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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1850.

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daß Regen und Thau darum ausbleiben sollen. Gedeihlich aber kann alles werden, was natürlich ist, und danach sollen wir trachten. Übrigens wissen wir kein gesundes und kräftiges Buch, welches das Volk erbaut hat, wenn wir die Bibel obenan stellen, wo solche Bedenklichkeiten nicht in ungleich größerm Maaß einträten; der rechte Gebrauch aber findet nichts Böses heraus, sondern, wie ein schönes Wort sagt, ein Zeugnis unseres Herzens. Kinder deuten ohne Furcht in die Sterne, während andere, nach dem Volksglauben, die Engel damit beleidigen.

Gesammelt haben wir an diesen Märchen seit etwa dreizehn Jahren, der erste Band, welcher im Jahre 1812 erschien, enthielt meist was wir nach und nach in Hessen, in den Main- und Kinziggegenden der Grafschaft Hanau, wo wir her sind, von mündlichen Überlieferungen aufgefaßt hatten. Der zweite Band wurde im Jahre 1814 beendigt und kam schneller zu Stande, theils weil das Buch selbst sich Freunde verschafft hatte, die es nun, wo sie bestimmt sahen was und wie es gemeint war, unterstützten, theils weil uns das Glück begünstigte, das Zufall scheint, aber gewöhnlich beharrlichen und fleißigen Sammlern beisteht. Jst man erst gewöhnt auf dergleichen zu achten, so begegnet es doch häufiger als man sonst glaubt, und das ist überhaupt mit Sitten und Eigenthümlichkeiten, Sprüchen und Scherzen des Volkes der Fall. Die schönen plattdeutschen Märchen aus dem Fürstenthum Münster und Paderborn verdanken wir besonderer Güte und Freundschaft: das Zutrauliche der Mundart bei der innern Vollständigkeit zeigt sich hier besonders günstig. Dort, in den altberühmten Gegenden deutscher Freiheit, haben sich an manchen Orten die Sagen und Märchen als eine fast regelmäßige Vergnügung der Feiertage erhalten, und das Land ist noch reich an ererbten Gebräuchen und Liedern. Da, wo die Schrift theils noch nicht durch Einführung des Fremden stört oder durch

daß Regen und Thau darum ausbleiben sollen. Gedeihlich aber kann alles werden, was natürlich ist, und danach sollen wir trachten. Übrigens wissen wir kein gesundes und kräftiges Buch, welches das Volk erbaut hat, wenn wir die Bibel obenan stellen, wo solche Bedenklichkeiten nicht in ungleich größerm Maaß einträten; der rechte Gebrauch aber findet nichts Böses heraus, sondern, wie ein schönes Wort sagt, ein Zeugnis unseres Herzens. Kinder deuten ohne Furcht in die Sterne, während andere, nach dem Volksglauben, die Engel damit beleidigen.

Gesammelt haben wir an diesen Märchen seit etwa dreizehn Jahren, der erste Band, welcher im Jahre 1812 erschien, enthielt meist was wir nach und nach in Hessen, in den Main- und Kinziggegenden der Grafschaft Hanau, wo wir her sind, von mündlichen Überlieferungen aufgefaßt hatten. Der zweite Band wurde im Jahre 1814 beendigt und kam schneller zu Stande, theils weil das Buch selbst sich Freunde verschafft hatte, die es nun, wo sie bestimmt sahen was und wie es gemeint war, unterstützten, theils weil uns das Glück begünstigte, das Zufall scheint, aber gewöhnlich beharrlichen und fleißigen Sammlern beisteht. Jst man erst gewöhnt auf dergleichen zu achten, so begegnet es doch häufiger als man sonst glaubt, und das ist überhaupt mit Sitten und Eigenthümlichkeiten, Sprüchen und Scherzen des Volkes der Fall. Die schönen plattdeutschen Märchen aus dem Fürstenthum Münster und Paderborn verdanken wir besonderer Güte und Freundschaft: das Zutrauliche der Mundart bei der innern Vollständigkeit zeigt sich hier besonders günstig. Dort, in den altberühmten Gegenden deutscher Freiheit, haben sich an manchen Orten die Sagen und Märchen als eine fast regelmäßige Vergnügung der Feiertage erhalten, und das Land ist noch reich an ererbten Gebräuchen und Liedern. Da, wo die Schrift theils noch nicht durch Einführung des Fremden stört oder durch

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[XII/0018] daß Regen und Thau darum ausbleiben sollen. Gedeihlich aber kann alles werden, was natürlich ist, und danach sollen wir trachten. Übrigens wissen wir kein gesundes und kräftiges Buch, welches das Volk erbaut hat, wenn wir die Bibel obenan stellen, wo solche Bedenklichkeiten nicht in ungleich größerm Maaß einträten; der rechte Gebrauch aber findet nichts Böses heraus, sondern, wie ein schönes Wort sagt, ein Zeugnis unseres Herzens. Kinder deuten ohne Furcht in die Sterne, während andere, nach dem Volksglauben, die Engel damit beleidigen. Gesammelt haben wir an diesen Märchen seit etwa dreizehn Jahren, der erste Band, welcher im Jahre 1812 erschien, enthielt meist was wir nach und nach in Hessen, in den Main- und Kinziggegenden der Grafschaft Hanau, wo wir her sind, von mündlichen Überlieferungen aufgefaßt hatten. Der zweite Band wurde im Jahre 1814 beendigt und kam schneller zu Stande, theils weil das Buch selbst sich Freunde verschafft hatte, die es nun, wo sie bestimmt sahen was und wie es gemeint war, unterstützten, theils weil uns das Glück begünstigte, das Zufall scheint, aber gewöhnlich beharrlichen und fleißigen Sammlern beisteht. Jst man erst gewöhnt auf dergleichen zu achten, so begegnet es doch häufiger als man sonst glaubt, und das ist überhaupt mit Sitten und Eigenthümlichkeiten, Sprüchen und Scherzen des Volkes der Fall. Die schönen plattdeutschen Märchen aus dem Fürstenthum Münster und Paderborn verdanken wir besonderer Güte und Freundschaft: das Zutrauliche der Mundart bei der innern Vollständigkeit zeigt sich hier besonders günstig. Dort, in den altberühmten Gegenden deutscher Freiheit, haben sich an manchen Orten die Sagen und Märchen als eine fast regelmäßige Vergnügung der Feiertage erhalten, und das Land ist noch reich an ererbten Gebräuchen und Liedern. Da, wo die Schrift theils noch nicht durch Einführung des Fremden stört oder durch

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1850, S. XII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1850/18>, abgerufen am 16.04.2024.