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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837.

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wollt es ergreifen, aber der treue Johannes schob ihn weg, packte es mit Handschuhen an, trug es dann ins Feuer und ließ es verbrennen. Die anderen Diener fiengen wieder an zu murren, und sagten 'seht, nun verbrennt er gar des Königs Brauthemd.' Aber der junge König sprach 'wer weiß wozu es gut ist, laßt ihn gehen, es ist mein getreuester Johannes.' Nun ward die Hochzeit gefeiert: der Tanz hub an, und die Braut trat auch hinein, da hatte der treue Johannes Acht, und schaute ihr ins Antlitz; auf einmal erbleichte sie und fiel wie todt zur Erde. Da sprang er eilends hinzu, hob sie auf und trug sie in eine Kammer, da legte er sie nieder, kniete und sog die drei Blutstropfen aus ihrer rechten Brust, und speite sie aus. Alsbald athmete sie wieder und erholte sich, aber der junge König hatte es mit angesehen, und wußte nicht warum es der getreue Johannes gethan, ward zornig darüber, und rief 'werft ihn ins Gefängnis.' Am andern Morgen ward der getreue Johannes verurtheilt und zum Galgen geführt, und als er oben stand und gerichtet werden sollte, sprach er 'jeder der sterben soll, darf vor seinem Ende noch einmal reden, soll ich das Recht auch haben?' 'Ja,' antwortete der König, 'es soll dir vergönnt seyn.' Da sprach der treue Johannes 'Jch bin mit Unrecht verurtheilt und bin dir immer treu gewesen,' und erzählte wie er auf dem Meer das Gespräch der Raben gehört habe und beschlossen seinen Herrn zu retten, darum er das alles habe thun müssen. Da rief der König 'o mein getreuester Johannes, Gnade! Gnade! führt ihn herunter.' Aber der treue Johannes war bei dem

wollt es ergreifen, aber der treue Johannes schob ihn weg, packte es mit Handschuhen an, trug es dann ins Feuer und ließ es verbrennen. Die anderen Diener fiengen wieder an zu murren, und sagten ‘seht, nun verbrennt er gar des Koͤnigs Brauthemd.’ Aber der junge Koͤnig sprach ‘wer weiß wozu es gut ist, laßt ihn gehen, es ist mein getreuester Johannes.’ Nun ward die Hochzeit gefeiert: der Tanz hub an, und die Braut trat auch hinein, da hatte der treue Johannes Acht, und schaute ihr ins Antlitz; auf einmal erbleichte sie und fiel wie todt zur Erde. Da sprang er eilends hinzu, hob sie auf und trug sie in eine Kammer, da legte er sie nieder, kniete und sog die drei Blutstropfen aus ihrer rechten Brust, und speite sie aus. Alsbald athmete sie wieder und erholte sich, aber der junge Koͤnig hatte es mit angesehen, und wußte nicht warum es der getreue Johannes gethan, ward zornig daruͤber, und rief ‘werft ihn ins Gefaͤngnis.’ Am andern Morgen ward der getreue Johannes verurtheilt und zum Galgen gefuͤhrt, und als er oben stand und gerichtet werden sollte, sprach er ‘jeder der sterben soll, darf vor seinem Ende noch einmal reden, soll ich das Recht auch haben?’ ‘Ja,’ antwortete der Koͤnig, ‘es soll dir vergoͤnnt seyn.’ Da sprach der treue Johannes ‘Jch bin mit Unrecht verurtheilt und bin dir immer treu gewesen,’ und erzaͤhlte wie er auf dem Meer das Gespraͤch der Raben gehoͤrt habe und beschlossen seinen Herrn zu retten, darum er das alles habe thun muͤssen. Da rief der Koͤnig ‘o mein getreuester Johannes, Gnade! Gnade! fuͤhrt ihn herunter.’ Aber der treue Johannes war bei dem

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[43/0074] wollt es ergreifen, aber der treue Johannes schob ihn weg, packte es mit Handschuhen an, trug es dann ins Feuer und ließ es verbrennen. Die anderen Diener fiengen wieder an zu murren, und sagten ‘seht, nun verbrennt er gar des Koͤnigs Brauthemd.’ Aber der junge Koͤnig sprach ‘wer weiß wozu es gut ist, laßt ihn gehen, es ist mein getreuester Johannes.’ Nun ward die Hochzeit gefeiert: der Tanz hub an, und die Braut trat auch hinein, da hatte der treue Johannes Acht, und schaute ihr ins Antlitz; auf einmal erbleichte sie und fiel wie todt zur Erde. Da sprang er eilends hinzu, hob sie auf und trug sie in eine Kammer, da legte er sie nieder, kniete und sog die drei Blutstropfen aus ihrer rechten Brust, und speite sie aus. Alsbald athmete sie wieder und erholte sich, aber der junge Koͤnig hatte es mit angesehen, und wußte nicht warum es der getreue Johannes gethan, ward zornig daruͤber, und rief ‘werft ihn ins Gefaͤngnis.’ Am andern Morgen ward der getreue Johannes verurtheilt und zum Galgen gefuͤhrt, und als er oben stand und gerichtet werden sollte, sprach er ‘jeder der sterben soll, darf vor seinem Ende noch einmal reden, soll ich das Recht auch haben?’ ‘Ja,’ antwortete der Koͤnig, ‘es soll dir vergoͤnnt seyn.’ Da sprach der treue Johannes ‘Jch bin mit Unrecht verurtheilt und bin dir immer treu gewesen,’ und erzaͤhlte wie er auf dem Meer das Gespraͤch der Raben gehoͤrt habe und beschlossen seinen Herrn zu retten, darum er das alles habe thun muͤssen. Da rief der Koͤnig ‘o mein getreuester Johannes, Gnade! Gnade! fuͤhrt ihn herunter.’ Aber der treue Johannes war bei dem

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1837/74>, abgerufen am 28.04.2024.