Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Am frühen Morgen kam die Frau, und holte die Kinder aus dem Bette. Sie erhielten ihr Stückchen Brot, das war aber noch kleiner, als das vorigemal. Auf dem Wege nach dem Wald bröckelte es Hänsel in der Tasche, stand oft still, und warf ein Bröcklein auf die Erde. 'Hänsel, was stehst du, und guckst dich um,' sagte der Vater, 'geh deiner Wege.' 'Jch sehe nach meinem Täubchen, das sitzt auf dem Dache, und will mir Ade sagen,' antwortete Hänsel. 'Narr,' sagte die Frau, 'das ist dein Täubchen nicht, das ist die Morgensonne, die auf den Schornstein oben scheint.' Hänsel aber warf nach und nach alle Bröcklein auf den Weg.

Die Frau führte die Kinder noch tiefer in den Wald, wo sie ihr Lebtag noch nicht gewesen waren. Da ward wieder ein großes Feuer angemacht, und die Mutter sagte 'bleibt nur da sitzen, ihr Kinder, und wenn ihr müd seid, könnt ihr ein wenig schlafen, wir gehen in den Wald und hauen Holz, und Abends, wenn wir fertig sind, kommen wir, und holen euch ab.' Als es Mittag war, theilte Grethel ihr Brot mit Hänsel, der sein Stück auf den Weg gestreut hatte. Dann schliefen sie ein, und der Abend vergieng, aber niemand kam zu den armen Kindern. Sie erwachten erst in der finstern Nacht, und Hänsel tröstete sein Schwesterchen und sagte, 'wart nur, Grethel, bis der Mond aufgeht, dann werden wir die Brotbröcklein sehen, die ich ausgestreut habe, die zeigen uns den Weg nach Haus.' Als der Mond kam, machten sie sich auf, aber sie fanden kein Bröcklein mehr, denn die viel tausend Vögel, die im Walde und im Felde herumfliegen, die hatten sie weggepickt. Hänsel sagte zu

Am frühen Morgen kam die Frau, und holte die Kinder aus dem Bette. Sie erhielten ihr Stückchen Brot, das war aber noch kleiner, als das vorigemal. Auf dem Wege nach dem Wald bröckelte es Hänsel in der Tasche, stand oft still, und warf ein Bröcklein auf die Erde. ‘Hänsel, was stehst du, und guckst dich um,’ sagte der Vater, ‘geh deiner Wege.’ ‘Jch sehe nach meinem Täubchen, das sitzt auf dem Dache, und will mir Ade sagen,’ antwortete Hänsel. ‘Narr,’ sagte die Frau, ‘das ist dein Täubchen nicht, das ist die Morgensonne, die auf den Schornstein oben scheint.’ Hänsel aber warf nach und nach alle Bröcklein auf den Weg.

Die Frau führte die Kinder noch tiefer in den Wald, wo sie ihr Lebtag noch nicht gewesen waren. Da ward wieder ein großes Feuer angemacht, und die Mutter sagte ‘bleibt nur da sitzen, ihr Kinder, und wenn ihr müd seid, könnt ihr ein wenig schlafen, wir gehen in den Wald und hauen Holz, und Abends, wenn wir fertig sind, kommen wir, und holen euch ab.’ Als es Mittag war, theilte Grethel ihr Brot mit Hänsel, der sein Stück auf den Weg gestreut hatte. Dann schliefen sie ein, und der Abend vergieng, aber niemand kam zu den armen Kindern. Sie erwachten erst in der finstern Nacht, und Hänsel tröstete sein Schwesterchen und sagte, ‘wart nur, Grethel, bis der Mond aufgeht, dann werden wir die Brotbröcklein sehen, die ich ausgestreut habe, die zeigen uns den Weg nach Haus.’ Als der Mond kam, machten sie sich auf, aber sie fanden kein Bröcklein mehr, denn die viel tausend Vögel, die im Walde und im Felde herumfliegen, die hatten sie weggepickt. Hänsel sagte zu

