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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837.

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Tag in einem fort bis es vor Müdigkeit nicht weiter konnte. Da sah es eine Wildhütte, stieg hinauf, und fand eine Stube mit sechs kleinen Betten, aber es getraute nicht sich in eins zu legen, sondern kroch unter eins, legte sich auf den harten Boden, und wollte die Nacht da zubringen. Als aber die Sonne bald untergehen wollte, hörte es ein Rauschen, und sah daß sechs Schwäne zum Fenster herein geflogen kamen. Sie setzten sich auf den Boden, und bliesen einander an, und bliesen sich alle Federn ab, und ihre Schwanenhaut streifte sich ab wie ein Hemd. Da sah sie das Mädchen an, und erkannte ihre Brüder, freute sich, und kroch unter dem Bett hervor. Die Brüder waren nicht weniger erfreut als sie ihr Schwesterchen erblickten, aber ihre Freude war von kurzer Dauer. 'Hier kann deines Bleibens nicht seyn,' sprachen sie zu ihm, 'das ist eine Herberge für Räuber, wenn die heim kommen, und finden dich, so ermorden sie dich.' 'Könnt ihr mich denn nicht beschützen?' fragte das Schwesterchen. 'Nein,' antworteten sie, 'denn wir können nur eine Viertelstunde lang jeden Abend unsere Schwanenhaut ablegen, und haben in dieser Zeit unsere menschliche Gestalt, aber dann werden wir wieder in Schwäne verwandelt.' Das Schwesterchen weinte, und sagte, 'könnt Jhr denn nicht erlöst werden?' 'Ach nein,' antworteten sie, 'die Bedingungen sind zu schwer. Du darfst sechs Jahre lang nicht sprechen und nicht lachen, und mußt in der Zeit sechs Hemdchen für uns aus Sternblumen zusammennähen. Kommt ein einziges Wort aus deinem Munde, so ist alle Arbeit verloren.' Und als die Brüder das gesprochen

Tag in einem fort bis es vor Muͤdigkeit nicht weiter konnte. Da sah es eine Wildhuͤtte, stieg hinauf, und fand eine Stube mit sechs kleinen Betten, aber es getraute nicht sich in eins zu legen, sondern kroch unter eins, legte sich auf den harten Boden, und wollte die Nacht da zubringen. Als aber die Sonne bald untergehen wollte, hoͤrte es ein Rauschen, und sah daß sechs Schwaͤne zum Fenster herein geflogen kamen. Sie setzten sich auf den Boden, und bliesen einander an, und bliesen sich alle Federn ab, und ihre Schwanenhaut streifte sich ab wie ein Hemd. Da sah sie das Maͤdchen an, und erkannte ihre Bruͤder, freute sich, und kroch unter dem Bett hervor. Die Bruͤder waren nicht weniger erfreut als sie ihr Schwesterchen erblickten, aber ihre Freude war von kurzer Dauer. ‘Hier kann deines Bleibens nicht seyn,’ sprachen sie zu ihm, ‘das ist eine Herberge fuͤr Raͤuber, wenn die heim kommen, und finden dich, so ermorden sie dich.’ ‘Koͤnnt ihr mich denn nicht beschuͤtzen?’ fragte das Schwesterchen. ‘Nein,’ antworteten sie, ‘denn wir koͤnnen nur eine Viertelstunde lang jeden Abend unsere Schwanenhaut ablegen, und haben in dieser Zeit unsere menschliche Gestalt, aber dann werden wir wieder in Schwaͤne verwandelt.’ Das Schwesterchen weinte, und sagte, ‘koͤnnt Jhr denn nicht erloͤst werden?’ ‘Ach nein,’ antworteten sie, ‘die Bedingungen sind zu schwer. Du darfst sechs Jahre lang nicht sprechen und nicht lachen, und mußt in der Zeit sechs Hemdchen fuͤr uns aus Sternblumen zusammennaͤhen. Kommt ein einziges Wort aus deinem Munde, so ist alle Arbeit verloren.’ Und als die Bruͤder das gesprochen

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[294/0325] Tag in einem fort bis es vor Muͤdigkeit nicht weiter konnte. Da sah es eine Wildhuͤtte, stieg hinauf, und fand eine Stube mit sechs kleinen Betten, aber es getraute nicht sich in eins zu legen, sondern kroch unter eins, legte sich auf den harten Boden, und wollte die Nacht da zubringen. Als aber die Sonne bald untergehen wollte, hoͤrte es ein Rauschen, und sah daß sechs Schwaͤne zum Fenster herein geflogen kamen. Sie setzten sich auf den Boden, und bliesen einander an, und bliesen sich alle Federn ab, und ihre Schwanenhaut streifte sich ab wie ein Hemd. Da sah sie das Maͤdchen an, und erkannte ihre Bruͤder, freute sich, und kroch unter dem Bett hervor. Die Bruͤder waren nicht weniger erfreut als sie ihr Schwesterchen erblickten, aber ihre Freude war von kurzer Dauer. ‘Hier kann deines Bleibens nicht seyn,’ sprachen sie zu ihm, ‘das ist eine Herberge fuͤr Raͤuber, wenn die heim kommen, und finden dich, so ermorden sie dich.’ ‘Koͤnnt ihr mich denn nicht beschuͤtzen?’ fragte das Schwesterchen. ‘Nein,’ antworteten sie, ‘denn wir koͤnnen nur eine Viertelstunde lang jeden Abend unsere Schwanenhaut ablegen, und haben in dieser Zeit unsere menschliche Gestalt, aber dann werden wir wieder in Schwaͤne verwandelt.’ Das Schwesterchen weinte, und sagte, ‘koͤnnt Jhr denn nicht erloͤst werden?’ ‘Ach nein,’ antworteten sie, ‘die Bedingungen sind zu schwer. Du darfst sechs Jahre lang nicht sprechen und nicht lachen, und mußt in der Zeit sechs Hemdchen fuͤr uns aus Sternblumen zusammennaͤhen. Kommt ein einziges Wort aus deinem Munde, so ist alle Arbeit verloren.’ Und als die Bruͤder das gesprochen

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1837/325>, abgerufen am 22.11.2024.