum gelaufen, und als es so viel zusammen hatte, daß es keine mehr tragen konnte, fiel ihm die Großmutter wieder ein und es machte sich auf den Weg zu ihr. Es wunderte sich daß die Thüre aufstand, und wie es in die Stube trat, so kam es ihm so seltsam darin vor, daß es dachte ‘ei, du mein Gott, wie ängstlich wird mirs heute zu Muth, und bin sonst so gerne bei der Großmutter!’ Es rief ‘guten Morgen,’ bekam aber keine Antwort. Darauf gieng es zum Bett und zog die Vorhänge zurück: da lag die Großmutter, und hatte die Haube tief ins Gesicht gesetzt und sah so wunderlich aus. ‘Ei, Großmutter, was hast du für große Ohren!’ ‘Daß ich dich besser hören kann.’ ‘Ei, Großmutter, was hast du für große Augen!’ ‘Daß ich dich besser sehen kann.’ ‘Ei, Großmutter, was hast du für große Hände!’ ‘Daß ich dich besser packen kann.’ ‘Aber, Großmutter, was hast du für ein entsetzlich großes Maul!’ ‘Daß ich dich besser fressen kann.’ Kaum hatte der Wolf das gesagt, so that er einen Satz aus dem Bette und verschlang das arme Rothkäppchen. Wie der Wolf sein Gelüsten gestillt hatte, legte er sich wieder ins Bett, schlief ein und fieng an überlaut zu schnarchen. Der Jäger gieng eben an dem Haus vorbei und dachte ‘wie die alte Frau schnarcht, du mußt doch sehen ob ihr etwas fehlt.’ Da trat er

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1850, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1850/246>, abgerufen am 02.05.2024.