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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837.

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so fielen sie alle todt nieder. Es war niemand mehr im Hause übrig als die Tochter des Wirths, die es redlich meinte, und an den gottlosen Dingen keinen Theil genommen hatten. Sie öffnete dem Fremden alle Thüren, und zeigte ihm die angehauften Schätze. Der Königssohn aber sagte sie möchte alles behalten, und ritt mit seinem Diener weiter.

Nachdem sie lange herum gezogen waren, kamen sie in eine Stadt, worin eine schöne aber übermüthige Königstochter war, die hatte bekannt machen lassen wer ihr ein Räthsel vorlegte das sie nicht errathen könnte, der sollte ihr Gemahl werden; erriethe sie es aber, so müßte er sich das Haupt abschlagen lassen. Drei Tage hatte sie Zeit sich zu besinnen, sie war aber so klug daß sie immer die vorgelegten Räthsel vor der bestimmten Zeit errieth. Schon hatten neune sich hingeopfert, als der Königssohn kam, und von ihrer großen Schönheit geblendet, sein Leben daran wagte. Er trat vor sie hin, und gab ihr sein Räthsel auf, 'was ist das,' sagte er, 'einer schlug keinen, und schlug doch zwölfe.' Sie wußte nicht was das war, sie sann und sann, aber sie brachte es nicht heraus: sie schlug ihre Räthselbücher auf, aber es stand nicht darin; ihr Latein war zu Ende. Da sie sich nicht zu helfen wußte, befahl sie ihrer Magd in das Schlafgemach des Herrn zu schleichen, da sollte sie seine Träume behorchen, und dachte er rede vielleicht im Schlaf und verrathe das Räthsel. Aber der kluge Diener hatte sich statt des Herrn ins Bett gelegt, und als die Magd heran kam, nahm er ihr den Mantel weg, und jagte sie mit Ruthen

so fielen sie alle todt nieder. Es war niemand mehr im Hause uͤbrig als die Tochter des Wirths, die es redlich meinte, und an den gottlosen Dingen keinen Theil genommen hatten. Sie oͤffnete dem Fremden alle Thuͤren, und zeigte ihm die angehauften Schaͤtze. Der Koͤnigssohn aber sagte sie moͤchte alles behalten, und ritt mit seinem Diener weiter.

Nachdem sie lange herum gezogen waren, kamen sie in eine Stadt, worin eine schoͤne aber uͤbermuͤthige Koͤnigstochter war, die hatte bekannt machen lassen wer ihr ein Raͤthsel vorlegte das sie nicht errathen koͤnnte, der sollte ihr Gemahl werden; erriethe sie es aber, so muͤßte er sich das Haupt abschlagen lassen. Drei Tage hatte sie Zeit sich zu besinnen, sie war aber so klug daß sie immer die vorgelegten Raͤthsel vor der bestimmten Zeit errieth. Schon hatten neune sich hingeopfert, als der Koͤnigssohn kam, und von ihrer großen Schoͤnheit geblendet, sein Leben daran wagte. Er trat vor sie hin, und gab ihr sein Raͤthsel auf, ‘was ist das,’ sagte er, ‘einer schlug keinen, und schlug doch zwoͤlfe.’ Sie wußte nicht was das war, sie sann und sann, aber sie brachte es nicht heraus: sie schlug ihre Raͤthselbuͤcher auf, aber es stand nicht darin; ihr Latein war zu Ende. Da sie sich nicht zu helfen wußte, befahl sie ihrer Magd in das Schlafgemach des Herrn zu schleichen, da sollte sie seine Traͤume behorchen, und dachte er rede vielleicht im Schlaf und verrathe das Raͤthsel. Aber der kluge Diener hatte sich statt des Herrn ins Bett gelegt, und als die Magd heran kam, nahm er ihr den Mantel weg, und jagte sie mit Ruthen

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[149/0180] so fielen sie alle todt nieder. Es war niemand mehr im Hause uͤbrig als die Tochter des Wirths, die es redlich meinte, und an den gottlosen Dingen keinen Theil genommen hatten. Sie oͤffnete dem Fremden alle Thuͤren, und zeigte ihm die angehauften Schaͤtze. Der Koͤnigssohn aber sagte sie moͤchte alles behalten, und ritt mit seinem Diener weiter. Nachdem sie lange herum gezogen waren, kamen sie in eine Stadt, worin eine schoͤne aber uͤbermuͤthige Koͤnigstochter war, die hatte bekannt machen lassen wer ihr ein Raͤthsel vorlegte das sie nicht errathen koͤnnte, der sollte ihr Gemahl werden; erriethe sie es aber, so muͤßte er sich das Haupt abschlagen lassen. Drei Tage hatte sie Zeit sich zu besinnen, sie war aber so klug daß sie immer die vorgelegten Raͤthsel vor der bestimmten Zeit errieth. Schon hatten neune sich hingeopfert, als der Koͤnigssohn kam, und von ihrer großen Schoͤnheit geblendet, sein Leben daran wagte. Er trat vor sie hin, und gab ihr sein Raͤthsel auf, ‘was ist das,’ sagte er, ‘einer schlug keinen, und schlug doch zwoͤlfe.’ Sie wußte nicht was das war, sie sann und sann, aber sie brachte es nicht heraus: sie schlug ihre Raͤthselbuͤcher auf, aber es stand nicht darin; ihr Latein war zu Ende. Da sie sich nicht zu helfen wußte, befahl sie ihrer Magd in das Schlafgemach des Herrn zu schleichen, da sollte sie seine Traͤume behorchen, und dachte er rede vielleicht im Schlaf und verrathe das Raͤthsel. Aber der kluge Diener hatte sich statt des Herrn ins Bett gelegt, und als die Magd heran kam, nahm er ihr den Mantel weg, und jagte sie mit Ruthen

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1837/180>, abgerufen am 24.11.2024.