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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837.

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sie hinaus, und mordete sie in der Blutkammer, weil sie hineingeschaut hatte. Da gieng er die dritte Schwester noch zu fangen, und brachte sie auch hinaus; die dritte aber war klug und listig. Als er ihr nun die Schlüssel und das Ei gegeben hatte und fortgereist war, hob sie das Ei erst auf und verschloß es, und dann gieng sie in die verbotene Kammer. Ach, was erblickte sie! ihre beiden lieben Schwestern, die, jämmerlich ermordet, in dem Becken lagen. Aber sie hub an und suchte ihre Glieder zusammen und legte sie zurecht, Kopf, Leib, Arm und Beine. Und als nichts mehr fehlte, da fiengen die Glieder an sich zu regen, und schlossen sich an einander, und beide Mädchen öffneten die Augen, und wurden wieder lebendig. Da freuten sie sich, küßten und herzten einander: aber die jüngste führte sie heraus und versteckte sie. Der Mann bei seiner Ankunft forderte Schlüssel und Ei, als er aber keine Spur von Blut daran entdecken konnte, sprach er 'du hast die Probe bestanden, du sollst meine Braut seyn.' 'Ja,' antwortete sie, 'aber du mußt mir versprechen, vorher einen Korb voll Gold meinem Vater und meiner Mutter auf deinem Rücken hinzutragen, dieweil ich die Hochzeit bestelle.' Darauf gieng sie in ihr Kämmerlein wo sie ihre Schwestern versteckt hatte, und sprach 'jetzt kommt der Augenblick, wo ich euch retten kann, der Bösewicht soll euch selbst forttragen; aber sobald ihr zu Hause seyd, laßt mir Hilfe zukommen.' Dann setzte sie beide in einen Korb, und deckte sie mit Gold ganz zu, daß nichts von ihnen zu sehen war, und rief den Hexenmeister herein, und sprach 'nun trag

sie hinaus, und mordete sie in der Blutkammer, weil sie hineingeschaut hatte. Da gieng er die dritte Schwester noch zu fangen, und brachte sie auch hinaus; die dritte aber war klug und listig. Als er ihr nun die Schluͤssel und das Ei gegeben hatte und fortgereist war, hob sie das Ei erst auf und verschloß es, und dann gieng sie in die verbotene Kammer. Ach, was erblickte sie! ihre beiden lieben Schwestern, die, jaͤmmerlich ermordet, in dem Becken lagen. Aber sie hub an und suchte ihre Glieder zusammen und legte sie zurecht, Kopf, Leib, Arm und Beine. Und als nichts mehr fehlte, da fiengen die Glieder an sich zu regen, und schlossen sich an einander, und beide Maͤdchen oͤffneten die Augen, und wurden wieder lebendig. Da freuten sie sich, kuͤßten und herzten einander: aber die juͤngste fuͤhrte sie heraus und versteckte sie. Der Mann bei seiner Ankunft forderte Schluͤssel und Ei, als er aber keine Spur von Blut daran entdecken konnte, sprach er ‘du hast die Probe bestanden, du sollst meine Braut seyn.’ ‘Ja,’ antwortete sie, ‘aber du mußt mir versprechen, vorher einen Korb voll Gold meinem Vater und meiner Mutter auf deinem Ruͤcken hinzutragen, dieweil ich die Hochzeit bestelle.’ Darauf gieng sie in ihr Kaͤmmerlein wo sie ihre Schwestern versteckt hatte, und sprach ‘jetzt kommt der Augenblick, wo ich euch retten kann, der Boͤsewicht soll euch selbst forttragen; aber sobald ihr zu Hause seyd, laßt mir Hilfe zukommen.’ Dann setzte sie beide in einen Korb, und deckte sie mit Gold ganz zu, daß nichts von ihnen zu sehen war, und rief den Hexenmeister herein, und sprach ‘nun trag

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[272/0303] sie hinaus, und mordete sie in der Blutkammer, weil sie hineingeschaut hatte. Da gieng er die dritte Schwester noch zu fangen, und brachte sie auch hinaus; die dritte aber war klug und listig. Als er ihr nun die Schluͤssel und das Ei gegeben hatte und fortgereist war, hob sie das Ei erst auf und verschloß es, und dann gieng sie in die verbotene Kammer. Ach, was erblickte sie! ihre beiden lieben Schwestern, die, jaͤmmerlich ermordet, in dem Becken lagen. Aber sie hub an und suchte ihre Glieder zusammen und legte sie zurecht, Kopf, Leib, Arm und Beine. Und als nichts mehr fehlte, da fiengen die Glieder an sich zu regen, und schlossen sich an einander, und beide Maͤdchen oͤffneten die Augen, und wurden wieder lebendig. Da freuten sie sich, kuͤßten und herzten einander: aber die juͤngste fuͤhrte sie heraus und versteckte sie. Der Mann bei seiner Ankunft forderte Schluͤssel und Ei, als er aber keine Spur von Blut daran entdecken konnte, sprach er ‘du hast die Probe bestanden, du sollst meine Braut seyn.’ ‘Ja,’ antwortete sie, ‘aber du mußt mir versprechen, vorher einen Korb voll Gold meinem Vater und meiner Mutter auf deinem Ruͤcken hinzutragen, dieweil ich die Hochzeit bestelle.’ Darauf gieng sie in ihr Kaͤmmerlein wo sie ihre Schwestern versteckt hatte, und sprach ‘jetzt kommt der Augenblick, wo ich euch retten kann, der Boͤsewicht soll euch selbst forttragen; aber sobald ihr zu Hause seyd, laßt mir Hilfe zukommen.’ Dann setzte sie beide in einen Korb, und deckte sie mit Gold ganz zu, daß nichts von ihnen zu sehen war, und rief den Hexenmeister herein, und sprach ‘nun trag

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1837/303>, abgerufen am 18.05.2024.