Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

dem riß es den Leib mit seinen Hauern auf.
Da ließ der König bekannt machen, wer das
Schwein erlege, der solle seine Tochter zur Ge-
mahlin haben. Nun waren in dem Königreich
drei Brüder, davon war der älteste listig und
klug, der zweite von gewöhnlichem Verstand,
der dritte und jüngste aber war unschuldig und
dumm. Die gedachten die Prinzessin zu ge-
winnen, wollten das Wildschwein aufsuchen
und tödten.

Die zwei ältesten gingen mit einander, der
jüngste aber ging allein. Als er in den Wald
hineinkam, trat ein kleiner Mann vor ihn, der
hielt eine schwarze Lanze in der Hand und sag-
te zu ihm: "nimm diese Lanze und geh damit
auf das Schwein los, ohne Furcht, du wirst
es leicht tödten." Also geschah es, er traf mit
der schwarzen Lanze das Schwein, daß es zur
Erde fiel, nahm es dann auf die Schulter und
zog vergnügt heim. Unterwegs kam er an ein
Haus, darin waren seine beiden ältesten Brü-
der, und machten sich lustig beim Wein; als sie
ihn mit dem Schwein auf dem Rücken daher
ziehen sahen, riefen sie ihn an: "komm herein
und trink mit uns, du wirst doch müde seyn."
Der unschuldige Dumme denkt an nichts Böses,
tritt ein, erzählt ihnen wie er das Schwein
durch die schwarze Lanze getödtet habe, und
freut sich über sein Glück. Abends gingen sie

dem riß es den Leib mit ſeinen Hauern auf.
Da ließ der Koͤnig bekannt machen, wer das
Schwein erlege, der ſolle ſeine Tochter zur Ge-
mahlin haben. Nun waren in dem Koͤnigreich
drei Bruͤder, davon war der aͤlteſte liſtig und
klug, der zweite von gewoͤhnlichem Verſtand,
der dritte und juͤngſte aber war unſchuldig und
dumm. Die gedachten die Prinzeſſin zu ge-
winnen, wollten das Wildſchwein aufſuchen
und toͤdten.

Die zwei aͤlteſten gingen mit einander, der
juͤngſte aber ging allein. Als er in den Wald
hineinkam, trat ein kleiner Mann vor ihn, der
hielt eine ſchwarze Lanze in der Hand und ſag-
te zu ihm: „nimm dieſe Lanze und geh damit
auf das Schwein los, ohne Furcht, du wirſt
es leicht toͤdten.“ Alſo geſchah es, er traf mit
der ſchwarzen Lanze das Schwein, daß es zur
Erde fiel, nahm es dann auf die Schulter und
zog vergnuͤgt heim. Unterwegs kam er an ein
Haus, darin waren ſeine beiden aͤlteſten Bruͤ-
der, und machten ſich luſtig beim Wein; als ſie
ihn mit dem Schwein auf dem Ruͤcken daher
ziehen ſahen, riefen ſie ihn an: „komm herein
und trink mit uns, du wirſt doch muͤde ſeyn.“
Der unſchuldige Dumme denkt an nichts Boͤſes,
tritt ein, erzaͤhlt ihnen wie er das Schwein
durch die ſchwarze Lanze getoͤdtet habe, und
freut ſich uͤber ſein Gluͤck. Abends gingen ſie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0154" n="120"/>
dem riß es den Leib mit &#x017F;einen Hauern auf.<lb/>
Da ließ der Ko&#x0364;nig bekannt machen, wer das<lb/>
Schwein erlege, der &#x017F;olle &#x017F;eine Tochter zur Ge-<lb/>
mahlin haben. Nun waren in dem Ko&#x0364;nigreich<lb/>
drei Bru&#x0364;der, davon war der a&#x0364;lte&#x017F;te li&#x017F;tig und<lb/>
klug, der zweite von gewo&#x0364;hnlichem Ver&#x017F;tand,<lb/>
der dritte und ju&#x0364;ng&#x017F;te aber war un&#x017F;chuldig und<lb/>
dumm. Die gedachten die Prinze&#x017F;&#x017F;in zu ge-<lb/>
winnen, wollten das Wild&#x017F;chwein auf&#x017F;uchen<lb/>
und to&#x0364;dten.</p><lb/>
        <p>Die zwei a&#x0364;lte&#x017F;ten gingen mit einander, der<lb/>
ju&#x0364;ng&#x017F;te aber ging allein. Als er in den Wald<lb/>
hineinkam, trat ein kleiner Mann vor ihn, der<lb/>
hielt eine &#x017F;chwarze Lanze in der Hand und &#x017F;ag-<lb/>
te zu ihm: &#x201E;nimm die&#x017F;e Lanze und geh damit<lb/>
auf das Schwein los, ohne Furcht, du wir&#x017F;t<lb/>
es leicht to&#x0364;dten.&#x201C; Al&#x017F;o ge&#x017F;chah es, er traf mit<lb/>
der &#x017F;chwarzen Lanze das Schwein, daß es zur<lb/>
Erde fiel, nahm es dann auf die Schulter und<lb/>
zog vergnu&#x0364;gt heim. Unterwegs kam er an ein<lb/>
Haus, darin waren &#x017F;eine beiden a&#x0364;lte&#x017F;ten Bru&#x0364;-<lb/>
der, und machten &#x017F;ich lu&#x017F;tig beim Wein; als &#x017F;ie<lb/>
ihn mit dem Schwein auf dem Ru&#x0364;cken daher<lb/>
ziehen &#x017F;ahen, riefen &#x017F;ie ihn an: &#x201E;komm herein<lb/>
und trink mit uns, du wir&#x017F;t doch mu&#x0364;de &#x017F;eyn.&#x201C;<lb/>
Der un&#x017F;chuldige Dumme denkt an nichts Bo&#x0364;&#x017F;es,<lb/>
tritt ein, erza&#x0364;hlt ihnen wie er das Schwein<lb/>
durch die &#x017F;chwarze Lanze geto&#x0364;dtet habe, und<lb/>
freut &#x017F;ich u&#x0364;ber &#x017F;ein Glu&#x0364;ck. Abends gingen &#x017F;ie<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[120/0154] dem riß es den Leib mit ſeinen Hauern auf. Da ließ der Koͤnig bekannt machen, wer das Schwein erlege, der ſolle ſeine Tochter zur Ge- mahlin haben. Nun waren in dem Koͤnigreich drei Bruͤder, davon war der aͤlteſte liſtig und klug, der zweite von gewoͤhnlichem Verſtand, der dritte und juͤngſte aber war unſchuldig und dumm. Die gedachten die Prinzeſſin zu ge- winnen, wollten das Wildſchwein aufſuchen und toͤdten. Die zwei aͤlteſten gingen mit einander, der juͤngſte aber ging allein. Als er in den Wald hineinkam, trat ein kleiner Mann vor ihn, der hielt eine ſchwarze Lanze in der Hand und ſag- te zu ihm: „nimm dieſe Lanze und geh damit auf das Schwein los, ohne Furcht, du wirſt es leicht toͤdten.“ Alſo geſchah es, er traf mit der ſchwarzen Lanze das Schwein, daß es zur Erde fiel, nahm es dann auf die Schulter und zog vergnuͤgt heim. Unterwegs kam er an ein Haus, darin waren ſeine beiden aͤlteſten Bruͤ- der, und machten ſich luſtig beim Wein; als ſie ihn mit dem Schwein auf dem Ruͤcken daher ziehen ſahen, riefen ſie ihn an: „komm herein und trink mit uns, du wirſt doch muͤde ſeyn.“ Der unſchuldige Dumme denkt an nichts Boͤſes, tritt ein, erzaͤhlt ihnen wie er das Schwein durch die ſchwarze Lanze getoͤdtet habe, und freut ſich uͤber ſein Gluͤck. Abends gingen ſie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/154
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/154>, abgerufen am 17.05.2024.