Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

will ich dich einmal ordentlich kämmen.' Das arme Sneewittchen dachte an nichts, und ließ die Alte gewähren, aber kaum hatte sie den Kamm in die Haare gesteckt, als das Gift darin wirkte, und das Mädchen ohne Besinnung niederfiel. 'Du Ausbund von Schönheit,' sprach das boshafte Weib, 'jetzt ists um dich geschehen' und gieng fort. Zum Glück aber war es bald Abend, wo die sieben Zwerglein nach Haus kamen. Als sie Sneewittchen wie todt auf der Erde liegen sahen, hatten sie gleich die Stiefmutter in Verdacht, suchten nach, und fanden den giftigen Kamm, und kaum hatten sie ihn herausgezogen, so kam Sneewittchen wieder zu sich, und erzählte was vorgegangen war. Da warnten sie es noch einmal auf seiner Hut zu sein, und niemand die Thüre zu öffnen.

Die Königin stellte sich daheim vor den Spiegel, und sprach

'Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die schönste im ganzen Land?'

Da antwortete er, wie vorher

'Frau Königin, ihr seid die schönste hier,
aber Sneewittchen über den Bergen
bei den sieben Zwergen
ist doch noch tausendmal schöner als ihr.'

Als sie den Spiegel so reden hörte, zitterte und bebte sie vor Zorn. 'Sneewittchen soll sterben,' rief sie, 'und wenn es mein eigenes Leben kostet.' Darauf gieng sie in eine ganz Verborgene einsame Kammer, wo niemand hinkam, und machte da einen giftigen giftigen Apfel. Aeußerlich sah er schön aus, weiß mit rothen Backen, daß jeder, der ihn erblickte, Lust darnach bekam, aber wer ein Stückchen

will ich dich einmal ordentlich kämmen.’ Das arme Sneewittchen dachte an nichts, und ließ die Alte gewähren, aber kaum hatte sie den Kamm in die Haare gesteckt, als das Gift darin wirkte, und das Mädchen ohne Besinnung niederfiel. ‘Du Ausbund von Schönheit,’ sprach das boshafte Weib, ‘jetzt ists um dich geschehen’ und gieng fort. Zum Glück aber war es bald Abend, wo die sieben Zwerglein nach Haus kamen. Als sie Sneewittchen wie todt auf der Erde liegen sahen, hatten sie gleich die Stiefmutter in Verdacht, suchten nach, und fanden den giftigen Kamm, und kaum hatten sie ihn herausgezogen, so kam Sneewittchen wieder zu sich, und erzählte was vorgegangen war. Da warnten sie es noch einmal auf seiner Hut zu sein, und niemand die Thüre zu öffnen.

Die Königin stellte sich daheim vor den Spiegel, und sprach

‘Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die schönste im ganzen Land?’

Da antwortete er, wie vorher

‘Frau Königin, ihr seid die schönste hier,
aber Sneewittchen über den Bergen
bei den sieben Zwergen
ist doch noch tausendmal schöner als ihr.’

Als sie den Spiegel so reden hörte, zitterte und bebte sie vor Zorn. ‘Sneewittchen soll sterben,’ rief sie, ‘und wenn es mein eigenes Leben kostet.’ Darauf gieng sie in eine ganz Verborgene einsame Kammer, wo niemand hinkam, und machte da einen giftigen giftigen Apfel. Aeußerlich sah er schön aus, weiß mit rothen Backen, daß jeder, der ihn erblickte, Lust darnach bekam, aber wer ein Stückchen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0353" n="315"/>
will ich dich einmal ordentlich kämmen.&#x2019; Das arme Sneewittchen dachte an nichts, und ließ die Alte gewähren, aber kaum hatte sie den Kamm in die Haare gesteckt, als das Gift darin wirkte, und das Mädchen ohne Besinnung niederfiel. &#x2018;Du Ausbund von Schönheit,&#x2019; sprach das boshafte Weib, &#x2018;jetzt ists um dich geschehen&#x2019; und gieng fort. Zum Glück aber war es bald Abend, wo die sieben Zwerglein nach Haus kamen. Als sie Sneewittchen wie todt auf der Erde liegen sahen, hatten sie gleich die Stiefmutter in Verdacht, suchten nach, und fanden den giftigen Kamm, und kaum hatten sie ihn herausgezogen, so kam Sneewittchen wieder zu sich, und erzählte was vorgegangen war. Da warnten sie es noch einmal auf seiner Hut zu sein, und niemand die Thüre zu öffnen.</p><lb/>
        <p>Die Königin stellte sich daheim vor den Spiegel, und sprach</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>&#x2018;Spieglein, Spieglein an der Wand,</l><lb/>
          <l>wer ist die schönste im ganzen Land?&#x2019;</l><lb/>
        </lg>
        <p>Da antwortete er, wie vorher</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>&#x2018;Frau Königin, ihr seid die schönste hier,</l><lb/>
          <l>aber Sneewittchen über den Bergen</l><lb/>
          <l>bei den sieben Zwergen</l><lb/>
          <l>ist doch noch tausendmal schöner als ihr.&#x2019;</l><lb/>
        </lg>
        <p>Als sie den Spiegel so reden hörte, zitterte und bebte sie vor Zorn. &#x2018;Sneewittchen soll sterben,&#x2019; rief sie, &#x2018;und wenn es mein eigenes Leben kostet.&#x2019; Darauf gieng sie in eine ganz Verborgene einsame Kammer, wo niemand hinkam, und machte da einen giftigen giftigen Apfel. Aeußerlich sah er schön aus, weiß mit rothen Backen, daß jeder, der ihn erblickte, Lust darnach bekam, aber wer ein Stückchen
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[315/0353] will ich dich einmal ordentlich kämmen.’ Das arme Sneewittchen dachte an nichts, und ließ die Alte gewähren, aber kaum hatte sie den Kamm in die Haare gesteckt, als das Gift darin wirkte, und das Mädchen ohne Besinnung niederfiel. ‘Du Ausbund von Schönheit,’ sprach das boshafte Weib, ‘jetzt ists um dich geschehen’ und gieng fort. Zum Glück aber war es bald Abend, wo die sieben Zwerglein nach Haus kamen. Als sie Sneewittchen wie todt auf der Erde liegen sahen, hatten sie gleich die Stiefmutter in Verdacht, suchten nach, und fanden den giftigen Kamm, und kaum hatten sie ihn herausgezogen, so kam Sneewittchen wieder zu sich, und erzählte was vorgegangen war. Da warnten sie es noch einmal auf seiner Hut zu sein, und niemand die Thüre zu öffnen. Die Königin stellte sich daheim vor den Spiegel, und sprach ‘Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die schönste im ganzen Land?’ Da antwortete er, wie vorher ‘Frau Königin, ihr seid die schönste hier, aber Sneewittchen über den Bergen bei den sieben Zwergen ist doch noch tausendmal schöner als ihr.’ Als sie den Spiegel so reden hörte, zitterte und bebte sie vor Zorn. ‘Sneewittchen soll sterben,’ rief sie, ‘und wenn es mein eigenes Leben kostet.’ Darauf gieng sie in eine ganz Verborgene einsame Kammer, wo niemand hinkam, und machte da einen giftigen giftigen Apfel. Aeußerlich sah er schön aus, weiß mit rothen Backen, daß jeder, der ihn erblickte, Lust darnach bekam, aber wer ein Stückchen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2017-11-08T15:10:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-01T14:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1843/353
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1843, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1843/353>, abgerufen am 12.05.2024.