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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837.

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sich daran, ohne einen Grund dafür. So herrlich ist lebendige Sitte, ja auch das hat diese Poesie mit allem unvergänglichen gemein, daß man ihr selbst gegen einen andern Willen geneigt seyn muß. Leicht wird man übrigens bemerken daß sie nur da gehaftet hat, wo überhaupt eine regere Empfänglichkeit für Poesie, oder eine noch nicht von den Verkehrtheiten des Lebens ausgelöschte Phantasie vorhanden war. Wir wollen in gleichem Sinne hier diese Märchen nicht rühmen, oder gar gegen eine entgegengesetzte Meinung vertheidigen; ihr bloßes Daseyn reicht hin, sie zu schützen. Was so mannigfach und immer wieder von neuem erfreut bewegt und belehrt hat, das trägt seine Nothwendigkeit in sich, und ist gewiß aus jener ewigen Quelle gekommen, die alles Leben bethaut, und wenn auch nur ein einziger Tropfen, den ein kleines, zusammenhaltendes Blatt gefaßt hat, doch in dem ersten Morgenroth schimmernd.

Darum auch geht innerlich durch diese Dichtungen jene Reinheit, um derentwillen uns Kinder so wunderbar und selig erscheinen; sie haben gleichsam dieselben blaulich-weißen mackellosen glänzenden Augen*), die nicht mehr

*) in die sich Kinder selbst so gern greifen (Fischarts Gargantua 129b 131b), und die sie sich holen möchten.

sich daran, ohne einen Grund dafuͤr. So herrlich ist lebendige Sitte, ja auch das hat diese Poesie mit allem unvergaͤnglichen gemein, daß man ihr selbst gegen einen andern Willen geneigt seyn muß. Leicht wird man uͤbrigens bemerken daß sie nur da gehaftet hat, wo uͤberhaupt eine regere Empfaͤnglichkeit fuͤr Poesie, oder eine noch nicht von den Verkehrtheiten des Lebens ausgeloͤschte Phantasie vorhanden war. Wir wollen in gleichem Sinne hier diese Maͤrchen nicht ruͤhmen, oder gar gegen eine entgegengesetzte Meinung vertheidigen; ihr bloßes Daseyn reicht hin, sie zu schuͤtzen. Was so mannigfach und immer wieder von neuem erfreut bewegt und belehrt hat, das traͤgt seine Nothwendigkeit in sich, und ist gewiß aus jener ewigen Quelle gekommen, die alles Leben bethaut, und wenn auch nur ein einziger Tropfen, den ein kleines, zusammenhaltendes Blatt gefaßt hat, doch in dem ersten Morgenroth schimmernd.

Darum auch geht innerlich durch diese Dichtungen jene Reinheit, um derentwillen uns Kinder so wunderbar und selig erscheinen; sie haben gleichsam dieselben blaulich-weißen mackellosen glaͤnzenden Augen*), die nicht mehr

*) in die sich Kinder selbst so gern greifen (Fischarts Gargantua 129b 131b), und die sie sich holen moͤchten.
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[IX/0012] sich daran, ohne einen Grund dafuͤr. So herrlich ist lebendige Sitte, ja auch das hat diese Poesie mit allem unvergaͤnglichen gemein, daß man ihr selbst gegen einen andern Willen geneigt seyn muß. Leicht wird man uͤbrigens bemerken daß sie nur da gehaftet hat, wo uͤberhaupt eine regere Empfaͤnglichkeit fuͤr Poesie, oder eine noch nicht von den Verkehrtheiten des Lebens ausgeloͤschte Phantasie vorhanden war. Wir wollen in gleichem Sinne hier diese Maͤrchen nicht ruͤhmen, oder gar gegen eine entgegengesetzte Meinung vertheidigen; ihr bloßes Daseyn reicht hin, sie zu schuͤtzen. Was so mannigfach und immer wieder von neuem erfreut bewegt und belehrt hat, das traͤgt seine Nothwendigkeit in sich, und ist gewiß aus jener ewigen Quelle gekommen, die alles Leben bethaut, und wenn auch nur ein einziger Tropfen, den ein kleines, zusammenhaltendes Blatt gefaßt hat, doch in dem ersten Morgenroth schimmernd. Darum auch geht innerlich durch diese Dichtungen jene Reinheit, um derentwillen uns Kinder so wunderbar und selig erscheinen; sie haben gleichsam dieselben blaulich-weißen mackellosen glaͤnzenden Augen *), die nicht mehr *) in die sich Kinder selbst so gern greifen (Fischarts Gargantua 129b 131b), und die sie sich holen moͤchten.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837, S. IX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1837/12>, abgerufen am 28.03.2024.