Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 4. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite
15.
Hänsel und Grethel.

Vor einem großen Walde wohnte ein armer Holzhacker, der hatte wenig zu beißen und zu brechen, und kaum das tägliche Brot für seine Frau und seine zwei Kinder, Hänsel und Grethel. Endlich kam die Zeit, da konnte er auch das nicht schaffen, und wußte keine Hülfe mehr für seine Noth. Wie er sich nun Abends vor Sorge im Bett herumwälzte, sprach seine Frau zu ihm 'hör, Mann, morgen in aller Frühe nimm die beiden Kinder, gib jedem noch ein Stückchen Brot, und führe sie hinaus in den Wald, mitten inne, wo er am dicksten ist, da mach ihnen ein Feuer an, und dann geh weg, und laß sie dort allein: wir können sie nicht länger ernähren.' 'Nein, Frau,' sagte der Mann, 'wie soll ich übers Herz bringen, meine eigenen lieben Kinder den wilden Thieren im Wald zu überliefern, die würden sie bald zerrissen haben. 'Wenn du das nicht thust,' sprach die Frau, so müssen wir alle miteinander Hungers sterben,' und ließ ihm keine Ruhe, bis er einwilligte.

Die zwei Kinder waren auch noch vor Hunger wach gewesen, und hatten mit angehört was die Stiefmutter zum Vater gesagt hatte. Grethel dachte 'nun ist es um mich geschehen, und fieng erbärmlich an zu weinen, Hänsel aber sprach 'sey

15.
Hänsel und Grethel.

Vor einem großen Walde wohnte ein armer Holzhacker, der hatte wenig zu beißen und zu brechen, und kaum das tägliche Brot für seine Frau und seine zwei Kinder, Hänsel und Grethel. Endlich kam die Zeit, da konnte er auch das nicht schaffen, und wußte keine Hülfe mehr für seine Noth. Wie er sich nun Abends vor Sorge im Bett herumwälzte, sprach seine Frau zu ihm ‘hör, Mann, morgen in aller Frühe nimm die beiden Kinder, gib jedem noch ein Stückchen Brot, und führe sie hinaus in den Wald, mitten inne, wo er am dicksten ist, da mach ihnen ein Feuer an, und dann geh weg, und laß sie dort allein: wir können sie nicht länger ernähren.’ ‘Nein, Frau,’ sagte der Mann, ‘wie soll ich übers Herz bringen, meine eigenen lieben Kinder den wilden Thieren im Wald zu überliefern, die würden sie bald zerrissen haben. ‘Wenn du das nicht thust,’ sprach die Frau, so müssen wir alle miteinander Hungers sterben,’ und ließ ihm keine Ruhe, bis er einwilligte.

Die zwei Kinder waren auch noch vor Hunger wach gewesen, und hatten mit angehört was die Stiefmutter zum Vater gesagt hatte. Grethel dachte ‘nun ist es um mich geschehen, und fieng erbärmlich an zu weinen, Hänsel aber sprach ‘sey

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0142" n="93"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">15.<lb/>
Hänsel und Grethel.</hi> </head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">V</hi>or einem großen Walde wohnte ein armer Holzhacker, der hatte wenig zu beißen und zu brechen, und kaum das tägliche Brot für seine Frau und seine zwei Kinder, Hänsel und Grethel. Endlich kam die Zeit, da konnte er auch das nicht schaffen, und wußte keine Hülfe mehr für seine Noth. Wie er sich nun Abends vor Sorge im Bett herumwälzte, sprach seine Frau zu ihm &#x2018;hör, Mann, morgen in aller Frühe nimm die beiden Kinder, gib jedem noch ein Stückchen Brot, und führe sie hinaus in den Wald, mitten inne, wo er am dicksten ist, da mach ihnen ein Feuer an, und dann geh weg, und laß sie dort allein: wir können sie nicht länger ernähren.&#x2019; &#x2018;Nein, Frau,&#x2019; sagte der Mann, &#x2018;wie soll ich übers Herz bringen, meine eigenen lieben Kinder den wilden Thieren im Wald zu überliefern, die würden sie bald zerrissen haben. &#x2018;Wenn du das nicht thust,&#x2019; sprach die Frau, so müssen wir alle miteinander Hungers sterben,&#x2019; und ließ ihm keine Ruhe, bis er einwilligte.</p><lb/>
        <p>Die zwei Kinder waren auch noch vor Hunger wach gewesen, und hatten mit angehört was die Stiefmutter zum Vater gesagt hatte. Grethel dachte &#x2018;nun ist es um mich geschehen, und fieng erbärmlich an zu weinen, Hänsel aber sprach &#x2018;sey
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[93/0142] 15. Hänsel und Grethel. Vor einem großen Walde wohnte ein armer Holzhacker, der hatte wenig zu beißen und zu brechen, und kaum das tägliche Brot für seine Frau und seine zwei Kinder, Hänsel und Grethel. Endlich kam die Zeit, da konnte er auch das nicht schaffen, und wußte keine Hülfe mehr für seine Noth. Wie er sich nun Abends vor Sorge im Bett herumwälzte, sprach seine Frau zu ihm ‘hör, Mann, morgen in aller Frühe nimm die beiden Kinder, gib jedem noch ein Stückchen Brot, und führe sie hinaus in den Wald, mitten inne, wo er am dicksten ist, da mach ihnen ein Feuer an, und dann geh weg, und laß sie dort allein: wir können sie nicht länger ernähren.’ ‘Nein, Frau,’ sagte der Mann, ‘wie soll ich übers Herz bringen, meine eigenen lieben Kinder den wilden Thieren im Wald zu überliefern, die würden sie bald zerrissen haben. ‘Wenn du das nicht thust,’ sprach die Frau, so müssen wir alle miteinander Hungers sterben,’ und ließ ihm keine Ruhe, bis er einwilligte. Die zwei Kinder waren auch noch vor Hunger wach gewesen, und hatten mit angehört was die Stiefmutter zum Vater gesagt hatte. Grethel dachte ‘nun ist es um mich geschehen, und fieng erbärmlich an zu weinen, Hänsel aber sprach ‘sey

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Herzogin Anna Amalia Bibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2017-11-08T15:10:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-07-24T14:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1840/142
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 4. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1840, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1840/142>, abgerufen am 28.11.2024.