Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1850.

Bild:
<< vorherige Seite
der Schuck ist zu klein,
die rechte Braut sitzt noch daheim.'

Er blickte nieder auf ihren Fuß, und sah wie das Blut aus dem Schuh quoll und an den weißen Strümpfen ganz roth heraufgestiegen war. Da wendete er sein Pferd, und brachte die falsche Braut wieder nach Haus. 'Das ist auch nicht die rechte,' sprach er, 'habt ihr keine andere Tochter?' 'Nein,' sagte der Mann, 'nur von meiner verstorbenen Frau ist noch ein kleines verbuttetes Aschenputtel da: das kann unmöglich die Braut sein.' Der Königssohn sprach er sollt es heraufschicken, die Mutter aber antwortete 'ach nein, das ist viel zu schmutzig, das darf sich nicht sehen lassen.' Er wollte es aber durchaus haben, und Aschenputtel mußte gerufen werden. Da wusch es sich erst Hände und Angesicht rein, gieng dann hin und neigte sich vor dem Königssohn, der ihm den goldenen Schuh reichte. Dann setzte es sich auf einen Schemel, zog den Fuß aus dem schweren Holzschuh und steckte ihn in den Pantoffel, der war wie angegossen. Und als es sich in die Höhe richtete und der König ihm ins Gesicht sah, so erkannte er das schöne Mädchen, das mit ihm getanzt hatte, und rief 'das ist die rechte Braut!' Die Stiefmutter und die beiden Schwestern erschraken und wurden bleich vor Ärger: er aber nahm Aschenputtel aufs Pferd und ritt mit ihm fort. Als sie an dem Haselbäumchen vorbei kamen, riefen die zwei weißen Täubchen

'rucke di guck, rucke di guck,
kein Blut im Schuck:
der Schuck ist nicht zu klein,
die rechte Braut die führt er heim.'
der Schuck ist zu klein,
die rechte Braut sitzt noch daheim.’

Er blickte nieder auf ihren Fuß, und sah wie das Blut aus dem Schuh quoll und an den weißen Strümpfen ganz roth heraufgestiegen war. Da wendete er sein Pferd, und brachte die falsche Braut wieder nach Haus. ‘Das ist auch nicht die rechte,’ sprach er, ‘habt ihr keine andere Tochter?’ ‘Nein,’ sagte der Mann, ‘nur von meiner verstorbenen Frau ist noch ein kleines verbuttetes Aschenputtel da: das kann unmöglich die Braut sein.’ Der Königssohn sprach er sollt es heraufschicken, die Mutter aber antwortete ‘ach nein, das ist viel zu schmutzig, das darf sich nicht sehen lassen.’ Er wollte es aber durchaus haben, und Aschenputtel mußte gerufen werden. Da wusch es sich erst Hände und Angesicht rein, gieng dann hin und neigte sich vor dem Königssohn, der ihm den goldenen Schuh reichte. Dann setzte es sich auf einen Schemel, zog den Fuß aus dem schweren Holzschuh und steckte ihn in den Pantoffel, der war wie angegossen. Und als es sich in die Höhe richtete und der König ihm ins Gesicht sah, so erkannte er das schöne Mädchen, das mit ihm getanzt hatte, und rief ‘das ist die rechte Braut!’ Die Stiefmutter und die beiden Schwestern erschraken und wurden bleich vor Ärger: er aber nahm Aschenputtel aufs Pferd und ritt mit ihm fort. Als sie an dem Haselbäumchen vorbei kamen, riefen die zwei weißen Täubchen

