Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812."Ihr, Frau Königin, seyd die schönste Frau im Land." Und da wußte sie gewiß, daß niemand schöner auf der Welt war. Sneewittchen aber wuchs heran, und als es sieben Jahr alt war, war es so schön, daß es selbst die Königin an Schön- heit übertraf, und als diese ihren Spiegel fragte: "Spieglein, Spieglein an der Wand: wer ist die schönste Frau in dem ganzen Land?" sagte der Spiegel: "Frau Königin, Ihr seyd die schönste hier, aber Snewittchen ist noch tausendmal schöner als Ihr!" Wie die Königin den Spiegel so sprechen hör- te, ward sie blaß vor Neid, und von Stund an haßte sie das Sneewittchen, und wenn sie es ansah, und gedacht, daß durch seine Schuld sie nicht mehr die schönste auf der Welt sey, kehrte sich ihr das Herz herum. Da ließ ihr der Neid keine Ruhe, und sie rief einen Jäger und sagte zu ihm: "führ das Sneewittchen hinaus in den Wald an einen weiten abgelege- nen Ort, da stichs todt, und zum Wahrzeichen bring mir seine Lunge und seine Leber mit, die will ich mit Salz kochen und essen." Der Jä- ger nahm das Sneewittchen und führte es hin- „Ihr, Frau Koͤnigin, ſeyd die ſchoͤnſte Frau im Land.“ Und da wußte ſie gewiß, daß niemand ſchoͤner auf der Welt war. Sneewittchen aber wuchs heran, und als es ſieben Jahr alt war, war es ſo ſchoͤn, daß es ſelbſt die Koͤnigin an Schoͤn- heit uͤbertraf, und als dieſe ihren Spiegel fragte: „Spieglein, Spieglein an der Wand: wer iſt die ſchoͤnſte Frau in dem ganzen Land?“ ſagte der Spiegel: „Frau Koͤnigin, Ihr ſeyd die ſchoͤnſte hier, aber Snewittchen iſt noch tauſendmal ſchoͤner als Ihr!“ Wie die Koͤnigin den Spiegel ſo ſprechen hoͤr- te, ward ſie blaß vor Neid, und von Stund an haßte ſie das Sneewittchen, und wenn ſie es anſah, und gedacht, daß durch ſeine Schuld ſie nicht mehr die ſchoͤnſte auf der Welt ſey, kehrte ſich ihr das Herz herum. Da ließ ihr der Neid keine Ruhe, und ſie rief einen Jaͤger und ſagte zu ihm: „fuͤhr das Sneewittchen hinaus in den Wald an einen weiten abgelege- nen Ort, da ſtichs todt, und zum Wahrzeichen bring mir ſeine Lunge und ſeine Leber mit, die will ich mit Salz kochen und eſſen.“ Der Jaͤ- ger nahm das Sneewittchen und fuͤhrte es hin- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0273" n="239"/><lg type="poem"><l>„Ihr, Frau Koͤnigin, ſeyd die ſchoͤnſte Frau</l><lb/><l>im Land.“</l></lg><lb/> Und da wußte ſie gewiß, daß niemand ſchoͤner<lb/> auf der Welt war. Sneewittchen aber wuchs<lb/> heran, und als es ſieben Jahr alt war, war es<lb/> ſo ſchoͤn, daß es ſelbſt die Koͤnigin an Schoͤn-<lb/> heit uͤbertraf, und als dieſe ihren Spiegel<lb/> fragte:<lb/><lg type="poem"><l>„Spieglein, Spieglein an der Wand:</l><lb/><l>wer iſt die ſchoͤnſte Frau in dem ganzen Land?“</l></lg><lb/> ſagte der Spiegel:<lb/><lg type="poem"><l>„Frau Koͤnigin, Ihr ſeyd die ſchoͤnſte hier,</l><lb/><l>aber Snewittchen iſt noch tauſendmal ſchoͤner</l><lb/><l>als Ihr!“</l></lg><lb/> Wie die Koͤnigin den Spiegel ſo ſprechen hoͤr-<lb/> te, ward ſie blaß vor Neid, und von Stund<lb/> an haßte ſie das Sneewittchen, und wenn ſie<lb/> es anſah, und gedacht, daß durch ſeine Schuld<lb/> ſie nicht mehr die ſchoͤnſte auf der Welt ſey,<lb/> kehrte ſich ihr das Herz herum. Da ließ ihr<lb/> der Neid keine Ruhe, und ſie rief einen Jaͤger<lb/> und ſagte zu ihm: „fuͤhr das Sneewittchen<lb/> hinaus in den Wald an einen weiten abgelege-<lb/> nen Ort, da ſtichs todt, und zum Wahrzeichen<lb/> bring mir ſeine Lunge und ſeine Leber mit, die<lb/> will ich mit Salz kochen und eſſen.“ Der Jaͤ-<lb/> ger nahm das Sneewittchen und fuͤhrte es hin-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [239/0273]
„Ihr, Frau Koͤnigin, ſeyd die ſchoͤnſte Frau
im Land.“
Und da wußte ſie gewiß, daß niemand ſchoͤner
auf der Welt war. Sneewittchen aber wuchs
heran, und als es ſieben Jahr alt war, war es
ſo ſchoͤn, daß es ſelbſt die Koͤnigin an Schoͤn-
heit uͤbertraf, und als dieſe ihren Spiegel
fragte:
„Spieglein, Spieglein an der Wand:
wer iſt die ſchoͤnſte Frau in dem ganzen Land?“
ſagte der Spiegel:
„Frau Koͤnigin, Ihr ſeyd die ſchoͤnſte hier,
aber Snewittchen iſt noch tauſendmal ſchoͤner
als Ihr!“
Wie die Koͤnigin den Spiegel ſo ſprechen hoͤr-
te, ward ſie blaß vor Neid, und von Stund
an haßte ſie das Sneewittchen, und wenn ſie
es anſah, und gedacht, daß durch ſeine Schuld
ſie nicht mehr die ſchoͤnſte auf der Welt ſey,
kehrte ſich ihr das Herz herum. Da ließ ihr
der Neid keine Ruhe, und ſie rief einen Jaͤger
und ſagte zu ihm: „fuͤhr das Sneewittchen
hinaus in den Wald an einen weiten abgelege-
nen Ort, da ſtichs todt, und zum Wahrzeichen
bring mir ſeine Lunge und ſeine Leber mit, die
will ich mit Salz kochen und eſſen.“ Der Jaͤ-
ger nahm das Sneewittchen und fuͤhrte es hin-
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