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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.

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Dieser Schwur aber hatte alle Freier abgeschreckt, weil ein jeder sich fürchtete, lebendig ins Grab gehen zu müssen. Nun sah der Jüngling, als einer der ersten an des Königs Hof, die schöne Tochter und ward von ihrer Schönheit ganz eingenommen, daß er endlich bei dem alten König um sie anhielt. Da antwortete der König: "wer meine Tochter heirathet, muß sich nicht fürchten lebendig in das Grab zu gehen;" und erzählte ihm, was sie für einen Schwur gethan. Aber seine Liebe war so groß, daß er das Versprechen that und an die Gefahr nicht dachte, und da ward ihre Hochzeit mit großer Freude gefeiert.

Nun lebten sie eine Zeit lang glücklich und vergnügt mit einander, da geschah es, daß die junge Königin krank ward und kein Arzt ihr helfen konnte, also daß sie starb. Und als sie todt da lag, fiel ihm mit Schrecken ein, was er versprochen hatte, daß er sich lebendig mit ihr wolle begraben lassen und der alte König ließ alle Thore mit Wachen besetzen, damit er nicht entfliehen sollte und sprach, nun müßte er halten was er gelobt hätte. Als der Tag kam, wo die Leiche in das königliche Gewölbe beigesetzt wurde, da ward er mit hinab geführt und dann das Thor verriegelt und verschlossen. Neben dem Sarg stand ein Tisch, darauf ein Licht, vier Laibe Brot und vier Flaschen Wein, wenn das zu Ende ging, mußte er verschmachten.

Nun saß er da bei dem Sarg voll Schmerz und Trauer und aß jeden Tag nur ein Bißlein Brot, trank nur einen Schluck Wein, und sah doch, wie der Tod immer näher rückte. Da geschah es, daß er einmal aus der Ecke des Gewölbes eine Schlange hervorkriechen

Dieser Schwur aber hatte alle Freier abgeschreckt, weil ein jeder sich fuͤrchtete, lebendig ins Grab gehen zu muͤssen. Nun sah der Juͤngling, als einer der ersten an des Koͤnigs Hof, die schoͤne Tochter und ward von ihrer Schoͤnheit ganz eingenommen, daß er endlich bei dem alten Koͤnig um sie anhielt. Da antwortete der Koͤnig: „wer meine Tochter heirathet, muß sich nicht fuͤrchten lebendig in das Grab zu gehen;“ und erzaͤhlte ihm, was sie fuͤr einen Schwur gethan. Aber seine Liebe war so groß, daß er das Versprechen that und an die Gefahr nicht dachte, und da ward ihre Hochzeit mit großer Freude gefeiert.

Nun lebten sie eine Zeit lang gluͤcklich und vergnuͤgt mit einander, da geschah es, daß die junge Koͤnigin krank ward und kein Arzt ihr helfen konnte, also daß sie starb. Und als sie todt da lag, fiel ihm mit Schrecken ein, was er versprochen hatte, daß er sich lebendig mit ihr wolle begraben lassen und der alte Koͤnig ließ alle Thore mit Wachen besetzen, damit er nicht entfliehen sollte und sprach, nun muͤßte er halten was er gelobt haͤtte. Als der Tag kam, wo die Leiche in das koͤnigliche Gewoͤlbe beigesetzt wurde, da ward er mit hinab gefuͤhrt und dann das Thor verriegelt und verschlossen. Neben dem Sarg stand ein Tisch, darauf ein Licht, vier Laibe Brot und vier Flaschen Wein, wenn das zu Ende ging, mußte er verschmachten.

Nun saß er da bei dem Sarg voll Schmerz und Trauer und aß jeden Tag nur ein Bißlein Brot, trank nur einen Schluck Wein, und sah doch, wie der Tod immer naͤher ruͤckte. Da geschah es, daß er einmal aus der Ecke des Gewoͤlbes eine Schlange hervorkriechen

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[89/0153] Dieser Schwur aber hatte alle Freier abgeschreckt, weil ein jeder sich fuͤrchtete, lebendig ins Grab gehen zu muͤssen. Nun sah der Juͤngling, als einer der ersten an des Koͤnigs Hof, die schoͤne Tochter und ward von ihrer Schoͤnheit ganz eingenommen, daß er endlich bei dem alten Koͤnig um sie anhielt. Da antwortete der Koͤnig: „wer meine Tochter heirathet, muß sich nicht fuͤrchten lebendig in das Grab zu gehen;“ und erzaͤhlte ihm, was sie fuͤr einen Schwur gethan. Aber seine Liebe war so groß, daß er das Versprechen that und an die Gefahr nicht dachte, und da ward ihre Hochzeit mit großer Freude gefeiert. Nun lebten sie eine Zeit lang gluͤcklich und vergnuͤgt mit einander, da geschah es, daß die junge Koͤnigin krank ward und kein Arzt ihr helfen konnte, also daß sie starb. Und als sie todt da lag, fiel ihm mit Schrecken ein, was er versprochen hatte, daß er sich lebendig mit ihr wolle begraben lassen und der alte Koͤnig ließ alle Thore mit Wachen besetzen, damit er nicht entfliehen sollte und sprach, nun muͤßte er halten was er gelobt haͤtte. Als der Tag kam, wo die Leiche in das koͤnigliche Gewoͤlbe beigesetzt wurde, da ward er mit hinab gefuͤhrt und dann das Thor verriegelt und verschlossen. Neben dem Sarg stand ein Tisch, darauf ein Licht, vier Laibe Brot und vier Flaschen Wein, wenn das zu Ende ging, mußte er verschmachten. Nun saß er da bei dem Sarg voll Schmerz und Trauer und aß jeden Tag nur ein Bißlein Brot, trank nur einen Schluck Wein, und sah doch, wie der Tod immer naͤher ruͤckte. Da geschah es, daß er einmal aus der Ecke des Gewoͤlbes eine Schlange hervorkriechen

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Anmerkungen zur Transkription:

Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.




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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/153>, abgerufen am 06.05.2024.