‘rucke di guck, rucke di guck,
kein Blut im Schuck:
der Schuck ist nicht zu klein,
die rechte Braut die führt er heim.’
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0226" n="144"/>
        <lg type="poem">
          <l>der Schuck ist zu klein,</l><lb/>
          <l>die rechte Braut sitzt noch daheim.&#x2019;</l><lb/>
        </lg>
        <p>Er blickte nieder auf ihren Fuß, und sah wie das Blut aus dem Schuh quoll und an den weißen Strümpfen ganz roth heraufgestiegen war. Da wendete er sein Pferd, und brachte die falsche Braut wieder nach Haus. &#x2018;Das ist auch nicht die rechte,&#x2019; sprach er, &#x2018;habt ihr keine andere Tochter?&#x2019; &#x2018;Nein,&#x2019; sagte der Mann, &#x2018;nur von meiner verstorbenen Frau ist noch ein kleines verbuttetes Aschenputtel da: das kann unmöglich die Braut sein.&#x2019; Der Königssohn sprach er sollt es heraufschicken, die Mutter aber antwortete &#x2018;ach nein, das ist viel zu schmutzig, das darf sich nicht sehen lassen.&#x2019; Er wollte es aber durchaus haben, und Aschenputtel mußte gerufen werden. Da wusch es sich erst Hände und Angesicht rein, gieng dann hin und neigte sich vor dem Königssohn, der ihm den goldenen Schuh reichte. Dann setzte es sich auf einen Schemel, zog den Fuß aus dem schweren Holzschuh und steckte ihn in den Pantoffel, der war wie angegossen. Und als es sich in die Höhe richtete und der König ihm ins Gesicht sah, so erkannte er das schöne Mädchen, das mit ihm getanzt hatte, und rief &#x2018;das ist die rechte Braut!&#x2019; Die Stiefmutter und die beiden Schwestern erschraken und wurden bleich vor Ärger: er aber nahm Aschenputtel aufs Pferd und ritt mit ihm fort. Als sie an dem Haselbäumchen vorbei kamen, riefen die zwei weißen Täubchen</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>&#x2018;rucke di guck, rucke di guck,</l><lb/>
          <l>kein Blut im Schuck:</l><lb/>
          <l>der Schuck ist nicht zu klein,</l><lb/>
          <l>die rechte Braut die führt er heim.&#x2019;</l><lb/>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[144/0226] der Schuck ist zu klein, die rechte Braut sitzt noch daheim.’ Er blickte nieder auf ihren Fuß, und sah wie das Blut aus dem Schuh quoll und an den weißen Strümpfen ganz roth heraufgestiegen war. Da wendete er sein Pferd, und brachte die falsche Braut wieder nach Haus. ‘Das ist auch nicht die rechte,’ sprach er, ‘habt ihr keine andere Tochter?’ ‘Nein,’ sagte der Mann, ‘nur von meiner verstorbenen Frau ist noch ein kleines verbuttetes Aschenputtel da: das kann unmöglich die Braut sein.’ Der Königssohn sprach er sollt es heraufschicken, die Mutter aber antwortete ‘ach nein, das ist viel zu schmutzig, das darf sich nicht sehen lassen.’ Er wollte es aber durchaus haben, und Aschenputtel mußte gerufen werden. Da wusch es sich erst Hände und Angesicht rein, gieng dann hin und neigte sich vor dem Königssohn, der ihm den goldenen Schuh reichte. Dann setzte es sich auf einen Schemel, zog den Fuß aus dem schweren Holzschuh und steckte ihn in den Pantoffel, der war wie angegossen. Und als es sich in die Höhe richtete und der König ihm ins Gesicht sah, so erkannte er das schöne Mädchen, das mit ihm getanzt hatte, und rief ‘das ist die rechte Braut!’ Die Stiefmutter und die beiden Schwestern erschraken und wurden bleich vor Ärger: er aber nahm Aschenputtel aufs Pferd und ritt mit ihm fort. Als sie an dem Haselbäumchen vorbei kamen, riefen die zwei weißen Täubchen ‘rucke di guck, rucke di guck, kein Blut im Schuck: der Schuck ist nicht zu klein, die rechte Braut die führt er heim.’

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-03T14:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1850
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1850/226
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1850, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1850/226>, abgerufen am 02.05.2024.