Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Wenn ich nicht Mitleiden mit dir habe und dich rette, so bist du verloren.'

Darauf mußte sich das Mädchen hinter ein großes Faß verstecken. 'Sei wie ein Mäuschen still,' sagte die Alte, 'rege dich nicht und bewege dich nicht, sonst ists um dich geschehen. Nachts wenn die Räuber schlafen, wollen wir entfliehen, ich habe schon lange auf eine Gelegenheit gewartet.' Sie versteckte das Mädchen hinter ein Faß, und kaum war das geschehen, so kam die gottlose Rotte nach Hause. Sie brachten eine andere Jungfrau mitgeschleppt, waren trunken, und hörten nicht auf ihr Schreien und Jammern. Sie gaben ihr Wein zu trinken, drei Gläser voll, ein Glas weißen, ein Glas rothen, und ein Glas gelben, davon zersprang ihr das Herz. Darauf rissen sie ihr die feinen Kleider ab, legten sie auf einen Tisch, und zerhackten ihren schönen Leib in Stücke, und streuten Salz darüber. Die arme Braut hinter dem Faß zitterte und bebte, denn sie sah wohl daß ihr die Räuber ein gleiches Schicksal zugedacht hatten. Einer von ihnen bemerkte an dem kleinen Finger der Gemordeten einen goldenen Ring, und als er sich nicht gleich abziehen ließ, so nahm er ein Beil, und hackte den Finger ab: aber der Finger sprang in die Höhe, und fiel der Braut gerade in den Schooß. Der Räuber nahm ein Licht, und wollte ihn suchen, konnte ihn aber nicht finden. Da sprach ein anderer 'hast du auch schon hinter dem großen Fasse gesucht?' 'Ei,' rief die Alte, 'kommt und eßt, und laßt das Suchen bis Morgen: der Finger läuft euch nicht fort.'

Da riefen die Räuber 'die Alte hat recht,' ließen vom Suchen ab, setzten sich zum Essen, und die Alte tröpfelte

Wenn ich nicht Mitleiden mit dir habe und dich rette, so bist du verloren.’

Darauf mußte sich das Mädchen hinter ein großes Faß verstecken. ‘Sei wie ein Mäuschen still,’ sagte die Alte, ‘rege dich nicht und bewege dich nicht, sonst ists um dich geschehen. Nachts wenn die Räuber schlafen, wollen wir entfliehen, ich habe schon lange auf eine Gelegenheit gewartet.’ Sie versteckte das Mädchen hinter ein Faß, und kaum war das geschehen, so kam die gottlose Rotte nach Hause. Sie brachten eine andere Jungfrau mitgeschleppt, waren trunken, und hörten nicht auf ihr Schreien und Jammern. Sie gaben ihr Wein zu trinken, drei Gläser voll, ein Glas weißen, ein Glas rothen, und ein Glas gelben, davon zersprang ihr das Herz. Darauf rissen sie ihr die feinen Kleider ab, legten sie auf einen Tisch, und zerhackten ihren schönen Leib in Stücke, und streuten Salz darüber. Die arme Braut hinter dem Faß zitterte und bebte, denn sie sah wohl daß ihr die Räuber ein gleiches Schicksal zugedacht hatten. Einer von ihnen bemerkte an dem kleinen Finger der Gemordeten einen goldenen Ring, und als er sich nicht gleich abziehen ließ, so nahm er ein Beil, und hackte den Finger ab: aber der Finger sprang in die Höhe, und fiel der Braut gerade in den Schooß. Der Räuber nahm ein Licht, und wollte ihn suchen, konnte ihn aber nicht finden. Da sprach ein anderer ‘hast du auch schon hinter dem großen Fasse gesucht?’ ‘Ei,’ rief die Alte, ‘kommt und eßt, und laßt das Suchen bis Morgen: der Finger läuft euch nicht fort.’

