Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1850.so klopf und sprich mein Schwesterlein, laß mich herein: und wenn du nicht so sprichst, so schließ ich mein Thürlein nicht auf.' Nun sprang das Rehchen hinaus, und war ihm so wohl und war so lustig in freier Luft. Der König und seine Jäger sahen das schöne Thier und setzten ihm nach, aber sie konnten es nicht einholen, und wenn sie meinten, sie hätten es gewiß, da sprang es über das Gebüsch weg und war verschwunden. Als es dunkel ward, lief es zu dem Häuschen, klopfte und sprach 'mein Schwesterlein, laß mich herein.' Da ward ihm die kleine Thür aufgethan, es sprang hinein und ruhete sich die ganze Nacht auf seinem weichen Lager aus. Am andern Morgen gieng die Jagd von neuem an, und als das Rehlein wieder das Hüfthorn hörte und das ho, ho! der Jäger, da hatte es keine Ruhe, und sprach 'Schwesterchen, mach mir auf, ich muß hinaus.' Das Schwesterchen öffnete ihm die Thüre und sprach 'aber zu Abend mußt du wieder da sein und dein Sprüchlein sagen.' Als der König und seine Jäger das Rehlein mit dem goldenen Halsband wieder sahen, jagten sie ihm alle nach, aber es war ihnen zu schnell und behend. Das währte den ganzen Tag, endlich aber hatten es die Jäger Abends umzingelt, und einer verwundete es ein wenig am Fuß, so daß es hinken mußte und langsam fortlief. Da schlich ihm ein Jäger nach bis zu dem Häuschen und hörte wie es rief 'mein Schwesterlein, laß mich herein,' und sah daß die Thür ihm aufgethan und alsbald wieder zugeschlossen ward. Der Jäger behielt das alles wohl im Sinn, gieng zum König und erzählte ihm was er gesehen und gehört hatte. Da sprach der König 'morgen soll noch einmal gejagt werden.' so klopf und sprich mein Schwesterlein, laß mich herein: und wenn du nicht so sprichst, so schließ ich mein Thürlein nicht auf.’ Nun sprang das Rehchen hinaus, und war ihm so wohl und war so lustig in freier Luft. Der König und seine Jäger sahen das schöne Thier und setzten ihm nach, aber sie konnten es nicht einholen, und wenn sie meinten, sie hätten es gewiß, da sprang es über das Gebüsch weg und war verschwunden. Als es dunkel ward, lief es zu dem Häuschen, klopfte und sprach ‘mein Schwesterlein, laß mich herein.’ Da ward ihm die kleine Thür aufgethan, es sprang hinein und ruhete sich die ganze Nacht auf seinem weichen Lager aus. Am andern Morgen gieng die Jagd von neuem an, und als das Rehlein wieder das Hüfthorn hörte und das ho, ho! der Jäger, da hatte es keine Ruhe, und sprach ‘Schwesterchen, mach mir auf, ich muß hinaus.’ Das Schwesterchen öffnete ihm die Thüre und sprach ‘aber zu Abend mußt du wieder da sein und dein Sprüchlein sagen.’ Als der König und seine Jäger das Rehlein mit dem goldenen Halsband wieder sahen, jagten sie ihm alle nach, aber es war ihnen zu schnell und behend. Das währte den ganzen Tag, endlich aber hatten es die Jäger Abends umzingelt, und einer verwundete es ein wenig am Fuß, so daß es hinken mußte und langsam fortlief. Da schlich ihm ein Jäger nach bis zu dem Häuschen und hörte wie es rief ‘mein Schwesterlein, laß mich herein,’ und sah daß die Thür ihm aufgethan und alsbald wieder zugeschlossen ward. Der Jäger behielt das alles wohl im Sinn, gieng zum König und erzählte ihm was er gesehen und gehört hatte. Da sprach der König ‘morgen soll noch einmal gejagt werden.’ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0149" n="67"/> so klopf und sprich mein Schwesterlein, laß mich herein: und wenn du nicht so sprichst, so schließ ich mein Thürlein nicht auf.’ Nun sprang das Rehchen hinaus, und war ihm so wohl und war so lustig in freier Luft. Der König und seine Jäger sahen das schöne Thier und setzten ihm nach, aber sie konnten es nicht einholen, und wenn sie meinten, sie hätten es gewiß, da sprang es über das Gebüsch weg und war verschwunden. Als es dunkel ward, lief es zu dem Häuschen, klopfte und sprach ‘mein Schwesterlein, laß mich herein.’ Da ward ihm die kleine Thür aufgethan, es sprang hinein und ruhete sich die ganze Nacht auf seinem weichen Lager aus. Am andern Morgen gieng die Jagd von neuem an, und als das Rehlein wieder das Hüfthorn hörte und das ho, ho! der Jäger, da hatte es keine Ruhe, und sprach ‘Schwesterchen, mach mir auf, ich muß hinaus.’ Das Schwesterchen öffnete ihm die Thüre und sprach ‘aber zu Abend mußt du wieder da sein und dein Sprüchlein sagen.’ Als der König und seine Jäger das Rehlein mit dem goldenen Halsband wieder sahen, jagten sie ihm alle nach, aber es war ihnen zu schnell und behend. Das währte den ganzen Tag, endlich aber hatten es die Jäger Abends umzingelt, und einer verwundete es ein wenig am Fuß, so daß es hinken mußte und langsam fortlief. Da schlich ihm ein Jäger nach bis zu dem Häuschen und hörte wie es rief ‘mein Schwesterlein, laß mich herein,’ und sah daß die Thür ihm aufgethan und alsbald wieder zugeschlossen ward. Der Jäger behielt das alles wohl im Sinn, gieng zum König und erzählte ihm was er gesehen und gehört hatte. Da sprach der König ‘morgen soll noch einmal gejagt werden.’</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [67/0149]
so klopf und sprich mein Schwesterlein, laß mich herein: und wenn du nicht so sprichst, so schließ ich mein Thürlein nicht auf.’ Nun sprang das Rehchen hinaus, und war ihm so wohl und war so lustig in freier Luft. Der König und seine Jäger sahen das schöne Thier und setzten ihm nach, aber sie konnten es nicht einholen, und wenn sie meinten, sie hätten es gewiß, da sprang es über das Gebüsch weg und war verschwunden. Als es dunkel ward, lief es zu dem Häuschen, klopfte und sprach ‘mein Schwesterlein, laß mich herein.’ Da ward ihm die kleine Thür aufgethan, es sprang hinein und ruhete sich die ganze Nacht auf seinem weichen Lager aus. Am andern Morgen gieng die Jagd von neuem an, und als das Rehlein wieder das Hüfthorn hörte und das ho, ho! der Jäger, da hatte es keine Ruhe, und sprach ‘Schwesterchen, mach mir auf, ich muß hinaus.’ Das Schwesterchen öffnete ihm die Thüre und sprach ‘aber zu Abend mußt du wieder da sein und dein Sprüchlein sagen.’ Als der König und seine Jäger das Rehlein mit dem goldenen Halsband wieder sahen, jagten sie ihm alle nach, aber es war ihnen zu schnell und behend. Das währte den ganzen Tag, endlich aber hatten es die Jäger Abends umzingelt, und einer verwundete es ein wenig am Fuß, so daß es hinken mußte und langsam fortlief. Da schlich ihm ein Jäger nach bis zu dem Häuschen und hörte wie es rief ‘mein Schwesterlein, laß mich herein,’ und sah daß die Thür ihm aufgethan und alsbald wieder zugeschlossen ward. Der Jäger behielt das alles wohl im Sinn, gieng zum König und erzählte ihm was er gesehen und gehört hatte. Da sprach der König ‘morgen soll noch einmal gejagt werden.’
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1850 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1850/149 |
Zitationshilfe: | Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1850, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1850/149>, abgerufen am 16.02.2025. |