Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837.Ende gieng mußte er verschmachten. Nun saß er da voll Schmerz und Trauer, aß jeden Tag nur ein Bißlein Brot, trank nur einen Schluck Wein, und sah doch wie der Tod immer näher rückte. Jndem er so vor sich hinstarrte, sah er aus der Ecke des Gewölbes eine Schlange hervor kriechen, die sich der Leiche näherte. Und weil er dachte sie käme um sie zu verletzen, zog er sein Schwert, und sprach 'so lange ich lebe sollst du sie nicht anrühren,' und hieb sie in drei Stücke. Ueber ein Weilchen kroch eine zweite Schlange aus der Ecke hervor, als sie aber die andere todt und zerstückt liegen fand, gieng sie zurück, und kam bald wieder, und hatte drei grüne Blätter im Munde. Dann nahm sie die drei Stücke von der Schlange, legte sie, wie sie zusammen gehörten, und that auf jede Wunde eins von den Blättern. Alsbald fügte sich das Getrennte an einander, die Schlange regte sich und war lebendig, und beide eilten mit einander fort. Die Blätter blieben auf der Erde liegen, und der Unglückliche, der alles mit angesehen hatte, kam auf den Gedanken daß die wunderbare Kraft der Blätter, welche die Schlange wieder lebendig gemacht, auch einem Menschen helfen könnte. Er hob also die Blätter auf, und legte eins davon auf den Mund der Todten, die beiden andern auf ihre Augen. Und kaum war es geschehen, so bewegte sich das Blut in den Adern, stieg in das bleiche Angesicht, und röthete es wieder. Da zog sie Athem, schlug die Augen auf und sprach 'ach, Gott, wo bin ich?' 'Du bist bei mir, liebe Frau,' antwortete er, und erzählte ihr wie alles gekommen war und er sie wieder ins Leben Ende gieng mußte er verschmachten. Nun saß er da voll Schmerz und Trauer, aß jeden Tag nur ein Bißlein Brot, trank nur einen Schluck Wein, und sah doch wie der Tod immer naͤher ruͤckte. Jndem er so vor sich hinstarrte, sah er aus der Ecke des Gewoͤlbes eine Schlange hervor kriechen, die sich der Leiche naͤherte. Und weil er dachte sie kaͤme um sie zu verletzen, zog er sein Schwert, und sprach ‘so lange ich lebe sollst du sie nicht anruͤhren,’ und hieb sie in drei Stuͤcke. Ueber ein Weilchen kroch eine zweite Schlange aus der Ecke hervor, als sie aber die andere todt und zerstuͤckt liegen fand, gieng sie zuruͤck, und kam bald wieder, und hatte drei gruͤne Blaͤtter im Munde. Dann nahm sie die drei Stuͤcke von der Schlange, legte sie, wie sie zusammen gehoͤrten, und that auf jede Wunde eins von den Blaͤttern. Alsbald fuͤgte sich das Getrennte an einander, die Schlange regte sich und war lebendig, und beide eilten mit einander fort. Die Blaͤtter blieben auf der Erde liegen, und der Ungluͤckliche, der alles mit angesehen hatte, kam auf den Gedanken daß die wunderbare Kraft der Blaͤtter, welche die Schlange wieder lebendig gemacht, auch einem Menschen helfen koͤnnte. Er hob also die Blaͤtter auf, und legte eins davon auf den Mund der Todten, die beiden andern auf ihre Augen. Und kaum war es geschehen, so bewegte sich das Blut in den Adern, stieg in das bleiche Angesicht, und roͤthete es wieder. Da zog sie Athem, schlug die Augen auf und sprach ‘ach, Gott, wo bin ich?’ ‘Du bist bei mir, liebe Frau,’ antwortete er, und erzaͤhlte ihr wie alles gekommen war und er sie wieder ins Leben <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0135" n="104"/> Ende gieng mußte er verschmachten. Nun saß er da voll Schmerz und Trauer, aß jeden Tag nur ein Bißlein Brot, trank nur einen Schluck Wein, und sah doch wie der Tod immer naͤher ruͤckte. Jndem er so vor sich hinstarrte, sah er aus der Ecke des Gewoͤlbes eine Schlange hervor kriechen, die sich der Leiche naͤherte. Und weil er dachte sie kaͤme um sie zu verletzen, zog er sein Schwert, und sprach ‘so lange ich lebe sollst du sie nicht anruͤhren,’ und hieb sie in drei Stuͤcke. Ueber ein Weilchen kroch eine zweite Schlange aus der Ecke hervor, als sie aber die andere todt und zerstuͤckt liegen fand, gieng sie zuruͤck, und kam bald wieder, und hatte drei gruͤne Blaͤtter im Munde. Dann nahm sie die drei Stuͤcke von der Schlange, legte sie, wie sie zusammen gehoͤrten, und that auf jede Wunde eins von den Blaͤttern. Alsbald fuͤgte sich das Getrennte an einander, die Schlange regte sich und war lebendig, und beide eilten mit einander fort. Die Blaͤtter blieben auf der Erde liegen, und der Ungluͤckliche, der alles mit angesehen hatte, kam auf den Gedanken daß die wunderbare Kraft der Blaͤtter, welche die Schlange wieder lebendig gemacht, auch einem Menschen helfen koͤnnte. Er hob also die Blaͤtter auf, und legte eins davon auf den Mund der Todten, die beiden andern auf ihre Augen. Und kaum war es geschehen, so bewegte sich das Blut in den Adern, stieg in das bleiche Angesicht, und roͤthete es wieder. Da zog sie Athem, schlug die Augen auf und sprach ‘ach, Gott, wo bin ich?’ ‘Du bist bei mir, liebe Frau,’ antwortete er, und erzaͤhlte ihr wie alles gekommen war und er sie wieder ins Leben </p> </div> </body> </text> </TEI> [104/0135]
Ende gieng mußte er verschmachten. Nun saß er da voll Schmerz und Trauer, aß jeden Tag nur ein Bißlein Brot, trank nur einen Schluck Wein, und sah doch wie der Tod immer naͤher ruͤckte. Jndem er so vor sich hinstarrte, sah er aus der Ecke des Gewoͤlbes eine Schlange hervor kriechen, die sich der Leiche naͤherte. Und weil er dachte sie kaͤme um sie zu verletzen, zog er sein Schwert, und sprach ‘so lange ich lebe sollst du sie nicht anruͤhren,’ und hieb sie in drei Stuͤcke. Ueber ein Weilchen kroch eine zweite Schlange aus der Ecke hervor, als sie aber die andere todt und zerstuͤckt liegen fand, gieng sie zuruͤck, und kam bald wieder, und hatte drei gruͤne Blaͤtter im Munde. Dann nahm sie die drei Stuͤcke von der Schlange, legte sie, wie sie zusammen gehoͤrten, und that auf jede Wunde eins von den Blaͤttern. Alsbald fuͤgte sich das Getrennte an einander, die Schlange regte sich und war lebendig, und beide eilten mit einander fort. Die Blaͤtter blieben auf der Erde liegen, und der Ungluͤckliche, der alles mit angesehen hatte, kam auf den Gedanken daß die wunderbare Kraft der Blaͤtter, welche die Schlange wieder lebendig gemacht, auch einem Menschen helfen koͤnnte. Er hob also die Blaͤtter auf, und legte eins davon auf den Mund der Todten, die beiden andern auf ihre Augen. Und kaum war es geschehen, so bewegte sich das Blut in den Adern, stieg in das bleiche Angesicht, und roͤthete es wieder. Da zog sie Athem, schlug die Augen auf und sprach ‘ach, Gott, wo bin ich?’ ‘Du bist bei mir, liebe Frau,’ antwortete er, und erzaͤhlte ihr wie alles gekommen war und er sie wieder ins Leben
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2015-05-11T18:40:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Göttinger Digitalisierungszentrum: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2015-06-15T16:12:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |