Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.gab, der Neugierde nicht widerstehen konnte, sie in seine Kammer mitnahm, wo er sie aufdeckte und eine weiße Schlange darin fand. Als er sie ansah, bekam er so große Lust, daß er sich nicht enthalten konnte, ein Sückchen davon abzuschneiden und zu essen. Kaum aber hatte er seine Zunge berührt, so hörte er deutlich, was die Sperlinge und andere Vögel vor dem Fenster zu einander sagten und merkte wohl, daß er die Thiersprache verstehe. Es geschah aber, daß der Königin gerade an demselben Tag einer ihrer schönsten Ringe fort kam und der Verdacht auf diesen Diener fiel. Der König schalt ihn hart aus und drohte, wenn er den Dieb nicht bis Morgen zu nennen wiße, so solle er als der Thäter angesehen und gerichtet werden. Da erschrak der Diener gar sehr und wußte nicht, wie er sich helfen sollte. Jn seiner Unruhe ging er auf dem Hof hinab, da saßen die Enten an einem fließenden Wasser nebeneinander, ruhten sich und hielten ein vertrauliches Gespräch. Nun hörte er, wie eine sagte: "wie liegt mir's so schwer im Magen! ich habe einen Ring, der unter der Königin Fenster lag, in der Hast mit geschluckt!" Da faßte er die Ente beim Kragen, trug sie zum Koch und sprach: "schlacht doch diese fette zuerst ab!" Der Koch schnitt ihr den Hals ab, und als er sie ausnahm, fand er den Ring der Königin im Magen liegen. Der Diener brachte ihn dem König, der sich gar sehr darüber freute, und weil er sein Unrecht gern wieder gut machen wollte, sprach er zu ihm: "fordere, was du willst und sage, was für eine Ehrenstelle du an meinem Hofe wünschest." gab, der Neugierde nicht widerstehen konnte, sie in seine Kammer mitnahm, wo er sie aufdeckte und eine weiße Schlange darin fand. Als er sie ansah, bekam er so große Lust, daß er sich nicht enthalten konnte, ein Suͤckchen davon abzuschneiden und zu essen. Kaum aber hatte er seine Zunge beruͤhrt, so hoͤrte er deutlich, was die Sperlinge und andere Voͤgel vor dem Fenster zu einander sagten und merkte wohl, daß er die Thiersprache verstehe. Es geschah aber, daß der Koͤnigin gerade an demselben Tag einer ihrer schoͤnsten Ringe fort kam und der Verdacht auf diesen Diener fiel. Der Koͤnig schalt ihn hart aus und drohte, wenn er den Dieb nicht bis Morgen zu nennen wiße, so solle er als der Thaͤter angesehen und gerichtet werden. Da erschrak der Diener gar sehr und wußte nicht, wie er sich helfen sollte. Jn seiner Unruhe ging er auf dem Hof hinab, da saßen die Enten an einem fließenden Wasser nebeneinander, ruhten sich und hielten ein vertrauliches Gespraͤch. Nun hoͤrte er, wie eine sagte: „wie liegt mir’s so schwer im Magen! ich habe einen Ring, der unter der Koͤnigin Fenster lag, in der Hast mit geschluckt!“ Da faßte er die Ente beim Kragen, trug sie zum Koch und sprach: „schlacht doch diese fette zuerst ab!“ Der Koch schnitt ihr den Hals ab, und als er sie ausnahm, fand er den Ring der Koͤnigin im Magen liegen. Der Diener brachte ihn dem Koͤnig, der sich gar sehr daruͤber freute, und weil er sein Unrecht gern wieder gut machen wollte, sprach er zu ihm: „fordere, was du willst und sage, was fuͤr eine Ehrenstelle du an meinem Hofe wuͤnschest.