Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

einen großen Wald, da begegnete ihm ein Hau-
fen Räuber, die wollten des Königs Schatz be-
stehlen; und als sie das Schneiderlein sehen,
denken sie, der kann uns viel nützen, reden es
an, sagen, es sey ein tüchtiger Kerl, es solle
mit zur Schatzkammer gehen, sich hineinschlei-
chen und ihnen das Geld herauswerfen. Es
läßt sich drauf ein, geht zu der Schatzkammer
und besieht die Thüre, ob kein Ritzen darin;
glücklicherweise findet es bald einen und will
einsteigen, da sagt die Schildwache zur andern:
"was kriecht da für eine garstige Spinne? die
muß man todt treten." -- "Ei, laß sie doch
gehen, sagte die andere, sie hat dir ja nichts
gethan." So kam der Daumerling in die
Schatzkammer, ging an das Fenster, vor dem
die Räuber standen und warf ihnen einen Tha-
ler nach dem andern hinaus. Wie der König
seine Schatzkammer besah, fehlte so viel Geld,
kein Mensch aber konnte begreifen, wer es soll-
te gestohlen haben, da alle Schlösser gut ver-
wahrt waren. Der König stellte Wachen da-
bei, die hörten es in dem Geld rappeln, gin-
gen hinein und wollten den Dieb greifen. Das
Schneiderlein setzte sich in der Ecke unter einen
Thaler und rief: "hier bin ich!" die Wachen
liefen dahin, indeß sprang es in eine andere
Ecke, und wie die dort ankamen, schrie es da:
"hier bin ich!" die Wachen liefen zurück, es

einen großen Wald, da begegnete ihm ein Hau-
fen Raͤuber, die wollten des Koͤnigs Schatz be-
ſtehlen; und als ſie das Schneiderlein ſehen,
denken ſie, der kann uns viel nuͤtzen, reden es
an, ſagen, es ſey ein tuͤchtiger Kerl, es ſolle
mit zur Schatzkammer gehen, ſich hineinſchlei-
chen und ihnen das Geld herauswerfen. Es
laͤßt ſich drauf ein, geht zu der Schatzkammer
und beſieht die Thuͤre, ob kein Ritzen darin;
gluͤcklicherweiſe findet es bald einen und will
einſteigen, da ſagt die Schildwache zur andern:
„was kriecht da fuͤr eine garſtige Spinne? die
muß man todt treten.“ — „Ei, laß ſie doch
gehen, ſagte die andere, ſie hat dir ja nichts
gethan.“ So kam der Daumerling in die
Schatzkammer, ging an das Fenſter, vor dem
die Raͤuber ſtanden und warf ihnen einen Tha-
ler nach dem andern hinaus. Wie der Koͤnig
ſeine Schatzkammer beſah, fehlte ſo viel Geld,
kein Menſch aber konnte begreifen, wer es ſoll-
te geſtohlen haben, da alle Schloͤſſer gut ver-
wahrt waren. Der Koͤnig ſtellte Wachen da-
bei, die hoͤrten es in dem Geld rappeln, gin-
gen hinein und wollten den Dieb greifen. Das
Schneiderlein ſetzte ſich in der Ecke unter einen
Thaler und rief: „hier bin ich!“ die Wachen
liefen dahin, indeß ſprang es in eine andere
Ecke, und wie die dort ankamen, ſchrie es da:
„hier bin ich!“ die Wachen liefen zuruͤck, es

