mit so einem reichen Herrn, und machte also keine Schwierigkeit mit ihm zu reiten. Da es Abend ward, als sie unterwegs waren fragte er sie:
"Der Mond scheint so hell meine Pferdchen laufen so schnell süß Lieb, reut dichs auch nicht?"
-- "Nein, warum sollt michs reuen? ich bin immer bei Euch wohl bewahrt," da sie doch innerlich eine Angst hatte. Als sie in einem großen Wald waren, fragte sie, ob sie bald da wären? -- "Ja, sagte er, siehst du das Licht da in der Ferne, da ist mein Schloß;" endlich kamen sie da an, und alles war gar schön.
Am andern Tage sagte er zu ihr, er müßt auf einige Tage sie verlassen, weil er wichtige Affairen hätte, die nothwendig wären, aber er wolle ihr alle Schlüssel lassen, damit sie das ganze Castell sehen könnte, von was für Reich- thum sie all Meister wär. Als er fort war, ging sie durch das ganze Haus, und fand alles so schön, daß sie völlig damit zufrieden war, bis sie endlich an einen Keller kam, wo eine alte Frau saß und Därme schrappte. "Ei Müt- terchen, was macht sie da?" -- "Ich schrapp Därme, mein Kind, morgen schrapp ich eure auch!" Wovon sie so erschrack, daß sie den Schlüssel, welcher in ihrer Hand war, in ein Becken mit Blut fallen ließ, welches nicht gut
mit ſo einem reichen Herrn, und machte alſo keine Schwierigkeit mit ihm zu reiten. Da es Abend ward, als ſie unterwegs waren fragte er ſie:
„Der Mond ſcheint ſo hell meine Pferdchen laufen ſo ſchnell ſuͤß Lieb, reut dichs auch nicht?“
— „Nein, warum ſollt michs reuen? ich bin immer bei Euch wohl bewahrt,“ da ſie doch innerlich eine Angſt hatte. Als ſie in einem großen Wald waren, fragte ſie, ob ſie bald da waͤren? — „Ja, ſagte er, ſiehſt du das Licht da in der Ferne, da iſt mein Schloß;“ endlich kamen ſie da an, und alles war gar ſchoͤn.
Am andern Tage ſagte er zu ihr, er muͤßt auf einige Tage ſie verlaſſen, weil er wichtige Affairen haͤtte, die nothwendig waͤren, aber er wolle ihr alle Schluͤſſel laſſen, damit ſie das ganze Caſtell ſehen koͤnnte, von was fuͤr Reich- thum ſie all Meiſter waͤr. Als er fort war, ging ſie durch das ganze Haus, und fand alles ſo ſchoͤn, daß ſie voͤllig damit zufrieden war, bis ſie endlich an einen Keller kam, wo eine alte Frau ſaß und Daͤrme ſchrappte. „Ei Muͤt- terchen, was macht ſie da?“ — „Ich ſchrapp Daͤrme, mein Kind, morgen ſchrapp ich eure auch!“ Wovon ſie ſo erſchrack, daß ſie den Schluͤſſel, welcher in ihrer Hand war, in ein Becken mit Blut fallen ließ, welches nicht gut
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mit ſo einem reichen Herrn, und machte alſo
keine Schwierigkeit mit ihm zu reiten. Da es
Abend ward, als ſie unterwegs waren fragte
er ſie:
„Der Mond ſcheint ſo hell
meine Pferdchen laufen ſo ſchnell
ſuͤß Lieb, reut dichs auch nicht?“
— „Nein, warum ſollt michs reuen? ich bin
immer bei Euch wohl bewahrt,“ da ſie doch
innerlich eine Angſt hatte. Als ſie in einem
großen Wald waren, fragte ſie, ob ſie bald da
waͤren? — „Ja, ſagte er, ſiehſt du das Licht
da in der Ferne, da iſt mein Schloß;“ endlich
kamen ſie da an, und alles war gar ſchoͤn.
Am andern Tage ſagte er zu ihr, er muͤßt
auf einige Tage ſie verlaſſen, weil er wichtige
Affairen haͤtte, die nothwendig waͤren, aber er
wolle ihr alle Schluͤſſel laſſen, damit ſie das
ganze Caſtell ſehen koͤnnte, von was fuͤr Reich-
thum ſie all Meiſter waͤr. Als er fort war,
ging ſie durch das ganze Haus, und fand alles
ſo ſchoͤn, daß ſie voͤllig damit zufrieden war,
bis ſie endlich an einen Keller kam, wo eine
alte Frau ſaß und Daͤrme ſchrappte. „Ei Muͤt-
terchen, was macht ſie da?“ — „Ich ſchrapp
Daͤrme, mein Kind, morgen ſchrapp ich eure
auch!“ Wovon ſie ſo erſchrack, daß ſie den
Schluͤſſel, welcher in ihrer Hand war, in ein
Becken mit Blut fallen ließ, welches nicht gut
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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/375>, abgerufen am 24.11.2024.
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