Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite

auf die Welt, ihm schlägt alles Widerwärtige zum Vortheil aus, er geht selbst in die Hölle, dem Teufel seine Geheimnisse abzulocken. Den beiden Brüdern wächst das Gold im Schlaf unter dem Kopfkissen, kein Schuß versagt, die Thiere kommen herbeigelaufen um ihnen zu dienen, und Zauberei vermag nichts gegen sie. Sneewittchen, Aschenputtel und das mit seinem Liebsten Roland entfliehende Mädchen, stehen unter einem besonderen Schutze.

Jn seiner Jdee immer dasselbe wird ein Märchen vier bis fünfmal jedesmal unter andern Verhältnissen und Umständen erzählt, so daß es äußerlich als ein anderes kann betrachtet werden. Die gute und unschuldige, gewöhnlich die jüngste Tochter, wird von dem Vater in der Noth einem Ungeheuer zugesagt oder sie giebt sich selbst in seine Gewalt. Geduldig trägt sie ihr Schicksal, manchmal wird sie gestört von menschlichen Schwachheiten und muß diese schwer abbüßen, doch endlich empfindet sie Liebe zu ihm, und in dem Augenblick wirft es auch die häßliche Gestalt eines Jgels, eines Löwen, eines Frosches ab und erscheint in gereinigter, jugendlicher Schönheit. Diese Sage, welche auch bei den Jndiern einheimisch ist und mit der römischen von Amor und Psyche, der altfranzösischen von Parthenopex und Meliure sichtbar zusammenhängt, deutet die Bannung in das Jrdische und die Erlösung durch Liebe an. Stufenweis arbeitet sich das Reine hervor, wird die Entwicklung gestört, so stürzt Elend und Schwere der Welt herein und nur von der Berührung der Seelen, vor der Erkenntniß in Liebe, fällt das Jrdische ab.


auf die Welt, ihm schlaͤgt alles Widerwaͤrtige zum Vortheil aus, er geht selbst in die Hoͤlle, dem Teufel seine Geheimnisse abzulocken. Den beiden Bruͤdern waͤchst das Gold im Schlaf unter dem Kopfkissen, kein Schuß versagt, die Thiere kommen herbeigelaufen um ihnen zu dienen, und Zauberei vermag nichts gegen sie. Sneewittchen, Aschenputtel und das mit seinem Liebsten Roland entfliehende Maͤdchen, stehen unter einem besonderen Schutze.

Jn seiner Jdee immer dasselbe wird ein Maͤrchen vier bis fuͤnfmal jedesmal unter andern Verhaͤltnissen und Umstaͤnden erzaͤhlt, so daß es aͤußerlich als ein anderes kann betrachtet werden. Die gute und unschuldige, gewoͤhnlich die juͤngste Tochter, wird von dem Vater in der Noth einem Ungeheuer zugesagt oder sie giebt sich selbst in seine Gewalt. Geduldig traͤgt sie ihr Schicksal, manchmal wird sie gestoͤrt von menschlichen Schwachheiten und muß diese schwer abbuͤßen, doch endlich empfindet sie Liebe zu ihm, und in dem Augenblick wirft es auch die haͤßliche Gestalt eines Jgels, eines Loͤwen, eines Frosches ab und erscheint in gereinigter, jugendlicher Schoͤnheit. Diese Sage, welche auch bei den Jndiern einheimisch ist und mit der roͤmischen von Amor und Psyche, der altfranzoͤsischen von Parthenopex und Meliure sichtbar zusammenhaͤngt, deutet die Bannung in das Jrdische und die Erloͤsung durch Liebe an. Stufenweis arbeitet sich das Reine hervor, wird die Entwicklung gestoͤrt, so stuͤrzt Elend und Schwere der Welt herein und nur von der Beruͤhrung der Seelen, vor der Erkenntniß in Liebe, faͤllt das Jrdische ab.