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0231" n="197"/>
einen großen Wald, da begegnete ihm ein Hau-<lb/>
fen Ra&#x0364;uber, die wollten des Ko&#x0364;nigs Schatz be-<lb/>
&#x017F;tehlen; und als &#x017F;ie das Schneiderlein &#x017F;ehen,<lb/>
denken &#x017F;ie, der kann uns viel nu&#x0364;tzen, reden es<lb/>
an, &#x017F;agen, es &#x017F;ey ein tu&#x0364;chtiger Kerl, es &#x017F;olle<lb/>
mit zur Schatzkammer gehen, &#x017F;ich hinein&#x017F;chlei-<lb/>
chen und ihnen das Geld herauswerfen. Es<lb/>
la&#x0364;ßt &#x017F;ich drauf ein, geht zu der Schatzkammer<lb/>
und be&#x017F;ieht die Thu&#x0364;re, ob kein Ritzen darin;<lb/>
glu&#x0364;cklicherwei&#x017F;e findet es bald einen und will<lb/>
ein&#x017F;teigen, da &#x017F;agt die Schildwache zur andern:<lb/>
&#x201E;was kriecht da fu&#x0364;r eine gar&#x017F;tige Spinne? die<lb/>
muß man todt treten.&#x201C; &#x2014; &#x201E;Ei, laß &#x017F;ie doch<lb/>
gehen, &#x017F;agte die andere, &#x017F;ie hat dir ja nichts<lb/>
gethan.&#x201C; So kam der Daumerling in die<lb/>
Schatzkammer, ging an das Fen&#x017F;ter, vor dem<lb/>
die Ra&#x0364;uber &#x017F;tanden und warf ihnen einen Tha-<lb/>
ler nach dem andern hinaus. Wie der Ko&#x0364;nig<lb/>
&#x017F;eine Schatzkammer be&#x017F;ah, fehlte &#x017F;o viel Geld,<lb/>
kein Men&#x017F;ch aber konnte begreifen, wer es &#x017F;oll-<lb/>
te ge&#x017F;tohlen haben, da alle Schlo&#x0364;&#x017F;&#x017F;er gut ver-<lb/>
wahrt waren. Der Ko&#x0364;nig &#x017F;tellte Wachen da-<lb/>
bei, die ho&#x0364;rten es in dem Geld rappeln, gin-<lb/>
gen hinein und wollten den Dieb greifen. Das<lb/>
Schneiderlein &#x017F;etzte &#x017F;ich in der Ecke unter einen<lb/>
Thaler und rief: &#x201E;hier bin ich!&#x201C; die Wachen<lb/>
liefen dahin, indeß &#x017F;prang es in eine andere<lb/>
Ecke, und wie die dort ankamen, &#x017F;chrie es da:<lb/>
&#x201E;hier bin ich!&#x201C; die Wachen liefen zuru&#x0364;ck, es<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[197/0231] einen großen Wald, da begegnete ihm ein Hau- fen Raͤuber, die wollten des Koͤnigs Schatz be- ſtehlen; und als ſie das Schneiderlein ſehen, denken ſie, der kann uns viel nuͤtzen, reden es an, ſagen, es ſey ein tuͤchtiger Kerl, es ſolle mit zur Schatzkammer gehen, ſich hineinſchlei- chen und ihnen das Geld herauswerfen. Es laͤßt ſich drauf ein, geht zu der Schatzkammer und beſieht die Thuͤre, ob kein Ritzen darin; gluͤcklicherweiſe findet es bald einen und will einſteigen, da ſagt die Schildwache zur andern: „was kriecht da fuͤr eine garſtige Spinne? die muß man todt treten.“ — „Ei, laß ſie doch gehen, ſagte die andere, ſie hat dir ja nichts gethan.“ So kam der Daumerling in die Schatzkammer, ging an das Fenſter, vor dem die Raͤuber ſtanden und warf ihnen einen Tha- ler nach dem andern hinaus. Wie der Koͤnig ſeine Schatzkammer beſah, fehlte ſo viel Geld, kein Menſch aber konnte begreifen, wer es ſoll- te geſtohlen haben, da alle Schloͤſſer gut ver- wahrt waren. Der Koͤnig ſtellte Wachen da- bei, die hoͤrten es in dem Geld rappeln, gin- gen hinein und wollten den Dieb greifen. Das Schneiderlein ſetzte ſich in der Ecke unter einen Thaler und rief: „hier bin ich!“ die Wachen liefen dahin, indeß ſprang es in eine andere Ecke, und wie die dort ankamen, ſchrie es da: „hier bin ich!“ die Wachen liefen zuruͤck, es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/231
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/231>, abgerufen am 22.11.2024.