Da riefen die Räuber ‘die Alte hat recht,’ ließen vom Suchen ab, setzten sich zum Essen, und die Alte tröpfelte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0283" n="245"/>
Wenn ich nicht Mitleiden mit dir habe und dich rette, so bist du verloren.&#x2019;</p><lb/>
        <p>Darauf mußte sich das Mädchen hinter ein großes Faß verstecken. &#x2018;Sei wie ein Mäuschen still,&#x2019; sagte die Alte, &#x2018;rege dich nicht und bewege dich nicht, sonst ists um dich geschehen. Nachts wenn die Räuber schlafen, wollen wir entfliehen, ich habe schon lange auf eine Gelegenheit gewartet.&#x2019; Sie versteckte das Mädchen hinter ein Faß, und kaum war das geschehen, so kam die gottlose Rotte nach Hause. Sie brachten eine andere Jungfrau mitgeschleppt, waren trunken, und hörten nicht auf ihr Schreien und Jammern. Sie gaben ihr Wein zu trinken, drei Gläser voll, ein Glas weißen, ein Glas rothen, und ein Glas gelben, davon zersprang ihr das Herz. Darauf rissen sie ihr die feinen Kleider ab, legten sie auf einen Tisch, und zerhackten ihren schönen Leib in Stücke, und streuten Salz darüber. Die arme Braut hinter dem Faß zitterte und bebte, denn sie sah wohl daß ihr die Räuber ein gleiches Schicksal zugedacht hatten. Einer von ihnen bemerkte an dem kleinen Finger der Gemordeten einen goldenen Ring, und als er sich nicht gleich abziehen ließ, so nahm er ein Beil, und hackte den Finger ab: aber der Finger sprang in die Höhe, und fiel der Braut gerade in den Schooß. Der Räuber nahm ein Licht, und wollte ihn suchen, konnte ihn aber nicht finden. Da sprach ein anderer &#x2018;hast du auch schon hinter dem großen Fasse gesucht?&#x2019; &#x2018;Ei,&#x2019; rief die Alte, &#x2018;kommt und eßt, und laßt das Suchen bis Morgen: der Finger läuft euch nicht fort.&#x2019;</p><lb/>
        <p>Da riefen die Räuber &#x2018;die Alte hat recht,&#x2019; ließen vom Suchen ab, setzten sich zum Essen, und die Alte tröpfelte
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[245/0283] Wenn ich nicht Mitleiden mit dir habe und dich rette, so bist du verloren.’ Darauf mußte sich das Mädchen hinter ein großes Faß verstecken. ‘Sei wie ein Mäuschen still,’ sagte die Alte, ‘rege dich nicht und bewege dich nicht, sonst ists um dich geschehen. Nachts wenn die Räuber schlafen, wollen wir entfliehen, ich habe schon lange auf eine Gelegenheit gewartet.’ Sie versteckte das Mädchen hinter ein Faß, und kaum war das geschehen, so kam die gottlose Rotte nach Hause. Sie brachten eine andere Jungfrau mitgeschleppt, waren trunken, und hörten nicht auf ihr Schreien und Jammern. Sie gaben ihr Wein zu trinken, drei Gläser voll, ein Glas weißen, ein Glas rothen, und ein Glas gelben, davon zersprang ihr das Herz. Darauf rissen sie ihr die feinen Kleider ab, legten sie auf einen Tisch, und zerhackten ihren schönen Leib in Stücke, und streuten Salz darüber. Die arme Braut hinter dem Faß zitterte und bebte, denn sie sah wohl daß ihr die Räuber ein gleiches Schicksal zugedacht hatten. Einer von ihnen bemerkte an dem kleinen Finger der Gemordeten einen goldenen Ring, und als er sich nicht gleich abziehen ließ, so nahm er ein Beil, und hackte den Finger ab: aber der Finger sprang in die Höhe, und fiel der Braut gerade in den Schooß. Der Räuber nahm ein Licht, und wollte ihn suchen, konnte ihn aber nicht finden. Da sprach ein anderer ‘hast du auch schon hinter dem großen Fasse gesucht?’ ‘Ei,’ rief die Alte, ‘kommt und eßt, und laßt das Suchen bis Morgen: der Finger läuft euch nicht fort.’ Da riefen die Räuber ‘die Alte hat recht,’ ließen vom Suchen ab, setzten sich zum Essen, und die Alte tröpfelte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2017-11-08T15:10:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-01T14:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1843/283
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1843, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1843/283>, abgerufen am 11.05.2024.