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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 4. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1840.

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Abänderungen und Entstellungen eines einmal dagewesenen Urbildes sehen, da es im Gegentheil vielleicht nur Versuche sind, einem im Geist bloß vorhandenen, unerschöpflichen, auf mannigfachen Wegen sich zu nähern. Wiederholungen einzelner Sätze, Züge und Einleitungen, sind wie epische Zeilen zu betrachten, die, sobald der Ton sich rührt, der sie anschlägt, immer wiederkehren, und in einem andern Sinne eigentlich nicht zu verstehen.

Eine entschiedene Mundart haben wir gerne beibehalten. Hätte es überall geschehen können, so würde die Erzählung ohne Zweifel gewonnen haben. Es ist hier ein Fall wo die erlangte Bildung, Feinheit und Kunst der Sprache zu Schanden wird, und man fühlt daß eine geläuterte Schriftsprache, so gewandt sie in allem übrigen sein mag, heller und durchsichtiger aber auch schmackloser geworden ist, und nicht mehr so fest dem Kerne sich anschließe. Schade, daß die niederhessische Mundart in der Nähe von Cassel, als in den Gränzpunkten des alten sächsischen und fränkischen Hessengaues, eine unbestimmte und nicht reinlich aufzufassende Mischung von niedersächsischem und hochdeutschem ist.

Jn diesem Sinne gibt es unseres Wissens sonst keine

Abänderungen und Entstellungen eines einmal dagewesenen Urbildes sehen, da es im Gegentheil vielleicht nur Versuche sind, einem im Geist bloß vorhandenen, unerschöpflichen, auf mannigfachen Wegen sich zu nähern. Wiederholungen einzelner Sätze, Züge und Einleitungen, sind wie epische Zeilen zu betrachten, die, sobald der Ton sich rührt, der sie anschlägt, immer wiederkehren, und in einem andern Sinne eigentlich nicht zu verstehen.

Eine entschiedene Mundart haben wir gerne beibehalten. Hätte es überall geschehen können, so würde die Erzählung ohne Zweifel gewonnen haben. Es ist hier ein Fall wo die erlangte Bildung, Feinheit und Kunst der Sprache zu Schanden wird, und man fühlt daß eine geläuterte Schriftsprache, so gewandt sie in allem übrigen sein mag, heller und durchsichtiger aber auch schmackloser geworden ist, und nicht mehr so fest dem Kerne sich anschließe. Schade, daß die niederhessische Mundart in der Nähe von Cassel, als in den Gränzpunkten des alten sächsischen und fränkischen Hessengaues, eine unbestimmte und nicht reinlich aufzufassende Mischung von niedersächsischem und hochdeutschem ist.

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[XXI/0038] Abänderungen und Entstellungen eines einmal dagewesenen Urbildes sehen, da es im Gegentheil vielleicht nur Versuche sind, einem im Geist bloß vorhandenen, unerschöpflichen, auf mannigfachen Wegen sich zu nähern. Wiederholungen einzelner Sätze, Züge und Einleitungen, sind wie epische Zeilen zu betrachten, die, sobald der Ton sich rührt, der sie anschlägt, immer wiederkehren, und in einem andern Sinne eigentlich nicht zu verstehen. Eine entschiedene Mundart haben wir gerne beibehalten. Hätte es überall geschehen können, so würde die Erzählung ohne Zweifel gewonnen haben. Es ist hier ein Fall wo die erlangte Bildung, Feinheit und Kunst der Sprache zu Schanden wird, und man fühlt daß eine geläuterte Schriftsprache, so gewandt sie in allem übrigen sein mag, heller und durchsichtiger aber auch schmackloser geworden ist, und nicht mehr so fest dem Kerne sich anschließe. Schade, daß die niederhessische Mundart in der Nähe von Cassel, als in den Gränzpunkten des alten sächsischen und fränkischen Hessengaues, eine unbestimmte und nicht reinlich aufzufassende Mischung von niedersächsischem und hochdeutschem ist. Jn diesem Sinne gibt es unseres Wissens sonst keine

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 4. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1840, S. XXI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1840/38>, abgerufen am 16.04.2024.