Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.die guten Zwerglein Mitleiden mit ihm und gaben ihm den Sarg. Der Königssohn ließ ihn nun von seinen Dienern auf den Schultern forttragen. Da geschah es, daß sie über einen Strauch stolperten und von dem Schüttern fuhr der giftige Apfelgrütz, den das Sneewittchen abgebissen hatte, aus dem Hals und es ward wieder lebendig und richtete sich auf. Da sprach es: "ach Gott! wo bin ich?" Aber der Königssohn sagte voll Freude: "du bist bei mir" und erzählte ihm, was sich zugetragen hatte und sprach: "ich habe dich lieber, als alles auf der Welt, komm mit mir in meines Vaters Schloß, du sollst meine Gemahlin werden." Da war ihm das Sneewittchen gut und ging mit ihm und zu ihrer Hochzeit ward alles mit großer Pracht und Herrlichkeit angeordnet. Zu dem Fest war aber auch Sneewittchens gottlose Stiefmutter eingeladen. Wie sie sich nun mit schönen Kleidern angethan hatte, trat sie vor den Spiegel und sprach: "Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die schönste im ganzen Land?" Da antwortete der Spiegel: "Frau Königin, ihr seyd die schönste hier,
aber die junge Königin ist tausendmal schöner als ihr!" Wie das böse Weib das hörte, erschrak sie und ward ihr so angst, so angst, daß sie es nicht sagen konnte. Sie wollte gar nicht auf die Hochzeit kommen und doch trieb sie der Neid, daß sie die junge Königin sehen wollte. Und wie sie hineintrat, sah sie, daß es niemand anders, als Sneewittchen war und vor Schrecken konnte sie sich nicht regen. Aber es standen schon eiserne Pantoffeln über die guten Zwerglein Mitleiden mit ihm und gaben ihm den Sarg. Der Koͤnigssohn ließ ihn nun von seinen Dienern auf den Schultern forttragen. Da geschah es, daß sie uͤber einen Strauch stolperten und von dem Schuͤttern fuhr der giftige Apfelgruͤtz, den das Sneewittchen abgebissen hatte, aus dem Hals und es ward wieder lebendig und richtete sich auf. Da sprach es: „ach Gott! wo bin ich?“ Aber der Koͤnigssohn sagte voll Freude: „du bist bei mir“ und erzaͤhlte ihm, was sich zugetragen hatte und sprach: „ich habe dich lieber, als alles auf der Welt, komm mit mir in meines Vaters Schloß, du sollst meine Gemahlin werden.“ Da war ihm das Sneewittchen gut und ging mit ihm und zu ihrer Hochzeit ward alles mit großer Pracht und Herrlichkeit angeordnet. Zu dem Fest war aber auch Sneewittchens gottlose Stiefmutter eingeladen. Wie sie sich nun mit schoͤnen Kleidern angethan hatte, trat sie vor den Spiegel und sprach: „Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die schoͤnste im ganzen Land?“ Da antwortete der Spiegel: „Frau Koͤnigin, ihr seyd die schoͤnste hier,
aber die junge Koͤnigin ist tausendmal schoͤner als ihr!“ Wie das boͤse Weib das hoͤrte, erschrak sie und ward ihr so angst, so angst, daß sie es nicht sagen konnte. Sie wollte gar nicht auf die Hochzeit kommen und doch trieb sie der Neid, daß sie die junge Koͤnigin sehen wollte. Und wie sie hineintrat, sah sie, daß es niemand anders, als Sneewittchen war und vor Schrecken konnte sie sich nicht regen. Aber es standen schon eiserne Pantoffeln uͤber <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0337" n="273"/> die guten Zwerglein Mitleiden mit ihm und gaben ihm den Sarg. Der Koͤnigssohn ließ ihn nun von seinen Dienern auf den Schultern forttragen. Da geschah es, daß sie uͤber einen Strauch stolperten und von dem Schuͤttern fuhr der giftige Apfelgruͤtz, den das Sneewittchen abgebissen hatte, aus dem Hals und es ward wieder lebendig und richtete sich auf. Da sprach es: „ach Gott! wo bin ich?“ Aber der Koͤnigssohn sagte voll Freude: „du bist bei mir“ und erzaͤhlte ihm, was sich zugetragen hatte und sprach: „ich habe dich lieber, als alles auf der Welt, komm mit mir in meines Vaters Schloß, du sollst meine Gemahlin werden.“ Da war ihm das Sneewittchen gut und ging mit ihm und zu ihrer Hochzeit ward alles mit großer Pracht und Herrlichkeit angeordnet.</p><lb/> <p>Zu dem Fest war aber auch Sneewittchens gottlose Stiefmutter eingeladen. Wie sie sich nun mit schoͤnen Kleidern angethan hatte, trat sie vor den Spiegel und sprach:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>„Spieglein, Spieglein an der Wand,</l><lb/> <l>wer ist die schoͤnste im ganzen Land?“</l><lb/> </lg> <p>Da antwortete der Spiegel:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>„Frau Koͤnigin, ihr seyd die schoͤnste hier,</l><lb/> <l>aber die junge Koͤnigin ist tausendmal schoͤner als ihr!“</l><lb/> </lg> <p>Wie das boͤse Weib das hoͤrte, erschrak sie und ward ihr so angst, so angst, daß sie es nicht sagen konnte. Sie wollte gar nicht auf die Hochzeit kommen und doch trieb sie der Neid, daß sie die junge Koͤnigin sehen wollte. Und wie sie hineintrat, sah sie, daß es niemand anders, als Sneewittchen war und vor Schrecken konnte sie sich nicht regen. Aber es standen schon eiserne Pantoffeln uͤber </p> </div> </body> </text> </TEI> [273/0337]
die guten Zwerglein Mitleiden mit ihm und gaben ihm den Sarg. Der Koͤnigssohn ließ ihn nun von seinen Dienern auf den Schultern forttragen. Da geschah es, daß sie uͤber einen Strauch stolperten und von dem Schuͤttern fuhr der giftige Apfelgruͤtz, den das Sneewittchen abgebissen hatte, aus dem Hals und es ward wieder lebendig und richtete sich auf. Da sprach es: „ach Gott! wo bin ich?“ Aber der Koͤnigssohn sagte voll Freude: „du bist bei mir“ und erzaͤhlte ihm, was sich zugetragen hatte und sprach: „ich habe dich lieber, als alles auf der Welt, komm mit mir in meines Vaters Schloß, du sollst meine Gemahlin werden.“ Da war ihm das Sneewittchen gut und ging mit ihm und zu ihrer Hochzeit ward alles mit großer Pracht und Herrlichkeit angeordnet.
Zu dem Fest war aber auch Sneewittchens gottlose Stiefmutter eingeladen. Wie sie sich nun mit schoͤnen Kleidern angethan hatte, trat sie vor den Spiegel und sprach:
„Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die schoͤnste im ganzen Land?“
Da antwortete der Spiegel:
„Frau Koͤnigin, ihr seyd die schoͤnste hier,
aber die junge Koͤnigin ist tausendmal schoͤner als ihr!“
Wie das boͤse Weib das hoͤrte, erschrak sie und ward ihr so angst, so angst, daß sie es nicht sagen konnte. Sie wollte gar nicht auf die Hochzeit kommen und doch trieb sie der Neid, daß sie die junge Koͤnigin sehen wollte. Und wie sie hineintrat, sah sie, daß es niemand anders, als Sneewittchen war und vor Schrecken konnte sie sich nicht regen. Aber es standen schon eiserne Pantoffeln uͤber
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Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.
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