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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 4. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1840.

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Einer jener guten Zufälle aber war es, daß wir aus dem bei Cassel gelegenen Dorfe Niederzwehrn eine Bäuerin kennen lernten, die uns die meisten und schönsten Märchen des zweiten Bandes erzählte. Die Frau Viehmännin war noch rüstig, und nicht viel über fünfzig Jahre alt. Jhre Gesichtszüge hatten etwas Festes, Verständiges und Angenehmes, und aus großen Augen blickte sie hell und scharf*). Sie bewahrte die alten Sagen fest im Gedächtnis, und sagte wohl selbst daß diese Gabe nicht jedem verliehen sei, und mancher gar nichts im Zusammenhange

habe verhüten wollen, im Vertrauen auf die Schrift, leichtsinnig im Erlernen und Behalten der Lieder zu werden. Auch Thamus hält dem Theuth (im Phädrus des Plato) bei Erfindung der Buchstaben den Nachtheil vor, den die Schrift auf die Ausbildung des Gedächtnisses haben würde.
*) Unser Bruder Ludwig Grimm hat eine recht ähnliche und natürliche Zeichnung von ihr radiert, die man in der Sammlung seiner Blätter (bei Weigel in Leipzig) findet. Einen zwar verkleinerten doch wohlgeratenen Nachstich davon liefert hier das Titelkupfer vor dem zweiten Band. Durch den Krieg gerieth die gute Frau in Elend und Unglück, das wohlthätige Menschen lindern aber nicht heben konnten. Der Vater ihrer zahlreichen Enkel starb am Nervenfieber, die Waisen brachten Krankheit und die höchste Noth in ihre schon arme Hütte. Sie wurde siech, und starb am 17. Nov. 1816.

Einer jener guten Zufälle aber war es, daß wir aus dem bei Cassel gelegenen Dorfe Niederzwehrn eine Bäuerin kennen lernten, die uns die meisten und schönsten Märchen des zweiten Bandes erzählte. Die Frau Viehmännin war noch rüstig, und nicht viel über fünfzig Jahre alt. Jhre Gesichtszüge hatten etwas Festes, Verständiges und Angenehmes, und aus großen Augen blickte sie hell und scharf*). Sie bewahrte die alten Sagen fest im Gedächtnis, und sagte wohl selbst daß diese Gabe nicht jedem verliehen sei, und mancher gar nichts im Zusammenhange

habe verhüten wollen, im Vertrauen auf die Schrift, leichtsinnig im Erlernen und Behalten der Lieder zu werden. Auch Thamus hält dem Theuth (im Phädrus des Plato) bei Erfindung der Buchstaben den Nachtheil vor, den die Schrift auf die Ausbildung des Gedächtnisses haben würde.
*) Unser Bruder Ludwig Grimm hat eine recht ähnliche und natürliche Zeichnung von ihr radiert, die man in der Sammlung seiner Blätter (bei Weigel in Leipzig) findet. Einen zwar verkleinerten doch wohlgeratenen Nachstich davon liefert hier das Titelkupfer vor dem zweiten Band. Durch den Krieg gerieth die gute Frau in Elend und Unglück, das wohlthätige Menschen lindern aber nicht heben konnten. Der Vater ihrer zahlreichen Enkel starb am Nervenfieber, die Waisen brachten Krankheit und die höchste Noth in ihre schon arme Hütte. Sie wurde siech, und starb am 17. Nov. 1816.
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[XVI/0033] Einer jener guten Zufälle aber war es, daß wir aus dem bei Cassel gelegenen Dorfe Niederzwehrn eine Bäuerin kennen lernten, die uns die meisten und schönsten Märchen des zweiten Bandes erzählte. Die Frau Viehmännin war noch rüstig, und nicht viel über fünfzig Jahre alt. Jhre Gesichtszüge hatten etwas Festes, Verständiges und Angenehmes, und aus großen Augen blickte sie hell und scharf *). Sie bewahrte die alten Sagen fest im Gedächtnis, und sagte wohl selbst daß diese Gabe nicht jedem verliehen sei, und mancher gar nichts im Zusammenhange *) *) Unser Bruder Ludwig Grimm hat eine recht ähnliche und natürliche Zeichnung von ihr radiert, die man in der Sammlung seiner Blätter (bei Weigel in Leipzig) findet. Einen zwar verkleinerten doch wohlgeratenen Nachstich davon liefert hier das Titelkupfer vor dem zweiten Band. Durch den Krieg gerieth die gute Frau in Elend und Unglück, das wohlthätige Menschen lindern aber nicht heben konnten. Der Vater ihrer zahlreichen Enkel starb am Nervenfieber, die Waisen brachten Krankheit und die höchste Noth in ihre schon arme Hütte. Sie wurde siech, und starb am 17. Nov. 1816. *) habe verhüten wollen, im Vertrauen auf die Schrift, leichtsinnig im Erlernen und Behalten der Lieder zu werden. Auch Thamus hält dem Theuth (im Phädrus des Plato) bei Erfindung der Buchstaben den Nachtheil vor, den die Schrift auf die Ausbildung des Gedächtnisses haben würde.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 4. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1840, S. XVI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1840/33>, abgerufen am 23.11.2024.