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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1843.

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und haushalten, wir andern wollen ausgehen und Essen holen.' Nun zogen sie in den Wald und schossen Hasen, wilde Rehe, Vögel und Täuberchen und was zu essen stand: das brachten sie dem Benjamin, der mußts ihnen zurecht machen, damit sie ihren Hunger stillen konnten. Jn dem Häuschen lebten sie zehn Jahre zusammen, und die Zeit ward ihnen nicht lang.

Das Töchterchen, das ihre Mutter, die Königin, geboren hatte, war nun herangewachsen, war gar schön, und hatte einen goldenen Stern auf der Stirne. Einmal, als große Wäsche war, sah es darunter zwölf Mannshemden, und fragte seine Mutter 'wem gehören diese zwölf Hemden, für den Vater sind sie doch viel zu klein?' Da antwortete sie mit schwerem Herzen 'liebes Kind, die gehören deinen zwölf Brüdern.' Sprach das Mädchen 'wo sind meine zwölf Brüder, ich habe noch niemals von ihnen gehört.' Sie antwortete 'das weiß Gott, wo sie sind: sie irren in der Welt herum.' Da nahm sie das Mädchen, und schloß ihm das Zimmer auf, und zeigte ihm die zwölf Särge mit den Hobelspänen und den Todtenkißchen. 'Diese Särge,' sprach sie, 'waren für deine Brüder bestimmt, aber sie sind heimlich fortgegangen, eh du geboren warst,' und erzählte ihm wie sich alles zugetragen hatte. Da sagte das Mädchen 'liebe Mutter, weine nicht, ich will gehen und meine Brüder suchen.'

Nun nahm es die zwölf Hemden, und gieng fort und geradezu in den großen Wald hinein. Es gieng den ganzen Tag, und am Abend kam es zu dem verwünschten Häuschen. Da trat es hinein, und fand einen jungen Knaben, der fragte 'wo kommst du her und wo willst du

und haushalten, wir andern wollen ausgehen und Essen holen.’ Nun zogen sie in den Wald und schossen Hasen, wilde Rehe, Vögel und Täuberchen und was zu essen stand: das brachten sie dem Benjamin, der mußts ihnen zurecht machen, damit sie ihren Hunger stillen konnten. Jn dem Häuschen lebten sie zehn Jahre zusammen, und die Zeit ward ihnen nicht lang.

Das Töchterchen, das ihre Mutter, die Königin, geboren hatte, war nun herangewachsen, war gar schön, und hatte einen goldenen Stern auf der Stirne. Einmal, als große Wäsche war, sah es darunter zwölf Mannshemden, und fragte seine Mutter ‘wem gehören diese zwölf Hemden, für den Vater sind sie doch viel zu klein?’ Da antwortete sie mit schwerem Herzen ‘liebes Kind, die gehören deinen zwölf Brüdern.’ Sprach das Mädchen ‘wo sind meine zwölf Brüder, ich habe noch niemals von ihnen gehört.’ Sie antwortete ‘das weiß Gott, wo sie sind: sie irren in der Welt herum.’ Da nahm sie das Mädchen, und schloß ihm das Zimmer auf, und zeigte ihm die zwölf Särge mit den Hobelspänen und den Todtenkißchen. ‘Diese Särge,’ sprach sie, ‘waren für deine Brüder bestimmt, aber sie sind heimlich fortgegangen, eh du geboren warst,’ und erzählte ihm wie sich alles zugetragen hatte. Da sagte das Mädchen ‘liebe Mutter, weine nicht, ich will gehen und meine Brüder suchen.’

Nun nahm es die zwölf Hemden, und gieng fort und geradezu in den großen Wald hinein. Es gieng den ganzen Tag, und am Abend kam es zu dem verwünschten Häuschen. Da trat es hinein, und fand einen jungen Knaben, der fragte ‘wo kommst du her und wo willst du

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1843, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1843/95>, abgerufen am 27.04.2024.