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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Als Reinald erwachte, lag er in einem sei-
denen Bett, Diener kamen ihm aufzuwarten
und ihm die reichsten Kleider anzuthun, denn es
war gerade der siebente Tag eingefallen. Seine
Schwester mit zwei schönen Prinzen und sein
Schwager Bär traten ein, und fre[u]ten sich sei-
ner Ankunft. Da war alles in Pracht und
Herrlichkeit und der ganze Tag voll Lust und
Freude; am Abend aber sagte die Prinzessin:
lieber Bruder, nun mach daß du fort kommst,
mit Tages Anbruch nimmt mein Gemahl wie-
der Bärengestalt an, und findet er dich morgen
noch hier, kann er seiner Natur nicht widerste-
hen und frißt dich auf." Da kam der Prinz Bär
und gab ihm drei Bärenhaare, und sagte; wenn
du in Noth bist so reib daran, und ich will dir
zu Hülfe kommen." Darauf küßten sie sich und
nahmen Abschied, und Reinald stieg in einen
Wagen mit sechs Rappen bespannt und fuhr
fort. So gings über Stock und Stein, Berg
auf Berg ab, durch Wüsten und Wälder, Horst
und Hecke, ohne Ruh und Rast, bis gegen Mor-
gen, als der Himmel anfing grau zu werden,
da lag Reinald auf einmal auf der Erde und
Roß und Wagen war verschwunden, und beim
Morgenroth erblickte er sechs Ameisen, die gal-
loppirten dahin und zogen eine Nußschale.

Reinald sah daß er noch in dem Zauber-
wald war, und wollte seine zweite Schwester

Als Reinald erwachte, lag er in einem ſei-
denen Bett, Diener kamen ihm aufzuwarten
und ihm die reichſten Kleider anzuthun, denn es
war gerade der ſiebente Tag eingefallen. Seine
Schweſter mit zwei ſchoͤnen Prinzen und ſein
Schwager Baͤr traten ein, und fre[u]ten ſich ſei-
ner Ankunft. Da war alles in Pracht und
Herrlichkeit und der ganze Tag voll Luſt und
Freude; am Abend aber ſagte die Prinzeſſin:
lieber Bruder, nun mach daß du fort kommſt,
mit Tages Anbruch nimmt mein Gemahl wie-
der Baͤrengeſtalt an, und findet er dich morgen
noch hier, kann er ſeiner Natur nicht widerſte-
hen und frißt dich auf.“ Da kam der Prinz Baͤr
und gab ihm drei Baͤrenhaare, und ſagte; wenn
du in Noth biſt ſo reib daran, und ich will dir
zu Huͤlfe kommen.“ Darauf kuͤßten ſie ſich und
nahmen Abſchied, und Reinald ſtieg in einen
Wagen mit ſechs Rappen beſpannt und fuhr
fort. So gings uͤber Stock und Stein, Berg
auf Berg ab, durch Wuͤſten und Waͤlder, Horſt
und Hecke, ohne Ruh und Raſt, bis gegen Mor-
gen, als der Himmel anfing grau zu werden,
da lag Reinald auf einmal auf der Erde und
Roß und Wagen war verſchwunden, und beim
Morgenroth erblickte er ſechs Ameiſen, die gal-
loppirten dahin und zogen eine Nußſchale.

Reinald ſah daß er noch in dem Zauber-
wald war, und wollte ſeine zweite Schweſter

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[375/0409] Als Reinald erwachte, lag er in einem ſei- denen Bett, Diener kamen ihm aufzuwarten und ihm die reichſten Kleider anzuthun, denn es war gerade der ſiebente Tag eingefallen. Seine Schweſter mit zwei ſchoͤnen Prinzen und ſein Schwager Baͤr traten ein, und freuten ſich ſei- ner Ankunft. Da war alles in Pracht und Herrlichkeit und der ganze Tag voll Luſt und Freude; am Abend aber ſagte die Prinzeſſin: lieber Bruder, nun mach daß du fort kommſt, mit Tages Anbruch nimmt mein Gemahl wie- der Baͤrengeſtalt an, und findet er dich morgen noch hier, kann er ſeiner Natur nicht widerſte- hen und frißt dich auf.“ Da kam der Prinz Baͤr und gab ihm drei Baͤrenhaare, und ſagte; wenn du in Noth biſt ſo reib daran, und ich will dir zu Huͤlfe kommen.“ Darauf kuͤßten ſie ſich und nahmen Abſchied, und Reinald ſtieg in einen Wagen mit ſechs Rappen beſpannt und fuhr fort. So gings uͤber Stock und Stein, Berg auf Berg ab, durch Wuͤſten und Waͤlder, Horſt und Hecke, ohne Ruh und Raſt, bis gegen Mor- gen, als der Himmel anfing grau zu werden, da lag Reinald auf einmal auf der Erde und Roß und Wagen war verſchwunden, und beim Morgenroth erblickte er ſechs Ameiſen, die gal- loppirten dahin und zogen eine Nußſchale. Reinald ſah daß er noch in dem Zauber- wald war, und wollte ſeine zweite Schweſter

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/409>, abgerufen am 24.11.2024.