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0157" n="93"/> gab, der Neugierde nicht widerstehen konnte, sie in seine Kammer mitnahm, wo er sie aufdeckte und eine weiße Schlange darin fand. Als er sie ansah, bekam er so große Lust, daß er sich nicht enthalten konnte, ein Suͤckchen davon abzuschneiden und zu essen. Kaum aber hatte er seine Zunge beruͤhrt, so hoͤrte er deutlich, was die Sperlinge und andere Voͤgel vor dem Fenster zu einander sagten und merkte wohl, daß er die Thiersprache verstehe.</p><lb/> <p>Es geschah aber, daß der Koͤnigin gerade an demselben Tag einer ihrer schoͤnsten Ringe fort kam und der Verdacht auf diesen Diener fiel. Der Koͤnig schalt ihn hart aus und drohte, wenn er den Dieb nicht bis Morgen zu nennen wiße, so solle er als der Thaͤter angesehen und gerichtet werden. Da erschrak der Diener gar sehr und wußte nicht, wie er sich helfen sollte. Jn seiner Unruhe ging er auf dem Hof hinab, da saßen die Enten an einem fließenden Wasser nebeneinander, ruhten sich und hielten ein vertrauliches Gespraͤch. Nun hoͤrte er, wie eine sagte: „wie liegt mir’s so schwer im Magen! ich habe einen Ring, der unter der Koͤnigin Fenster lag, in der Hast mit geschluckt!“ Da faßte er die Ente beim Kragen, trug sie zum Koch und sprach: „schlacht doch diese fette zuerst ab!“ Der Koch schnitt ihr den Hals ab, und als er sie ausnahm, fand er den Ring der Koͤnigin im Magen liegen. Der Diener brachte ihn dem Koͤnig, der sich gar sehr daruͤber freute, und weil er sein Unrecht gern wieder gut machen wollte, sprach er zu ihm: „fordere, was du willst und sage, was fuͤr eine Ehrenstelle du an meinem Hofe wuͤnschest.“ </p> </div> </body> </text> </TEI> [93/0157]
gab, der Neugierde nicht widerstehen konnte, sie in seine Kammer mitnahm, wo er sie aufdeckte und eine weiße Schlange darin fand. Als er sie ansah, bekam er so große Lust, daß er sich nicht enthalten konnte, ein Suͤckchen davon abzuschneiden und zu essen. Kaum aber hatte er seine Zunge beruͤhrt, so hoͤrte er deutlich, was die Sperlinge und andere Voͤgel vor dem Fenster zu einander sagten und merkte wohl, daß er die Thiersprache verstehe.
Es geschah aber, daß der Koͤnigin gerade an demselben Tag einer ihrer schoͤnsten Ringe fort kam und der Verdacht auf diesen Diener fiel. Der Koͤnig schalt ihn hart aus und drohte, wenn er den Dieb nicht bis Morgen zu nennen wiße, so solle er als der Thaͤter angesehen und gerichtet werden. Da erschrak der Diener gar sehr und wußte nicht, wie er sich helfen sollte. Jn seiner Unruhe ging er auf dem Hof hinab, da saßen die Enten an einem fließenden Wasser nebeneinander, ruhten sich und hielten ein vertrauliches Gespraͤch. Nun hoͤrte er, wie eine sagte: „wie liegt mir’s so schwer im Magen! ich habe einen Ring, der unter der Koͤnigin Fenster lag, in der Hast mit geschluckt!“ Da faßte er die Ente beim Kragen, trug sie zum Koch und sprach: „schlacht doch diese fette zuerst ab!“ Der Koch schnitt ihr den Hals ab, und als er sie ausnahm, fand er den Ring der Koͤnigin im Magen liegen. Der Diener brachte ihn dem Koͤnig, der sich gar sehr daruͤber freute, und weil er sein Unrecht gern wieder gut machen wollte, sprach er zu ihm: „fordere, was du willst und sage, was fuͤr eine Ehrenstelle du an meinem Hofe wuͤnschest.“
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Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.
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