<TEI>
  <text>
    <front>
      <div type="preface">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0053" n="XLV"/>
auf die Welt, ihm schla&#x0364;gt alles Widerwa&#x0364;rtige zum Vortheil aus, er geht selbst in die Ho&#x0364;lle, dem Teufel seine Geheimnisse abzulocken. Den beiden Bru&#x0364;dern wa&#x0364;chst das Gold im Schlaf unter dem Kopfkissen, kein Schuß versagt, die Thiere kommen herbeigelaufen um ihnen zu dienen, und Zauberei vermag nichts gegen sie. Sneewittchen, Aschenputtel und das mit seinem Liebsten Roland entfliehende Ma&#x0364;dchen, stehen unter einem besonderen Schutze.</p><lb/>
          <p>Jn seiner Jdee immer dasselbe wird ein Ma&#x0364;rchen vier bis fu&#x0364;nfmal jedesmal unter andern Verha&#x0364;ltnissen und Umsta&#x0364;nden erza&#x0364;hlt, so daß es a&#x0364;ußerlich als ein anderes kann betrachtet werden. Die gute und unschuldige, gewo&#x0364;hnlich die ju&#x0364;ngste Tochter, wird von dem Vater in der Noth einem Ungeheuer zugesagt oder sie giebt sich selbst in seine Gewalt. Geduldig tra&#x0364;gt sie ihr Schicksal, manchmal wird sie gesto&#x0364;rt von menschlichen Schwachheiten und muß diese schwer abbu&#x0364;ßen, doch endlich empfindet sie Liebe zu ihm, und in dem Augenblick wirft es auch die ha&#x0364;ßliche Gestalt eines Jgels, eines Lo&#x0364;wen, eines Frosches ab und erscheint in gereinigter, jugendlicher Scho&#x0364;nheit. Diese Sage, welche auch bei den Jndiern einheimisch ist und mit der ro&#x0364;mischen von Amor und Psyche, der altfranzo&#x0364;sischen von Parthenopex und Meliure sichtbar zusammenha&#x0364;ngt, deutet die <hi rendition="#g">Bannung in das Jrdische</hi> und die <hi rendition="#g">Erlo&#x0364;sung durch Liebe</hi> an. Stufenweis arbeitet sich das Reine hervor, wird die Entwicklung gesto&#x0364;rt, so stu&#x0364;rzt Elend und Schwere der Welt herein und nur von der Beru&#x0364;hrung der Seelen, vor der Erkenntniß in Liebe, fa&#x0364;llt das Jrdische ab.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[XLV/0053] auf die Welt, ihm schlaͤgt alles Widerwaͤrtige zum Vortheil aus, er geht selbst in die Hoͤlle, dem Teufel seine Geheimnisse abzulocken. Den beiden Bruͤdern waͤchst das Gold im Schlaf unter dem Kopfkissen, kein Schuß versagt, die Thiere kommen herbeigelaufen um ihnen zu dienen, und Zauberei vermag nichts gegen sie. Sneewittchen, Aschenputtel und das mit seinem Liebsten Roland entfliehende Maͤdchen, stehen unter einem besonderen Schutze. Jn seiner Jdee immer dasselbe wird ein Maͤrchen vier bis fuͤnfmal jedesmal unter andern Verhaͤltnissen und Umstaͤnden erzaͤhlt, so daß es aͤußerlich als ein anderes kann betrachtet werden. Die gute und unschuldige, gewoͤhnlich die juͤngste Tochter, wird von dem Vater in der Noth einem Ungeheuer zugesagt oder sie giebt sich selbst in seine Gewalt. Geduldig traͤgt sie ihr Schicksal, manchmal wird sie gestoͤrt von menschlichen Schwachheiten und muß diese schwer abbuͤßen, doch endlich empfindet sie Liebe zu ihm, und in dem Augenblick wirft es auch die haͤßliche Gestalt eines Jgels, eines Loͤwen, eines Frosches ab und erscheint in gereinigter, jugendlicher Schoͤnheit. Diese Sage, welche auch bei den Jndiern einheimisch ist und mit der roͤmischen von Amor und Psyche, der altfranzoͤsischen von Parthenopex und Meliure sichtbar zusammenhaͤngt, deutet die Bannung in das Jrdische und die Erloͤsung durch Liebe an. Stufenweis arbeitet sich das Reine hervor, wird die Entwicklung gestoͤrt, so stuͤrzt Elend und Schwere der Welt herein und nur von der Beruͤhrung der Seelen, vor der Erkenntniß in Liebe, faͤllt das Jrdische ab.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Bayerische Staatsbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-06-15T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/53
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819, S. XLV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/53>, abgerufen am 03.12.2024.