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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1843.

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das waren deine Brüder, die sind nun auf immer in Raben verwandelt.' Das Mädchen sprach weinend 'ist denn kein Mittel sie zu erlösen?' 'Nein,' sagte die Alte, 'es ist keins auf der ganzen Welt, als eins, das ist aber so schwer, daß du sie damit nicht befreien wirst, denn du mußt sieben Jahre stumm sein, darfst nicht sprechen und nicht lachen, und sprichst du ein einziges Wort, und es fehlt nur eine Stunde an den sieben Jahren, so ist alles umsonst, und deine Brüder werden von deinem Wort getödtet.'

Da sprach das Mädchen in seinem Herzen 'ich will meine Brüder gewiß erlösen,' und gieng und suchte einen hohen Baum, setzte sich darauf, und spann, und sprach nicht, und lachte nicht. Nun trugs sich zu, daß ein König in dem Walde jagte, der hatte einen großen Windhund, der lief zu dem Baum, wo das Mädchen drauf saß, sprang herum, schrie und bellte hinauf. Da kam der König herbei, und sah die schöne Königstochter mit dem goldenen Stern auf der Stirne, und war so entzückt über ihre Schönheit, daß er ihr zurief ob sie seine Gemahlin werden wollte. Sie gab keine Antwort, nickte aber ein wenig mit dem Kopf. Da stieg er selbst auf den Baum, trug sie herab, setzte sie auf sein Pferd, und führte sie heim. Da ward die Hochzeit, obgleich die Braut stumm war und nicht lachte, mit großer Pracht und Freude gefeiert. Als sie ein paar Jahre mit einander vergnügt gelebt hatten, fieng die Mutter des Königs, die eine böse Frau war, an, die junge Königin zu verläumden, und sprach zum König 'es ist ein gemeines Bettelmädchen, das du dir mitgebracht hast, wer weiß was für gottlose

das waren deine Brüder, die sind nun auf immer in Raben verwandelt.’ Das Mädchen sprach weinend ‘ist denn kein Mittel sie zu erlösen?’ ‘Nein,’ sagte die Alte, ‘es ist keins auf der ganzen Welt, als eins, das ist aber so schwer, daß du sie damit nicht befreien wirst, denn du mußt sieben Jahre stumm sein, darfst nicht sprechen und nicht lachen, und sprichst du ein einziges Wort, und es fehlt nur eine Stunde an den sieben Jahren, so ist alles umsonst, und deine Brüder werden von deinem Wort getödtet.’

Da sprach das Mädchen in seinem Herzen ‘ich will meine Brüder gewiß erlösen,’ und gieng und suchte einen hohen Baum, setzte sich darauf, und spann, und sprach nicht, und lachte nicht. Nun trugs sich zu, daß ein König in dem Walde jagte, der hatte einen großen Windhund, der lief zu dem Baum, wo das Mädchen drauf saß, sprang herum, schrie und bellte hinauf. Da kam der König herbei, und sah die schöne Königstochter mit dem goldenen Stern auf der Stirne, und war so entzückt über ihre Schönheit, daß er ihr zurief ob sie seine Gemahlin werden wollte. Sie gab keine Antwort, nickte aber ein wenig mit dem Kopf. Da stieg er selbst auf den Baum, trug sie herab, setzte sie auf sein Pferd, und führte sie heim. Da ward die Hochzeit, obgleich die Braut stumm war und nicht lachte, mit großer Pracht und Freude gefeiert. Als sie ein paar Jahre mit einander vergnügt gelebt hatten, fieng die Mutter des Königs, die eine böse Frau war, an, die junge Königin zu verläumden, und sprach zum König ‘es ist ein gemeines Bettelmädchen, das du dir mitgebracht hast, wer weiß was für gottlose

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[60/0098] das waren deine Brüder, die sind nun auf immer in Raben verwandelt.’ Das Mädchen sprach weinend ‘ist denn kein Mittel sie zu erlösen?’ ‘Nein,’ sagte die Alte, ‘es ist keins auf der ganzen Welt, als eins, das ist aber so schwer, daß du sie damit nicht befreien wirst, denn du mußt sieben Jahre stumm sein, darfst nicht sprechen und nicht lachen, und sprichst du ein einziges Wort, und es fehlt nur eine Stunde an den sieben Jahren, so ist alles umsonst, und deine Brüder werden von deinem Wort getödtet.’ Da sprach das Mädchen in seinem Herzen ‘ich will meine Brüder gewiß erlösen,’ und gieng und suchte einen hohen Baum, setzte sich darauf, und spann, und sprach nicht, und lachte nicht. Nun trugs sich zu, daß ein König in dem Walde jagte, der hatte einen großen Windhund, der lief zu dem Baum, wo das Mädchen drauf saß, sprang herum, schrie und bellte hinauf. Da kam der König herbei, und sah die schöne Königstochter mit dem goldenen Stern auf der Stirne, und war so entzückt über ihre Schönheit, daß er ihr zurief ob sie seine Gemahlin werden wollte. Sie gab keine Antwort, nickte aber ein wenig mit dem Kopf. Da stieg er selbst auf den Baum, trug sie herab, setzte sie auf sein Pferd, und führte sie heim. Da ward die Hochzeit, obgleich die Braut stumm war und nicht lachte, mit großer Pracht und Freude gefeiert. Als sie ein paar Jahre mit einander vergnügt gelebt hatten, fieng die Mutter des Königs, die eine böse Frau war, an, die junge Königin zu verläumden, und sprach zum König ‘es ist ein gemeines Bettelmädchen, das du dir mitgebracht hast, wer weiß was für gottlose

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1843, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1843/98>, abgerufen am 28.04.2024.