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0133" n="95"/>
        <p> Am frühen Morgen kam die Frau, und holte die Kinder aus dem Bette. Sie erhielten ihr Stückchen Brot, das war aber noch kleiner, als das vorigemal. Auf dem Wege nach dem Wald bröckelte es Hänsel in der Tasche, stand oft still, und warf ein Bröcklein auf die Erde. &#x2018;Hänsel, was stehst du, und guckst dich um,&#x2019; sagte der Vater, &#x2018;geh deiner Wege.&#x2019; &#x2018;Jch sehe nach meinem Täubchen, das sitzt auf dem Dache, und will mir Ade sagen,&#x2019; antwortete Hänsel. &#x2018;Narr,&#x2019; sagte die Frau, &#x2018;das ist dein Täubchen nicht, das ist die Morgensonne, die auf den Schornstein oben scheint.&#x2019; Hänsel aber warf nach und nach alle Bröcklein auf den Weg.</p><lb/>
        <p>Die Frau führte die Kinder noch tiefer in den Wald, wo sie ihr Lebtag noch nicht gewesen waren. Da ward wieder ein großes Feuer angemacht, und die Mutter sagte &#x2018;bleibt nur da sitzen, ihr Kinder, und wenn ihr müd seid, könnt ihr ein wenig schlafen, wir gehen in den Wald und hauen Holz, und Abends, wenn wir fertig sind, kommen wir, und holen euch ab.&#x2019; Als es Mittag war, theilte Grethel ihr Brot mit Hänsel, der sein Stück auf den Weg gestreut hatte. Dann schliefen sie ein, und der Abend vergieng, aber niemand kam zu den armen Kindern. Sie erwachten erst in der finstern Nacht, und Hänsel tröstete sein Schwesterchen und sagte, &#x2018;wart nur, Grethel, bis der Mond aufgeht, dann werden wir die Brotbröcklein sehen, die ich ausgestreut habe, die zeigen uns den Weg nach Haus.&#x2019; Als der Mond kam, machten sie sich auf, aber sie fanden kein Bröcklein mehr, denn die viel tausend Vögel, die im Walde und im Felde herumfliegen, die hatten sie weggepickt. Hänsel sagte zu
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[95/0133] Am frühen Morgen kam die Frau, und holte die Kinder aus dem Bette. Sie erhielten ihr Stückchen Brot, das war aber noch kleiner, als das vorigemal. Auf dem Wege nach dem Wald bröckelte es Hänsel in der Tasche, stand oft still, und warf ein Bröcklein auf die Erde. ‘Hänsel, was stehst du, und guckst dich um,’ sagte der Vater, ‘geh deiner Wege.’ ‘Jch sehe nach meinem Täubchen, das sitzt auf dem Dache, und will mir Ade sagen,’ antwortete Hänsel. ‘Narr,’ sagte die Frau, ‘das ist dein Täubchen nicht, das ist die Morgensonne, die auf den Schornstein oben scheint.’ Hänsel aber warf nach und nach alle Bröcklein auf den Weg. Die Frau führte die Kinder noch tiefer in den Wald, wo sie ihr Lebtag noch nicht gewesen waren. Da ward wieder ein großes Feuer angemacht, und die Mutter sagte ‘bleibt nur da sitzen, ihr Kinder, und wenn ihr müd seid, könnt ihr ein wenig schlafen, wir gehen in den Wald und hauen Holz, und Abends, wenn wir fertig sind, kommen wir, und holen euch ab.’ Als es Mittag war, theilte Grethel ihr Brot mit Hänsel, der sein Stück auf den Weg gestreut hatte. Dann schliefen sie ein, und der Abend vergieng, aber niemand kam zu den armen Kindern. Sie erwachten erst in der finstern Nacht, und Hänsel tröstete sein Schwesterchen und sagte, ‘wart nur, Grethel, bis der Mond aufgeht, dann werden wir die Brotbröcklein sehen, die ich ausgestreut habe, die zeigen uns den Weg nach Haus.’ Als der Mond kam, machten sie sich auf, aber sie fanden kein Bröcklein mehr, denn die viel tausend Vögel, die im Walde und im Felde herumfliegen, die hatten sie weggepickt. Hänsel sagte zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2017-11-08T15:10:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-01T14:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1843/133
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1843, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1843/133>, abgerufen am 22.11.2024.