Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837.zum Gemahl haben; bist du gleich arm, so acht ich nicht darauf, dein unverdroßner Fleiß ist Ausstattung genug.' Das Mädchen erschrack innerlich, denn es konnte den Flachs nicht spinnen, und wärs dreihundert Jahr alt geworden, und hätte jeden Tag von Morgen bis Abend dabei gesessen. Als es nun allein war, fieng es an zu weinen, und saß so drei Tage ohne die Hand zu rühren. Am dritten Tage kam die Königin, und als sie sah daß noch nichts gesponnen war, verwunderte sie sich, aber das Mädchen entschuldigte sich damit, daß es vor großer Betrübnis über die Entfernung aus seiner Mutter Hause noch nicht hätte anfangen können. Das ließ sich die Königin gefallen, sagte aber beim Weggehen 'morgen mußt du mir anfangen zu arbeiten.' Als nun das Mädchen wieder allein war, wußte es sich nicht mehr zu rathen und zu helfen, und trat in seiner Betrübnis vor das Fenster. Da sah es drei Weiber herkommen, davon hatte die erste einen breiten Platschfuß, die zweite hatte eine so große Unterlippe, daß sie über das Kinn herunterhing, und die dritte hatte einen breiten Daumen. Als sie vor dem Fenster waren, blieben sie stehen, schauten hinauf, trugen dem Mädchen ihre Hülfe an, und sprachen 'willst du uns zur Hochzeit einladen, dich unser nicht schämen, und uns deine Basen heißen, auch an deinen Tisch setzen, so wollen wir dir den Flachs wegspinnen, und das in kurzer Zeit.' 'Von Herzen gern,' antwortete es, 'kommt nur herein, und fangt gleich die Arbeit an.' Da ließ es die drei seltsamen Weiber herein, und machte in der ersten Kammer eine Lücke, wo sie sich hinein setzten, und ihr Spinnen anhuben. zum Gemahl haben; bist du gleich arm, so acht ich nicht darauf, dein unverdroßner Fleiß ist Ausstattung genug.’ Das Maͤdchen erschrack innerlich, denn es konnte den Flachs nicht spinnen, und waͤrs dreihundert Jahr alt geworden, und haͤtte jeden Tag von Morgen bis Abend dabei gesessen. Als es nun allein war, fieng es an zu weinen, und saß so drei Tage ohne die Hand zu ruͤhren. Am dritten Tage kam die Koͤnigin, und als sie sah daß noch nichts gesponnen war, verwunderte sie sich, aber das Maͤdchen entschuldigte sich damit, daß es vor großer Betruͤbnis uͤber die Entfernung aus seiner Mutter Hause noch nicht haͤtte anfangen koͤnnen. Das ließ sich die Koͤnigin gefallen, sagte aber beim Weggehen ‘morgen mußt du mir anfangen zu arbeiten.’ Als nun das Maͤdchen wieder allein war, wußte es sich nicht mehr zu rathen und zu helfen, und trat in seiner Betruͤbnis vor das Fenster. Da sah es drei Weiber herkommen, davon hatte die erste einen breiten Platschfuß, die zweite hatte eine so große Unterlippe, daß sie uͤber das Kinn herunterhing, und die dritte hatte einen breiten Daumen. Als sie vor dem Fenster waren, blieben sie stehen, schauten hinauf, trugen dem Maͤdchen ihre Huͤlfe an, und sprachen ‘willst du uns zur Hochzeit einladen, dich unser nicht schaͤmen, und uns deine Basen heißen, auch an deinen Tisch setzen, so wollen wir dir den Flachs wegspinnen, und das in kurzer Zeit.’ ‘Von Herzen gern,’ antwortete es, ‘kommt nur herein, und fangt gleich die Arbeit an.’ Da ließ es die drei seltsamen Weiber herein, und machte in der ersten Kammer eine Luͤcke, wo sie sich hinein setzten, und ihr Spinnen anhuben. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0121" n="90"/> zum Gemahl haben; bist du gleich arm, so acht ich nicht darauf, dein unverdroßner Fleiß ist Ausstattung genug.’ Das Maͤdchen erschrack innerlich, denn es konnte den Flachs nicht spinnen, und waͤrs dreihundert Jahr alt geworden, und haͤtte jeden Tag von Morgen bis Abend dabei gesessen. Als es nun allein war, fieng es an zu weinen, und saß so drei Tage ohne die Hand zu ruͤhren. Am dritten Tage kam die Koͤnigin, und als sie sah daß noch nichts gesponnen war, verwunderte sie sich, aber das Maͤdchen entschuldigte sich damit, daß es vor großer Betruͤbnis uͤber die Entfernung aus seiner Mutter Hause noch nicht haͤtte anfangen koͤnnen. Das ließ sich die Koͤnigin gefallen, sagte aber beim Weggehen ‘morgen mußt du mir anfangen zu arbeiten.’</p><lb/> <p>Als nun das Maͤdchen wieder allein war, wußte es sich nicht mehr zu rathen und zu helfen, und trat in seiner Betruͤbnis vor das Fenster. Da sah es drei Weiber herkommen, davon hatte die erste einen breiten Platschfuß, die zweite hatte eine so große Unterlippe, daß sie uͤber das Kinn herunterhing, und die dritte hatte einen breiten Daumen. Als sie vor dem Fenster waren, blieben sie stehen, schauten hinauf, trugen dem Maͤdchen ihre Huͤlfe an, und sprachen ‘willst du uns zur Hochzeit einladen, dich unser nicht schaͤmen, und uns deine Basen heißen, auch an deinen Tisch setzen, so wollen wir dir den Flachs wegspinnen, und das in kurzer Zeit.’ ‘Von Herzen gern,’ antwortete es, ‘kommt nur herein, und fangt gleich die Arbeit an.’ Da ließ es die drei seltsamen Weiber herein, und machte in der ersten Kammer eine Luͤcke, wo sie sich hinein setzten, und ihr Spinnen anhuben. </p> </div> </body> </text> </TEI> [90/0121]
zum Gemahl haben; bist du gleich arm, so acht ich nicht darauf, dein unverdroßner Fleiß ist Ausstattung genug.’ Das Maͤdchen erschrack innerlich, denn es konnte den Flachs nicht spinnen, und waͤrs dreihundert Jahr alt geworden, und haͤtte jeden Tag von Morgen bis Abend dabei gesessen. Als es nun allein war, fieng es an zu weinen, und saß so drei Tage ohne die Hand zu ruͤhren. Am dritten Tage kam die Koͤnigin, und als sie sah daß noch nichts gesponnen war, verwunderte sie sich, aber das Maͤdchen entschuldigte sich damit, daß es vor großer Betruͤbnis uͤber die Entfernung aus seiner Mutter Hause noch nicht haͤtte anfangen koͤnnen. Das ließ sich die Koͤnigin gefallen, sagte aber beim Weggehen ‘morgen mußt du mir anfangen zu arbeiten.’
Als nun das Maͤdchen wieder allein war, wußte es sich nicht mehr zu rathen und zu helfen, und trat in seiner Betruͤbnis vor das Fenster. Da sah es drei Weiber herkommen, davon hatte die erste einen breiten Platschfuß, die zweite hatte eine so große Unterlippe, daß sie uͤber das Kinn herunterhing, und die dritte hatte einen breiten Daumen. Als sie vor dem Fenster waren, blieben sie stehen, schauten hinauf, trugen dem Maͤdchen ihre Huͤlfe an, und sprachen ‘willst du uns zur Hochzeit einladen, dich unser nicht schaͤmen, und uns deine Basen heißen, auch an deinen Tisch setzen, so wollen wir dir den Flachs wegspinnen, und das in kurzer Zeit.’ ‘Von Herzen gern,’ antwortete es, ‘kommt nur herein, und fangt gleich die Arbeit an.’ Da ließ es die drei seltsamen Weiber herein, und machte in der ersten Kammer eine Luͤcke, wo sie sich hinein setzten, und ihr Spinnen anhuben.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2015-05-11T18:40:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Göttinger Digitalisierungszentrum: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2015-06-15T16:12:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |