Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

'Zugegriffen, liebe Freunde,' sprach der Schreiner, und die Gäste, als sie sahen wie es gemeint war, ließen sich nicht zweimal bitten, rückten heran, zogen ihre Messer, und griffen tapfer zu. Und was sie am meisten verwunderte, wenn eine Schüssel leer geworden war, so stellte sich gleich von selbst eine volle an ihren Platz. Der Wirth stand in einer Ecke und sah dem Dinge zu, wußte gar nicht was er sagen sollte, dachte aber 'einen solchen Koch könntest du in deiner Wirthschaft wohl brauchen.' Der Schreiner und seine Gesellschaft waren lustig bis in die späte Nacht, endlich aber legten sie sich schlafen, und der junge Gesell gieng auch zu Bett, und stellte sein Wünschtischchen an die Wand. Dem Wirthe aber ließen seine Gedanken keine Ruhe, es fiel ihm ein daß in seiner Rumpelkammer ein altes Tischchen stände, das gerade so aussähe: das holte er ganz sachte herbei, und vertauschte es mit dem Wünschtischchen. Am andern Morgen zahlte der Schreiner sein Schlafgeld, packte sein Tischchen auf, dachte gar nicht daran daß er ein falsches hätte, und gieng seiner Wege. Zu Mittag kam er bei seinem Vater an, der ihn mit großer Freude empfieng. 'Nun, mein lieber Sohn, was hast du gelernt?' sagte er zu ihm. 'Vater, ich bin ein Schreiner geworden.' 'Ein gutes Handwerk,' erwiederte der Alte, 'aber was hast du von deiner Wanderschaft mitgebracht?' 'Vater, das beste was ich mitgebracht habe ist das Tischchen.' Der Schneider betrachtete es und sagte 'daran hast du kein Meisterstück gemacht, das ist ein altes und schlechtes Tischchen'. 'Aber es ist ein Tischchen deck dich,' antwortete der Sohn, 'wenn ich es hinstelle, und sage ihm

‘Zugegriffen, liebe Freunde,’ sprach der Schreiner, und die Gaͤste, als sie sahen wie es gemeint war, ließen sich nicht zweimal bitten, ruͤckten heran, zogen ihre Messer, und griffen tapfer zu. Und was sie am meisten verwunderte, wenn eine Schuͤssel leer geworden war, so stellte sich gleich von selbst eine volle an ihren Platz. Der Wirth stand in einer Ecke und sah dem Dinge zu, wußte gar nicht was er sagen sollte, dachte aber ‘einen solchen Koch koͤnntest du in deiner Wirthschaft wohl brauchen.’ Der Schreiner und seine Gesellschaft waren lustig bis in die spaͤte Nacht, endlich aber legten sie sich schlafen, und der junge Gesell gieng auch zu Bett, und stellte sein Wuͤnschtischchen an die Wand. Dem Wirthe aber ließen seine Gedanken keine Ruhe, es fiel ihm ein daß in seiner Rumpelkammer ein altes Tischchen staͤnde, das gerade so aussaͤhe: das holte er ganz sachte herbei, und vertauschte es mit dem Wuͤnschtischchen. Am andern Morgen zahlte der Schreiner sein Schlafgeld, packte sein Tischchen auf, dachte gar nicht daran daß er ein falsches haͤtte, und gieng seiner Wege. Zu Mittag kam er bei seinem Vater an, der ihn mit großer Freude empfieng. ‘Nun, mein lieber Sohn, was hast du gelernt?’ sagte er zu ihm. ‘Vater, ich bin ein Schreiner geworden.’ ‘Ein gutes Handwerk,’ erwiederte der Alte, ‘aber was hast du von deiner Wanderschaft mitgebracht?’ ‘Vater, das beste was ich mitgebracht habe ist das Tischchen.’ Der Schneider betrachtete es und sagte ‘daran hast du kein Meisterstuͤck gemacht, das ist ein altes und schlechtes Tischchen’. ‘Aber es ist ein Tischchen deck dich,’ antwortete der Sohn, ‘wenn ich es hinstelle, und sage ihm

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0250" n="219"/>
&#x2018;Zugegriffen, liebe Freunde,&#x2019; sprach der Schreiner, und die Ga&#x0364;ste, als sie sahen wie es gemeint war, ließen sich nicht zweimal bitten, ru&#x0364;ckten heran, zogen ihre Messer, und griffen tapfer zu. Und was sie am meisten verwunderte, wenn eine Schu&#x0364;ssel leer geworden war, so stellte sich gleich von selbst eine volle an ihren Platz. Der Wirth stand in einer Ecke und sah dem Dinge zu, wußte gar nicht was er sagen sollte, dachte aber &#x2018;einen solchen Koch ko&#x0364;nntest du in deiner Wirthschaft wohl brauchen.&#x2019; Der Schreiner und seine Gesellschaft waren lustig bis in die spa&#x0364;te Nacht, endlich aber legten sie sich schlafen, und der junge Gesell gieng auch zu Bett, und stellte sein Wu&#x0364;nschtischchen an die Wand. Dem Wirthe aber ließen seine Gedanken keine Ruhe, es fiel ihm ein daß in seiner Rumpelkammer ein altes Tischchen sta&#x0364;nde, das gerade so aussa&#x0364;he: das holte er ganz sachte herbei, und vertauschte es mit dem Wu&#x0364;nschtischchen. Am andern Morgen zahlte der Schreiner sein Schlafgeld, packte sein Tischchen auf, dachte gar nicht daran daß er ein falsches ha&#x0364;tte, und gieng seiner Wege. Zu Mittag kam er bei seinem Vater an, der ihn mit großer Freude empfieng. &#x2018;Nun, mein lieber Sohn, was hast du gelernt?&#x2019; sagte er zu ihm. &#x2018;Vater, ich bin ein Schreiner geworden.&#x2019; &#x2018;Ein gutes Handwerk,&#x2019; erwiederte der Alte, &#x2018;aber was hast du von deiner Wanderschaft mitgebracht?&#x2019; &#x2018;Vater, das beste was ich mitgebracht habe ist das Tischchen.&#x2019; Der Schneider betrachtete es und sagte &#x2018;daran hast du kein Meisterstu&#x0364;ck gemacht, das ist ein altes und schlechtes Tischchen&#x2019;. &#x2018;Aber es ist ein Tischchen deck dich,&#x2019; antwortete der Sohn, &#x2018;wenn ich es hinstelle, und sage ihm
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[219/0250] ‘Zugegriffen, liebe Freunde,’ sprach der Schreiner, und die Gaͤste, als sie sahen wie es gemeint war, ließen sich nicht zweimal bitten, ruͤckten heran, zogen ihre Messer, und griffen tapfer zu. Und was sie am meisten verwunderte, wenn eine Schuͤssel leer geworden war, so stellte sich gleich von selbst eine volle an ihren Platz. Der Wirth stand in einer Ecke und sah dem Dinge zu, wußte gar nicht was er sagen sollte, dachte aber ‘einen solchen Koch koͤnntest du in deiner Wirthschaft wohl brauchen.’ Der Schreiner und seine Gesellschaft waren lustig bis in die spaͤte Nacht, endlich aber legten sie sich schlafen, und der junge Gesell gieng auch zu Bett, und stellte sein Wuͤnschtischchen an die Wand. Dem Wirthe aber ließen seine Gedanken keine Ruhe, es fiel ihm ein daß in seiner Rumpelkammer ein altes Tischchen staͤnde, das gerade so aussaͤhe: das holte er ganz sachte herbei, und vertauschte es mit dem Wuͤnschtischchen. Am andern Morgen zahlte der Schreiner sein Schlafgeld, packte sein Tischchen auf, dachte gar nicht daran daß er ein falsches haͤtte, und gieng seiner Wege. Zu Mittag kam er bei seinem Vater an, der ihn mit großer Freude empfieng. ‘Nun, mein lieber Sohn, was hast du gelernt?’ sagte er zu ihm. ‘Vater, ich bin ein Schreiner geworden.’ ‘Ein gutes Handwerk,’ erwiederte der Alte, ‘aber was hast du von deiner Wanderschaft mitgebracht?’ ‘Vater, das beste was ich mitgebracht habe ist das Tischchen.’ Der Schneider betrachtete es und sagte ‘daran hast du kein Meisterstuͤck gemacht, das ist ein altes und schlechtes Tischchen’. ‘Aber es ist ein Tischchen deck dich,’ antwortete der Sohn, ‘wenn ich es hinstelle, und sage ihm

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Göttinger Digitalisierungszentrum: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-06-15T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1837/250
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1837/250>, abgerufen am 05.05.2024.