Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.nun der dritte Sohn wachen, und der Gärtner war es erst nicht zufrieden, endlich gab ers doch zu, und der dritte Sohn legte sich unter den Baum, und wachte und wachte, und als es zwölf schlug, da rauschte es so durch die Luft, und ein Vogel kam geflogen, der war ganz von purem Gold, und wie er gerade mit seinem Schnabel nach einem Apfel picken wollte, da war der Sohn des Gärtners her, und schoß eilends einen Pfeil auf ihn ab. Der Pfeil aber that dem Vogel nichts, als daß er ihm eine goldne Feder ausschoß, worauf er schnell fortflog. Die goldne Feder wurde nun des andern Morgens hin zum König gebracht, der alsbald seinen Rath versammelte. Jedermann erklärte aber einmüthig, daß diese Feder allein mehr werth wäre, als das gesammte Königreich. So sprach der König: "nun hilft mir die eine Feder zu nichts, sondern ich will und muß den ganzen Vogel haben." Da machte sich der älteste Sohn auf, und gedachte den goldenen Vogel schon zu finden. Und wie er eine Strecke gegangen war, kam er an einen Wald; vor dem Wald saß ein Fuchs, gleich nahm er seine Flinte und zielte auf ihn. Da hub der Fuchs an: "schieß mich nicht, so will ich dir guten Rath geben, ich weiß schon, wo du hin willst, du denkst den goldenen Vogel zu suchen, wenn du nun heut Abend in ein Dorf kommst, wirst du zwei Wirthshäuser stehen sehen, gegen einander über, im einen gehts hell und lustig her, kehr aber nicht in das ein, sondern ins andere, wenn es dich schon schlecht ansieht!" Der Sohn aber dachte: was kann mir ein Thier ordentliches rathen! nahm die Flinte nun der dritte Sohn wachen, und der Gaͤrtner war es erst nicht zufrieden, endlich gab ers doch zu, und der dritte Sohn legte sich unter den Baum, und wachte und wachte, und als es zwoͤlf schlug, da rauschte es so durch die Luft, und ein Vogel kam geflogen, der war ganz von purem Gold, und wie er gerade mit seinem Schnabel nach einem Apfel picken wollte, da war der Sohn des Gaͤrtners her, und schoß eilends einen Pfeil auf ihn ab. Der Pfeil aber that dem Vogel nichts, als daß er ihm eine goldne Feder ausschoß, worauf er schnell fortflog. Die goldne Feder wurde nun des andern Morgens hin zum Koͤnig gebracht, der alsbald seinen Rath versammelte. Jedermann erklaͤrte aber einmuͤthig, daß diese Feder allein mehr werth waͤre, als das gesammte Koͤnigreich. So sprach der Koͤnig: „nun hilft mir die eine Feder zu nichts, sondern ich will und muß den ganzen Vogel haben.“ Da machte sich der aͤlteste Sohn auf, und gedachte den goldenen Vogel schon zu finden. Und wie er eine Strecke gegangen war, kam er an einen Wald; vor dem Wald saß ein Fuchs, gleich nahm er seine Flinte und zielte auf ihn. Da hub der Fuchs an: „schieß mich nicht, so will ich dir guten Rath geben, ich weiß schon, wo du hin willst, du denkst den goldenen Vogel zu suchen, wenn du nun heut Abend in ein Dorf kommst, wirst du zwei Wirthshaͤuser stehen sehen, gegen einander uͤber, im einen gehts hell und lustig her, kehr aber nicht in das ein, sondern ins andere, wenn es dich schon schlecht ansieht!“ Der Sohn aber dachte: was kann mir ein Thier ordentliches rathen! nahm die Flinte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0353" n="289"/> nun der dritte Sohn wachen, und der Gaͤrtner war es erst nicht zufrieden, endlich gab ers doch zu, und der dritte Sohn legte sich unter den Baum, und wachte und wachte, und als es zwoͤlf schlug, da rauschte es so durch die Luft, und ein Vogel kam geflogen, der war ganz von purem Gold, und wie er gerade mit seinem Schnabel nach einem Apfel picken wollte, da war der Sohn des Gaͤrtners her, und schoß eilends einen Pfeil auf ihn ab. Der Pfeil aber that dem Vogel nichts, als daß er ihm eine goldne Feder ausschoß, worauf er schnell fortflog. Die goldne Feder wurde nun des andern Morgens hin zum Koͤnig gebracht, der alsbald seinen Rath versammelte. Jedermann erklaͤrte aber einmuͤthig, daß diese Feder allein mehr werth waͤre, als das gesammte Koͤnigreich. So sprach der Koͤnig: „nun hilft mir die eine Feder zu nichts, sondern ich will und muß den ganzen Vogel haben.“</p><lb/> <p>Da machte sich der aͤlteste Sohn auf, und gedachte den goldenen Vogel schon zu finden. Und wie er eine Strecke gegangen war, kam er an einen Wald; vor dem Wald saß ein Fuchs, gleich nahm er seine Flinte und zielte auf ihn. Da hub der Fuchs an: „schieß mich nicht, so will ich dir guten Rath geben, ich weiß schon, wo du hin willst, du denkst den goldenen Vogel zu suchen, wenn du nun heut Abend in ein Dorf kommst, wirst du zwei Wirthshaͤuser stehen sehen, gegen einander uͤber, im einen gehts hell und lustig her, kehr aber nicht in das ein, sondern ins andere, wenn es dich schon schlecht ansieht!“ Der Sohn aber dachte: was kann mir ein Thier ordentliches rathen! nahm die Flinte </p> </div> </body> </text> </TEI> [289/0353]
nun der dritte Sohn wachen, und der Gaͤrtner war es erst nicht zufrieden, endlich gab ers doch zu, und der dritte Sohn legte sich unter den Baum, und wachte und wachte, und als es zwoͤlf schlug, da rauschte es so durch die Luft, und ein Vogel kam geflogen, der war ganz von purem Gold, und wie er gerade mit seinem Schnabel nach einem Apfel picken wollte, da war der Sohn des Gaͤrtners her, und schoß eilends einen Pfeil auf ihn ab. Der Pfeil aber that dem Vogel nichts, als daß er ihm eine goldne Feder ausschoß, worauf er schnell fortflog. Die goldne Feder wurde nun des andern Morgens hin zum Koͤnig gebracht, der alsbald seinen Rath versammelte. Jedermann erklaͤrte aber einmuͤthig, daß diese Feder allein mehr werth waͤre, als das gesammte Koͤnigreich. So sprach der Koͤnig: „nun hilft mir die eine Feder zu nichts, sondern ich will und muß den ganzen Vogel haben.“
Da machte sich der aͤlteste Sohn auf, und gedachte den goldenen Vogel schon zu finden. Und wie er eine Strecke gegangen war, kam er an einen Wald; vor dem Wald saß ein Fuchs, gleich nahm er seine Flinte und zielte auf ihn. Da hub der Fuchs an: „schieß mich nicht, so will ich dir guten Rath geben, ich weiß schon, wo du hin willst, du denkst den goldenen Vogel zu suchen, wenn du nun heut Abend in ein Dorf kommst, wirst du zwei Wirthshaͤuser stehen sehen, gegen einander uͤber, im einen gehts hell und lustig her, kehr aber nicht in das ein, sondern ins andere, wenn es dich schon schlecht ansieht!“ Der Sohn aber dachte: was kann mir ein Thier ordentliches rathen! nahm die Flinte
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Zitationshilfe: | Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/353>, abgerufen am 28.07.2024. |