Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.und dann schlachtete sie's kochte und bratete es. Wenn jemand auf hundert Schritte dem Schloß nahe kam, so mußte er stille stehn und konnte sich nicht von der Stelle bewegen, bis sie ihn lossprach; wenn aber eine keusche Jungfrau in diesen Kreis kam, so verwandelte sie dieselbe in einen Vogel und sperrte sie dann in einen Korb ein, in die Kammern des Schlosses. Sie hatte wohl sieben tausend solcher Körbe mit so raren Vögeln im Schlosse. Nun war einmal eine Jungfrau, die hieß Jorinde; sie war schöner als alle andere Mädchen, die, und dann ein gar schöner Jüngling, Namens Joringel, hatten sich zusammen versprochen. Sie waren in den Brauttagen, und sie hatten ihr größtes Vergnügen eins am andern. Damit sie nun einsmalen vertraut zusammen reden könnten, gingen sie in den Wald spazieren. "Hüte dich, sagte Joringel, daß du nicht so nahe ans Schloß kommst!" Es war ein schöner Abend, die Sonne schien zwischen den Stämmen der Bäume hell ins dunkle Grün des Waldes, und die Turteltaube sang kläglich auf den alten Maibuchen. Jorinde weinte zuweilen, setzte sich hin im Sonnenschein und klagte. Joringel klagte auch; sie waren so bestürzt, als wenn sie hätten sterben sollen; sie sahen sich um, waren irre, und wußten nicht, wohin sie nach Hause gehen sollten. Noch halb stand die Sonne über dem Berg, und halb war sie unter; Joringel sah durchs Gebüsch, und sah die alte Mauer des Schlosses nah bei sich, er erschrak und wurde todtbang. Jorinde sang: und dann schlachtete sie’s kochte und bratete es. Wenn jemand auf hundert Schritte dem Schloß nahe kam, so mußte er stille stehn und konnte sich nicht von der Stelle bewegen, bis sie ihn lossprach; wenn aber eine keusche Jungfrau in diesen Kreis kam, so verwandelte sie dieselbe in einen Vogel und sperrte sie dann in einen Korb ein, in die Kammern des Schlosses. Sie hatte wohl sieben tausend solcher Koͤrbe mit so raren Voͤgeln im Schlosse. Nun war einmal eine Jungfrau, die hieß Jorinde; sie war schoͤner als alle andere Maͤdchen, die, und dann ein gar schoͤner Juͤngling, Namens Joringel, hatten sich zusammen versprochen. Sie waren in den Brauttagen, und sie hatten ihr groͤßtes Vergnuͤgen eins am andern. Damit sie nun einsmalen vertraut zusammen reden koͤnnten, gingen sie in den Wald spazieren. „Huͤte dich, sagte Joringel, daß du nicht so nahe ans Schloß kommst!“ Es war ein schoͤner Abend, die Sonne schien zwischen den Staͤmmen der Baͤume hell ins dunkle Gruͤn des Waldes, und die Turteltaube sang klaͤglich auf den alten Maibuchen. Jorinde weinte zuweilen, setzte sich hin im Sonnenschein und klagte. Joringel klagte auch; sie waren so bestuͤrzt, als wenn sie haͤtten sterben sollen; sie sahen sich um, waren irre, und wußten nicht, wohin sie nach Hause gehen sollten. Noch halb stand die Sonne uͤber dem Berg, und halb war sie unter; Joringel sah durchs Gebuͤsch, und sah die alte Mauer des Schlosses nah bei sich, er erschrak und wurde todtbang. Jorinde sang: <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0436" n="372"/> und dann schlachtete sie’s kochte und bratete es. Wenn jemand auf hundert Schritte dem Schloß nahe kam, so mußte er stille stehn und konnte sich nicht von der Stelle bewegen, bis sie ihn lossprach; wenn aber eine keusche Jungfrau in diesen Kreis kam, so verwandelte sie dieselbe in einen Vogel und sperrte sie dann in einen Korb ein, in die Kammern des Schlosses. Sie hatte wohl sieben tausend solcher Koͤrbe mit so raren Voͤgeln im Schlosse.</p><lb/> <p>Nun war einmal eine Jungfrau, die hieß Jorinde; sie war schoͤner als alle andere Maͤdchen, die, und dann ein gar schoͤner Juͤngling, Namens Joringel, hatten sich zusammen versprochen. Sie waren in den Brauttagen, und sie hatten ihr groͤßtes Vergnuͤgen eins am andern. Damit sie nun einsmalen vertraut zusammen reden koͤnnten, gingen sie in den Wald spazieren. „Huͤte dich, sagte Joringel, daß du nicht so nahe ans Schloß kommst!“ Es war ein schoͤner Abend, die Sonne schien zwischen den Staͤmmen der Baͤume hell ins dunkle Gruͤn des Waldes, und die Turteltaube sang klaͤglich auf den alten Maibuchen.</p><lb/> <p>Jorinde weinte zuweilen, setzte sich hin im Sonnenschein und klagte. Joringel klagte auch; sie waren so bestuͤrzt, als wenn sie haͤtten sterben sollen; sie sahen sich um, waren irre, und wußten nicht, wohin sie nach Hause gehen sollten. Noch halb stand die Sonne uͤber dem Berg, und halb war sie unter; Joringel sah durchs Gebuͤsch, und sah die alte Mauer des Schlosses nah bei sich, er erschrak und wurde todtbang. Jorinde sang:</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [372/0436]
und dann schlachtete sie’s kochte und bratete es. Wenn jemand auf hundert Schritte dem Schloß nahe kam, so mußte er stille stehn und konnte sich nicht von der Stelle bewegen, bis sie ihn lossprach; wenn aber eine keusche Jungfrau in diesen Kreis kam, so verwandelte sie dieselbe in einen Vogel und sperrte sie dann in einen Korb ein, in die Kammern des Schlosses. Sie hatte wohl sieben tausend solcher Koͤrbe mit so raren Voͤgeln im Schlosse.
Nun war einmal eine Jungfrau, die hieß Jorinde; sie war schoͤner als alle andere Maͤdchen, die, und dann ein gar schoͤner Juͤngling, Namens Joringel, hatten sich zusammen versprochen. Sie waren in den Brauttagen, und sie hatten ihr groͤßtes Vergnuͤgen eins am andern. Damit sie nun einsmalen vertraut zusammen reden koͤnnten, gingen sie in den Wald spazieren. „Huͤte dich, sagte Joringel, daß du nicht so nahe ans Schloß kommst!“ Es war ein schoͤner Abend, die Sonne schien zwischen den Staͤmmen der Baͤume hell ins dunkle Gruͤn des Waldes, und die Turteltaube sang klaͤglich auf den alten Maibuchen.
Jorinde weinte zuweilen, setzte sich hin im Sonnenschein und klagte. Joringel klagte auch; sie waren so bestuͤrzt, als wenn sie haͤtten sterben sollen; sie sahen sich um, waren irre, und wußten nicht, wohin sie nach Hause gehen sollten. Noch halb stand die Sonne uͤber dem Berg, und halb war sie unter; Joringel sah durchs Gebuͤsch, und sah die alte Mauer des Schlosses nah bei sich, er erschrak und wurde todtbang. Jorinde sang:
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Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.
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