Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

gehts nicht länger, daß wir hier zehren und
nichts verdienen, du sollst Körbe flechten." Da
ging er aus und schnitt Weiden, sie aber muß-
te anfangen Körbe zu flechten, die harten Wei-
den stachen ihr aber die Hände wund. "Ich
sehe du kannst das nicht, sagte der Mann, so
spinn lieber, das wird wohl besser gehen." Da
saß sie und spann, aber ihre Finger waren so
zart, daß der harte Faden ihr bald tief hinein-
schnitt und das Blut daran herunterlief. "Du
taugst zu keiner Arbeit recht, sagte der Mann
verdrießlich, ich will einen Topfhandel anfan-
gen, und du sollst auf dem Markt die Waare
feilhalten und verkaufen." Das erstemal gings
gut, die Leute kauften der schönen Frau gern
Töpfe ab und bezahlten, was sie forderte, ja
viele bezahlten und ließen ihr die Töpfe noch
dazu. Wie nun alles verkauft war, handelte
der Mann eine Menge neu Geschirr ein, und
sie saß wieder damit auf dem Markt, und hoff-
te guten Gewinn, da kam ein betrunkener Hu-
sar daher geritten, mitten in die Töpfe hinein,
so daß sie in tausend Scherben sprangen. Da
fürchtete sich die Frau, und getraute sich den
ganzen Tag nicht heimzugehen, und als sie nun
endlich nach Haus ging, war der Bettelmann
auf und davon.

So lebte sie einige Zeit ganz armselig und
in großer Dürftigkeit, da kam ein Mann und

gehts nicht laͤnger, daß wir hier zehren und
nichts verdienen, du ſollſt Koͤrbe flechten.“ Da
ging er aus und ſchnitt Weiden, ſie aber muß-
te anfangen Koͤrbe zu flechten, die harten Wei-
den ſtachen ihr aber die Haͤnde wund. „Ich
ſehe du kannſt das nicht, ſagte der Mann, ſo
ſpinn lieber, das wird wohl beſſer gehen.“ Da
ſaß ſie und ſpann, aber ihre Finger waren ſo
zart, daß der harte Faden ihr bald tief hinein-
ſchnitt und das Blut daran herunterlief. „Du
taugſt zu keiner Arbeit recht, ſagte der Mann
verdrießlich, ich will einen Topfhandel anfan-
gen, und du ſollſt auf dem Markt die Waare
feilhalten und verkaufen.“ Das erſtemal gings
gut, die Leute kauften der ſchoͤnen Frau gern
Toͤpfe ab und bezahlten, was ſie forderte, ja
viele bezahlten und ließen ihr die Toͤpfe noch
dazu. Wie nun alles verkauft war, handelte
der Mann eine Menge neu Geſchirr ein, und
ſie ſaß wieder damit auf dem Markt, und hoff-
te guten Gewinn, da kam ein betrunkener Hu-
ſar daher geritten, mitten in die Toͤpfe hinein,
ſo daß ſie in tauſend Scherben ſprangen. Da
fuͤrchtete ſich die Frau, und getraute ſich den
ganzen Tag nicht heimzugehen, und als ſie nun
endlich nach Haus ging, war der Bettelmann
auf und davon.

