Es war einmal ein armer Mann und eine arme Frau, die hatten weiter nichts als eine Hütte. Der Mann war ein Fischer, und wie er einmal am Wasser saß und sein Netz ausge- worfen hatte, da fing er einen goldenen Fisch. Der Fisch aber sprach: "wenn du mich wieder in das Wasser werfen willst, so soll deine Hüt- te in einen prächtigen Pallast verwandelt seyn, und in dem Pallast soll ein Schrank stehen, wenn du den aufschließst, ist Gesottenes und Gebratenes darin, so viel du nur wünschest, nur darfst du keinem Menschen auf der Welt sagen, von wem dein Glück kommt, sonst ist alles vorbei." Der Fischer warf den Goldfisch wieder ins Wasser, und wie er nach Haus kam, da stand ein großes Schloß, wo sonst seine Hütte gestanden hatte, und seine Frau saß mit- ten in einer prächtigen Stube. Dem Mann gefiel das wohl, er hätte aber auch gern etwas gegessen: "Frau, gieb mir doch etwas, sagte er, mich hungert so gewaltig." Die Frau aber antwortete: "ich habe nichts und kann in dem großen Schloß nichts finden." -- "Geh nur dort über den Schrank," und wie die Frau den Schrank aufschloß, standen da Kuchen, Fleisch,
63. Goldkinder.
Es war einmal ein armer Mann und eine arme Frau, die hatten weiter nichts als eine Huͤtte. Der Mann war ein Fiſcher, und wie er einmal am Waſſer ſaß und ſein Netz ausge- worfen hatte, da fing er einen goldenen Fiſch. Der Fiſch aber ſprach: „wenn du mich wieder in das Waſſer werfen willſt, ſo ſoll deine Huͤt- te in einen praͤchtigen Pallaſt verwandelt ſeyn, und in dem Pallaſt ſoll ein Schrank ſtehen, wenn du den aufſchließſt, iſt Geſottenes und Gebratenes darin, ſo viel du nur wuͤnſcheſt, nur darfſt du keinem Menſchen auf der Welt ſagen, von wem dein Gluͤck kommt, ſonſt iſt alles vorbei.“ Der Fiſcher warf den Goldfiſch wieder ins Waſſer, und wie er nach Haus kam, da ſtand ein großes Schloß, wo ſonſt ſeine Huͤtte geſtanden hatte, und ſeine Frau ſaß mit- ten in einer praͤchtigen Stube. Dem Mann gefiel das wohl, er haͤtte aber auch gern etwas gegeſſen: „Frau, gieb mir doch etwas, ſagte er, mich hungert ſo gewaltig.“ Die Frau aber antwortete: „ich habe nichts und kann in dem großen Schloß nichts finden.“ — „Geh nur dort uͤber den Schrank,“ und wie die Frau den Schrank aufſchloß, ſtanden da Kuchen, Fleiſch,
<TEI><text><body><pbfacs="#f0324"n="290"/><divn="1"><head>63.<lb/><hirendition="#g">Goldkinder</hi>.</head><lb/><p>Es war einmal ein armer Mann und eine<lb/>
arme Frau, die hatten weiter nichts als eine<lb/>
Huͤtte. Der Mann war ein Fiſcher, und wie<lb/>
er einmal am Waſſer ſaß und ſein Netz ausge-<lb/>
worfen hatte, da fing er einen goldenen Fiſch.<lb/>
Der Fiſch aber ſprach: „wenn du mich wieder<lb/>
in das Waſſer werfen willſt, ſo ſoll deine Huͤt-<lb/>
te in einen praͤchtigen Pallaſt verwandelt ſeyn,<lb/>
und in dem Pallaſt ſoll ein Schrank ſtehen,<lb/>
wenn du den aufſchließſt, iſt Geſottenes und<lb/>
Gebratenes darin, ſo viel du nur wuͤnſcheſt,<lb/>
nur darfſt du keinem Menſchen auf der Welt<lb/>ſagen, von wem dein Gluͤck kommt, ſonſt iſt<lb/>
alles vorbei.“ Der Fiſcher warf den Goldfiſch<lb/>
wieder ins Waſſer, und wie er nach Haus kam,<lb/>
da ſtand ein großes Schloß, wo ſonſt ſeine<lb/>
Huͤtte geſtanden hatte, und ſeine Frau ſaß mit-<lb/>
ten in einer praͤchtigen Stube. Dem Mann<lb/>
gefiel das wohl, er haͤtte aber auch gern etwas<lb/>
gegeſſen: „Frau, gieb mir doch etwas, ſagte er,<lb/>
mich hungert ſo gewaltig.“ Die Frau aber<lb/>
antwortete: „ich habe nichts und kann in dem<lb/>
großen Schloß nichts finden.“—„Geh nur<lb/>
dort uͤber den Schrank,“ und wie die Frau<lb/>
den Schrank aufſchloß, ſtanden da Kuchen, Fleiſch,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[290/0324]
63.
Goldkinder.
Es war einmal ein armer Mann und eine
arme Frau, die hatten weiter nichts als eine
Huͤtte. Der Mann war ein Fiſcher, und wie
er einmal am Waſſer ſaß und ſein Netz ausge-
worfen hatte, da fing er einen goldenen Fiſch.
Der Fiſch aber ſprach: „wenn du mich wieder
in das Waſſer werfen willſt, ſo ſoll deine Huͤt-
te in einen praͤchtigen Pallaſt verwandelt ſeyn,
und in dem Pallaſt ſoll ein Schrank ſtehen,
wenn du den aufſchließſt, iſt Geſottenes und
Gebratenes darin, ſo viel du nur wuͤnſcheſt,
nur darfſt du keinem Menſchen auf der Welt
ſagen, von wem dein Gluͤck kommt, ſonſt iſt
alles vorbei.“ Der Fiſcher warf den Goldfiſch
wieder ins Waſſer, und wie er nach Haus kam,
da ſtand ein großes Schloß, wo ſonſt ſeine
Huͤtte geſtanden hatte, und ſeine Frau ſaß mit-
ten in einer praͤchtigen Stube. Dem Mann
gefiel das wohl, er haͤtte aber auch gern etwas
gegeſſen: „Frau, gieb mir doch etwas, ſagte er,
mich hungert ſo gewaltig.“ Die Frau aber
antwortete: „ich habe nichts und kann in dem
großen Schloß nichts finden.“ — „Geh nur
dort uͤber den Schrank,“ und wie die Frau
den Schrank aufſchloß, ſtanden da Kuchen, Fleiſch,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/324>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.