So lebte ſie einige Zeit ganz armſelig und
in großer Duͤrftigkeit, da kam ein Mann und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0270" n="236"/>
gehts nicht la&#x0364;nger, daß wir hier zehren und<lb/>
nichts verdienen, du &#x017F;oll&#x017F;t Ko&#x0364;rbe flechten.&#x201C; Da<lb/>
ging er aus und &#x017F;chnitt Weiden, &#x017F;ie aber muß-<lb/>
te anfangen Ko&#x0364;rbe zu flechten, die harten Wei-<lb/>
den &#x017F;tachen ihr aber die Ha&#x0364;nde wund. &#x201E;Ich<lb/>
&#x017F;ehe du kann&#x017F;t das nicht, &#x017F;agte der Mann, &#x017F;o<lb/>
&#x017F;pinn lieber, das wird wohl be&#x017F;&#x017F;er gehen.&#x201C; Da<lb/>
&#x017F;&#x017F;ie und &#x017F;pann, aber ihre Finger waren &#x017F;o<lb/>
zart, daß der harte Faden ihr bald tief hinein-<lb/>
&#x017F;chnitt und das Blut daran herunterlief. &#x201E;Du<lb/>
taug&#x017F;t zu keiner Arbeit recht, &#x017F;agte der Mann<lb/>
verdrießlich, ich will einen Topfhandel anfan-<lb/>
gen, und du &#x017F;oll&#x017F;t auf dem Markt die Waare<lb/>
feilhalten und verkaufen.&#x201C; Das er&#x017F;temal gings<lb/>
gut, die Leute kauften der &#x017F;cho&#x0364;nen Frau gern<lb/>
To&#x0364;pfe ab und bezahlten, was &#x017F;ie forderte, ja<lb/>
viele bezahlten und ließen ihr die To&#x0364;pfe noch<lb/>
dazu. Wie nun alles verkauft war, handelte<lb/>
der Mann eine Menge neu Ge&#x017F;chirr ein, und<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;aß wieder damit auf dem Markt, und hoff-<lb/>
te guten Gewinn, da kam ein betrunkener Hu-<lb/>
&#x017F;ar daher geritten, mitten in die To&#x0364;pfe hinein,<lb/>
&#x017F;o daß &#x017F;ie in tau&#x017F;end Scherben &#x017F;prangen. Da<lb/>
fu&#x0364;rchtete &#x017F;ich die Frau, und getraute &#x017F;ich den<lb/>
ganzen Tag nicht heimzugehen, und als &#x017F;ie nun<lb/>
endlich nach Haus ging, war der Bettelmann<lb/>
auf und davon.</p><lb/>
        <p>So lebte &#x017F;ie einige Zeit ganz arm&#x017F;elig und<lb/>
in großer Du&#x0364;rftigkeit, da kam ein Mann und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[236/0270] gehts nicht laͤnger, daß wir hier zehren und nichts verdienen, du ſollſt Koͤrbe flechten.“ Da ging er aus und ſchnitt Weiden, ſie aber muß- te anfangen Koͤrbe zu flechten, die harten Wei- den ſtachen ihr aber die Haͤnde wund. „Ich ſehe du kannſt das nicht, ſagte der Mann, ſo ſpinn lieber, das wird wohl beſſer gehen.“ Da ſaß ſie und ſpann, aber ihre Finger waren ſo zart, daß der harte Faden ihr bald tief hinein- ſchnitt und das Blut daran herunterlief. „Du taugſt zu keiner Arbeit recht, ſagte der Mann verdrießlich, ich will einen Topfhandel anfan- gen, und du ſollſt auf dem Markt die Waare feilhalten und verkaufen.“ Das erſtemal gings gut, die Leute kauften der ſchoͤnen Frau gern Toͤpfe ab und bezahlten, was ſie forderte, ja viele bezahlten und ließen ihr die Toͤpfe noch dazu. Wie nun alles verkauft war, handelte der Mann eine Menge neu Geſchirr ein, und ſie ſaß wieder damit auf dem Markt, und hoff- te guten Gewinn, da kam ein betrunkener Hu- ſar daher geritten, mitten in die Toͤpfe hinein, ſo daß ſie in tauſend Scherben ſprangen. Da fuͤrchtete ſich die Frau, und getraute ſich den ganzen Tag nicht heimzugehen, und als ſie nun endlich nach Haus ging, war der Bettelmann auf und davon. So lebte ſie einige Zeit ganz armſelig und in großer Duͤrftigkeit, da kam ein Mann und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/270
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/270>, abgerufen am 22.11.2024.